Falsches Schlafen:Daunen drücken

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In der Knautschzone: Schon für Albrecht Dürer waren die deutschen Kissen ideale Studienobjekte. (Foto: Albrecht Dürer/gemeinfrei)

Die Welt wundert sich über die 80x80-Kissen in deutschen Betten. Führt unser Sonderweg zur germanischen Verspanntheit?

Von Christine Brinck

Was steckt hinter einem Kopfkissen? Dieser kosmischen Frage ist das Wall Street Journal neulich auf der Seite 1 seiner Printausgabe nachgegangen, und zwar mit berätseltem Blick auf die Deutschen, die die größten Kissen der westlichen Welt knüllen: 80 x 80 Zentimeter. Warum so groß? Ein weiterer Anfall von deutschem Größenwahn, nur sanfter, nachgiebiger? Anderswo sind die Polster jedenfalls bescheidener.

Das Journal, sonst der harten Politik zugetan, notiert lapidar: "Die Welt mag sich überall uneins sein, aber viele Deutschlandreisende sind sich in einem Punkt einig: Traditionelle deutsche Kopfkissen sind zu groß, zu quadratisch und zu weich." Linda O'Grady, eine irische Schriftstellerin verunglimpft die deutsche Version als "gigantisches Marshmallow".

Doch fragen inzwischen auch Hiesige, die ihr Bett mit dem Monster teilen müssen: Was soll dieses Ding, welches das halbe Bett ergreift? Kein Kopf ist so groß, kein Hals so lang, um ein mit Daunen, Federn oder Kunststoffen gefülltes Ungeheuer zu rechtfertigen. So war's eben schon immer, lautet die dürre Antwort. Die Römer haben das federgefüllte Kissen erfunden, die Germanen haben es ihnen irgendwann nachgemacht und legen nun seit Jahrhunderten ihre Köpfe auf einem mehr als einem halben Quadratmeter Daunen ab.

Nur die Deutschen? Im Bett herrscht überall der Wirrwarr. Wer "Kopfkissen" googelt, wird überrascht von der Vielfalt der nationalen Eigenheiten. Doch bei den Quadratzentimetern sind die Deutschen die statistischen Ausreißer. Die Amerikaner, denen sonst von der Erdbeere bis zum Kürbis nichts zu groß sein kann, geben sich mit der Hälfte unseres Standardkissens zufrieden. In den Betten der Supermacht ruhen die Schultern auf der Matratze, und die Wirbelsäule kann in Ideallage entspannen.

Auf die EU wartet eine sträflich vernachlässigte Regulierungsaufgabe

Die Franzosen bevorzugen oreillers im Format 65 x 65 Zentimeter oder 50 x 70, die Schweden 50 x 60, die Dänen 60 x 63. Die Österreicher kommen den Deutschen größenmäßig näher, halten sich aber mit 70 x 90 Zentimeter vom deutschen Quadrat fern. Die Schweizer sind ungeachtet ihrer Ordnungsliebe wahre Chaoten - mit gleich drei Größen. Jeder nimmt, was gefällt, und auf die EU wartet eine sträflich vernachlässigte Regulierungsaufgabe. Wenn Traktorensitze normiert sind, müssen es Kissen erst recht sein, von denen es Abermillionen mehr gibt. Das wäre nicht obsessiv, sondern praktisch. Kaum zieht man von einer EU-Stadt in die nächste, findet man keine passende Kissenhülle im nächsten Wäscheladen.

Orthopäden, Physiotherapeuten und Schlafforscher schätzen die deutschen Großkissen auch nicht. "Die Hauptaufgabe eines Kissens besteht darin", doziert der Schweizer Bettwarenhersteller Zizzz, "den Hohlraum zwischen Nacken und Matratze auszufüllen, um körperlichen Beschwerden wie Verspannungen vorzubeugen." Doch wird dieser Raum von dem deutschen Marshmallow nur unter dauernden Knüllversuchen gefüllt. Die sind indes vergebens, weil der Mensch sich in der Nacht bis zu achtzig Mal hin und her dreht.

Deshalb raten Schlafspezialisten zu kleineren Kissen. Doch da wartet das nächste Problem; deutsche Bettwäsche kommt stets mit dem 80x80-Zentimeter-Kopfkissenbezug daher. Wie das kleinere Kissen in dem riesigen Bezug so unterbringen, dass der überflüssige Stoff sich nicht um den Hals wickelt? Youtube hat die Antwort auf: "Wie beziehe ich mein 40x80-Kissen richtig mit einer 80x80-Hülle?" Das kleine Ding rein, den Umschlag säuberlich um die Füllung herum falten.

Doch müssen wir der Wahrheit ins Auge sehen: Wie die Römer nie mehr von dem einmal erfundenen Federkissen lassen wollten, so wollen auch die Deutschen den daunenweichen, flauschigen und eben viel zu großen Knuddelersatz nicht aufgeben. Nicht gut für den Nacken, aber gut gegen Kummer und Heimweh, Mutter- oder Partnerverlust. Diesmal freilich ist der deutsche Sonderweg weich, nicht hart.

Und was, wenn der weiche Sonderweg des fragwürdigen deutschen Knuddelkissens Grund nicht nur für orthopädische Verspannungen wäre? Was, wenn unser verspannter Rücken geradewegs in ein weniger entspanntes Leben führt? Weil die deutsche Wirbelsäule dank des gefühlten Berges von Kissen nicht in Ideallage durch die Nacht kommt, wacht der Schläfer verspannt, verkrampft, unglücklich auf. Schon ist er gezwungen, der Welt so zu begegnen, wie der Deutsche ihr nun mal begegnet: belehrend und jammernd. Schon lässt er nicht fünfe gerade sein, sondern mäkelt an falschen Personalpronomen und Gendersternchen herum, will die Maske nicht aufsetzen, weil sie sein verspanntes Rückgrat drückt, fortzeugend Böses... All das hätte das kleinere Kissen vielleicht verhindern können. Das schreit nun geradezu nach einer Kopfkissenrevolution. Noch dazu, wo in mageren Zeiten der Verbrauch von weniger Federn helfen würde: Win-win für alle, weniger weich, aber dafür mehr öko. Allein das könnte zu mehr Gelassenheit führen. Her mit den kleinen Kissen!

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