"Good Vibrations" im Kino:Der Thrill der Musik, der Geist einer Zeit

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"Good Vibrations": Richard Dormer als Terri Hooley. (Foto: Rapid Eye Movies)

Es gab mehr als Hass und Tod im Belfast des Jahres 1978 - zu sehen in der mitreißenden Punk-Hommage "Good Vibrations" von Lisa Barros D'Sa und Glenn Leyburn.

Von Rainer Gansera

"Teenage dreams, so hard to beat". John Peel (1939-2004), legendärer Radio-DJ der BBC, hat sich diese Verszeile als seine Grabinschrift gewünscht. Sie stammt aus Peels Lieblingssong, "Teenage Kicks" von der nordirischen Band The Undertones. "Immer wenn ich tagelang Neuveröffentlichungen anhöre und schließlich Angst bekomme, dass Musik zur bedeutungs- und charakterlosen Soße wird", gestand Peel einmal in einem Guardian-Interview, "spiele ich 'Teenage Kicks', um mich daran zu erinnern, wie ein großartiger Song klingen muss!"

Herzstück des Films "Good Vibrations" ist eine Hommage an John Peel und diesen Song. Glenn Leyburn und Lisa Barros D'Sa erzählen die wahre Geschichte des "Paten des Belfast-Punk" Terri Hooley (Richard Dormer) in einem Film, der Fakt und Fiktion fein ausbalanciert und alles hat: treibenden Beat, schroffe Riffs, verrückte Soli und einen Frontmann, der mit seiner unbändigen Energie fasziniert. Zu Beginn der Geschichte, im Belfast der späten Siebzigerjahre, erscheint Hooley als kurioses Relikt der Hippie-Ära. Ein Schiffbrüchiger des längst entschwundenen Summer of Love, der in einem langen Winter des Hasses irgendwie zu überleben versucht.

Verloren steht er in der Kneipe, um als DJ seine Reggae-Platten aufzulegen. Keiner ist gekommen. Keiner will tanzen in der vom Bürgerkrieg ruinierten Stadt. Was ist passiert? Hooley erklärt es der hübschen jungen Frau an der Theke, Ruth (Jodie Whittaker), die ihm Schutzengel und Ehefrau sein wird: "Alle meine Freunde waren Anarchisten, Sozialisten, Feministen, Marxisten, Pazifisten und Ähnliches. Dann fiel der erste Schuss, dann explodierte die erste Bombe, die Gewalt eskalierte und plötzlich zählte nur noch, ob du Katholik oder Protestant bist. Es gab nur noch die eine Frage: Auf welcher Seite stehst du?!"

Ein Offenbarungserlebnis

Mit bitterem Witz resümiert er das Scheitern der Peace&Love-Träume. Er selbst weigert sich hartnäckig, in eine der Hassfronten eingereiht zu werden. Eine gefährliche Sache. Sein bester Freund wurde deswegen krankenhausreif geschlagen und zog resigniert nach London. Hooley, der Träumer und Dickkopf, hält durch und hat eine Idee. In der Great-Victoria-Street - in der blutigsten Phase des Bürgerkriegs die meistumkämpfte Straße, die heute ein Bild trostloser Ödnis bietet - will er einen Plattenladen eröffnen. Es klappt. Er tauft den Laden auf die Surfer-Hymne der Beach Boys "Good Vibrations". Die guten Schwingungen entfalten ihre Magie und bescheren Hooley ein Offenbarungserlebnis, das sein Leben mächtig umkrempelt.

Tatsächlich visualisieren Glenn Leyburn und Lisa Barros D'Sa diese Erleuchtung in Art einer - freilich ironisch durchtönten - religiösen Erweckung. Eines Tages suchen Jugendliche nach einer Single der Buzzcocks. Hooley durchstöbert sein Plattenchaos und muss passen: "Nie davon gehört!". Neugierig folgt er den Jungs in einen Underground-Club, wo gerade eine lokale Punk-Band namens Rudi mit ihrem Knaller "Big Time" auf der Bühne steht. Großer Augenblick, wie sich Hooley, eingekeilt in pogende Punker, wiederfindet und anfängt mitzuhüpfen. In Zeitlupe ist das gefilmt, wie der bärtige Immer-noch-Hippie von der Ekstase des Augenblicks überwältigt wird und nicht weiß, ob er lachen oder weinen soll.

Hooley gründet das Label "Good Vibrations", bringt "Big Time" heraus, nimmt andere Punkbands unter seine Fittiche und macht sich auf den Weg, "Godfather of Belfast-Punk" zu werden. Mit seinem Laden als Treffpunkt der Szene. Aber "Good Vibrations" schildert nicht einfach die Story eines Plattenladens, sondern legt über die Basslinie des Nordirlandkonflikts die Melodie einer mythenträchtigen Fabel von verratenen und wiedereroberten Jugendträumen. Man muss kein eingeschworener Punk-Fan sein, um sich in "Good Vibrations" einschwingen zu können.

"New York hat die Frisuren, London die Hosen"

Punk in Belfast 1978 ist anders als anderswo. Keine Modesache mit Irokesenfrisuren, sorgfältig per Rasierklinge zerschlissenen Jeans und demonstrativ zerdrückten Bierdosen. Punk ist hier eine riskante politische Provokation, die auch ausdrücklich als solche verstanden werden will. Party-Ekstase gegen den Fanatismus der Bürgerkriegsparteien: "Im Punkclub interessiert es keinen, ob du Katholik oder Protestant bist!" Zum grandiosen Filmfinale, bei einem Konzert lokaler Bands in der Ulster Hall, wird Hooley ausrufen: "Was Punk betrifft: New York hat die Frisuren, London die Hosen, Belfast aber hat den Grund!"

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"Good Vibrations" ist der beste Musikfilm seit "24 Hour Party People", also seit immerhin zwölf Jahren. Wie in Michael Winterbottoms Manchester-Pop-Story gelingt es hier, beides packendend spürbar zu machen: den elektrisierenden Thrill der Musik und den Geist einer Zeit. Zu den Bands, die Hooley herausbringt, gehören schließlich auch The Undertones mit ihrem Song "Teenage Kicks". So bahnt sich sein zweites Offenbarungserlebnis an.

Auf der Suche nach einem großen Vertriebslabel für den Song erhält er eine Abfuhr nach der anderen. Er findet einfach nicht den richtigen Verhandlungston mit Labelchefs, hinter deren Schreibtischen Galerien goldener Schallplatten prangen. Doch dann kommt der magische Moment: Hooley hört, wie John Peel den Song in seiner BBC-Sendung spielt, und dann verklingt der letzte Akkord, und Hooley erstarrt, bevor ihn das Glück überwältigt. Denn Peel macht etwas, was er in seinen vierzig Jahren als Radiogott nur einmal getan hat: Er spielt "Teenage Kicks" einfach gleich noch einmal: "Teenage dreams - so hard to beat".

Good Vibrations , GB/IR 2012 - Regie: Lisa Barros D'Sa, Glenn Leyburn. Buch: Colin Carberry, Glenn Patterson. Kamera: Ivan McCullough. Musik: David Holmes, Keefus Green. Mit: Richard Dormer, Jodie Whittaker . Rapid Eye Movies, 102 Minuten.

© SZ vom 10.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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