Geschwister-Scholl-Preis an Glenn Greenwald:Sagen, was ist

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Glenn Greenland, 47, glaubt, dass der Kampf um das Internet noch zu gewinnen ist - von den Bürgern. (Foto: Catherina Hess)

Auszeichnung für eine Arbeit, die "geeignet ist, bürgerliche Freiheit, moralischen, intellektuellen und ästhetischen Mut zu fördern": Der Journalist Glenn Greenwald ist in München für sein Buch über den Fall Snowden geehrt worden.

Von Jörg Häntzschel

Glenn Greenwald hat einiges aushalten müssen in den letzten 18 Monaten. Nicht so viel wie Edward Snowden, der Greenwald in jenem Hotelzimmer in Hongkong seine NSA-Daten anvertraute - und der riskierte, dafür den Rest seines Lebens in Gefangenschaft zu verbringen. Aber dennoch sehr viel mehr als die meisten Journalisten. Politiker, aber auch prominente amerikanische Medienleute wie der Fernsehmann David Gregory oder Andrew Ross Sorkin von der New York Times riefen öffentlich dazu auf, ihm den Prozess zu machen. Sein Partner David Miranda wurde neun Stunden am Londoner Flughafen verhört. Er lebt in ständiger Angst vor Undercover-Aktionen der amerikanischen oder britischen Geheimdienste.

Doch Greenwald - und seine Mitstreiterin Laura Poitras, deren Snowden-Dokumentation "Citizenfour" derzeit in den Kinos zu sehen ist - waren bereit, diesen Preis zu zahlen für eine der folgenschwersten politischen Enthüllungen der letzten Jahrzehnte. Man hätte für den Geschwister-Scholl-Preis, der Greenwald am Montag für sein Buch "Die globale Überwachung" verliehen wurde, also keinen Geeigneteren finden können. Der Preis wird jedes Jahr von der Stadt München und dem bayerischen Landesverband des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in Erinnerung an die Mitglieder der Weißen Rose vergeben - für ein Buch, "das von geistiger Unabhängigkeit zeugt und geeignet ist, bürgerliche Freiheit, moralischen, intellektuellen und ästhetischen Mut zu fördern".

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Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung und selbst Träger des Preises, fasste es in der Laudatio so zusammen: "Greenwald hat den Ur- und Kerngehalt der Pressefreiheit realisiert: Sagen, was ist!" Wie schwer das sein kann, auch heute noch, das beweisen die Vorwürfe und Anfeindungen, denen nicht nur Snowden, sondern auch Greenwald selbst ausgesetzt ist. "Ist der Verbrecher der, der ein Verbrechen anzeigt - und nicht der, der es verübt?", fragte Prantl. Und erinnerte daran, dass diese Umleitung der Schuld von oben nach unten und vom Täter zum Berichterstatter eines der effektivsten Mittel der Mächtigen ist, seit es die Öffentlichkeit und Gesellschaft gibt. "Wer sich erkühnen wird, Wahrheiten zu sagen, an deren Verheimlichung den Unterdrückern gelegen ist, wird Ketzer und Aufrührer heißen und als Verbrecher bestraft werden", klagte der Schriftsteller und Verleger Christoph Martin Wieland schon im Jahr 1812. "Im demokratischen Rechtsstaat sollte es anders sein", so Prantl. Keiner hatte am Montagabend einen Zweifel daran, dass mit Greenwald auch Snowden selbst ausgezeichnet wurde. Am wenigsten Greenwald selbst, dessen Dankesrede ihrerseits eine Laudatio für Snowden war. Er erzählte darin von dem Moment, als er zum ersten Mal die Hongkonger Hoteltür des Namenlosen, Unbekannten öffnete, der ihm seit Wochen von den NSA-Dokumenten erzählt hatte, von denen er überzeugt war, die Welt müsse sie kennen. Greenwald erwartete einen Veteranen, der seinen Lebensabend mit gutem Gewissen verbringen wollte. Stattdessen schüttelte er einem viel jünger wirkenden, unauffälligen 29-Jährigen die Hand, der, davon war Greenwald fest überzeugt, "den Rest seines Lebens in einem Käfig verbringen" würde. Warum Greenwald das erzählte? Weil er nach der Erfahrung mit dem so wenig "absolut gewöhnlichen" Snowden fest daran glaubt, dass "wir alle" den Mut von Edward Snowden oder Sophie und Hans Scholl in uns haben. Und nicht nur Snowden, sondern auch viele andere würden in ähnlicher Situation wie er zu dem Schluss kommen, dass auch die grausamste Behandlung durch den Staat nicht so schlimm wäre wie damit zu leben, das extreme Unrecht, dessen Zeuge man wurde, nicht ausgesprochen zu haben. Je mehr Menschen so dächten, desto leichter würde es für die anderen, ähnlich zu handeln, berichtete Greenwald aus eigener Erfahrung: "Mut ist ansteckend. Das ist das wichtigste, was ich in den letzten eineinhalb Jahren gelernt habe", sagte er. Das andere ist: "Das Handeln von Leuten wie Snowden beweist, wie falsch die Vorstellung ist, ein einzelner habe nicht genug Macht. Jede Form von Ungerechtigkeit kann durch einen einzigen Menschen beseitigt werden." Auf den ersten Blick, so Greenwald, habe das Deutschland von 1943, als die Geschwister Scholl ihre Flugblätter in den Lichthof der Münchner Universität warfen, wenig zu tun mit dem Amerika der vergangenen Jahre. Tatsächlich sei aber auch dort die Demokratie akut gefährdet. Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dann lieferte ihn Snowden: Dass die Angst vor dem Terrorismus dazu ausgenützt wurde, um hinter dem Rücken der Bürger in den USA, Großbritannien und anderen Staaten sämtliche Emails, sämtliche Handydaten abzugreifen, ohne die Bürger über diese radikalen Maßnahmen aufzuklären - ein untrüglicheres Zeichen für eine dysfunktionale Demokratie sei kaum vorstellbar. Umso skandalöser sei es, so Prantl, was danach mit Snowden geschah: Es sei "eine Schande, dass ein Aufklärer Schutz dort suchen muss, wo derzeit alles Mögliche zu Hause ist, nur nicht die Werte der Aufklärung" - in seinem "wackligen Asyl" in Moskau statt in der EU, "die sich ,Raum des Rechts, der Sicherheit und der Freiheit' nennt" und die in Wahrheit ein "Raum der Feigheit" sei.

© SZ vom 02.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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