Zum Tod von Gernot Roll:Meister des Lichts

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"Die Bilder, die wir suchten, sollten ihre Wurzeln in der gemeinsamen Erinnerung haben", sagte Kameramann und Regisseur Gernot Roll einmal. (Foto: dpa)

Gernot Roll führte von der "Heimat"-Trilogie bis zu "Rossini" die Kamera, im Fernsehen galt er als Experte für literarische Stoffe. Als Schöngeist sah er sich dabei nie. Am Donnerstag ist Roll im Alter von 81 Jahren gestorben.

Von Josef Grübl

Wenn Heimat nicht nur ein Gefühl ist, sondern auch ein Ort, dann war Gernot Rolls Heimat wohl der Hunsrück. Dorthin verschlug es ihn Anfang der Achtzigerjahre, neunzehn Monate lang lebte und arbeitete er in einem Dorf, hatte eine eigene Wohnung samt Telefonanschluss. "Das war die schönste Zeit in meinem Leben", sagte er vor einigen Jahren im Interview. Und als ihm klar wurde, dass das vielleicht pathetisch klingen könnte, fügte er noch hinzu: "Zumindest was den Beruf angeht".

Als Kameramann fand er die Bilder für Edgar Reitz' epochale Fernsehserie "Heimat - Eine deutsche Chronik", der in den kommenden Jahrzehnten noch mehrere Serienableger und Kinofilme folgen sollten. Das konnten Roll und Reitz zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht wissen, die beiden wollten große Zeitgeschichte aus dem Kleinen heraus erzählen. "Die Bilder, die wir suchten, sollten ihre Wurzeln in der gemeinsamen Erinnerung haben", sagt er, auch deshalb sei diese Arbeit so beglückend gewesen.

"Rossini oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief": Szene aus Helmut Dietls legendärem Film von 1997. (Foto: imago)

Der 1939 in Dresden geborene und in Pirna aufgewachsene Kameramann und Regisseur verstand sich ohnehin als Glückspilz, er war offen und neugierig, kam mit den einfachen Leuten aus den Hunsrückdörfern genauso gut klar wie mit den nicht immer ganz so einfachen Menschen aus der Filmbranche. Im Alter von vierzehn fing Roll bereits an zu arbeiten, das war 1953, er bekam eine Ausbildungsstelle bei den DEFA-Studios in Potsdam-Babelsberg. Seine Mutter habe das so entschieden, aus ihren Söhnen sollte etwas werden, erzählt er: "Mein ältester Bruder war Orgelbauer, der zweite ist Biologe geworden, und ich, der Kleinste, musste zum Zirkus."

Er wurde Kameraassistent, was zu jener Zeit noch ein echter Knochenjob war: Die Kameras waren tonnenschwer und unbeweglich, trotzdem fühlte er sich im Trubel des Filmstudios wohl. Er assistierte bei Märchenfilmen wie "Das singende, klingende Bäumchen" oder Konrad Wolfs verbotenem Bergbaudrama "Sonnensucher". 1960 verließ er die DDR und ging nach München. Die wiederaufgebaute Bavaria Film sollte seine neue berufliche Heimat werden, schon bald stand er für Literaturverfilmungen wie "Geschlossene Gesellschaft" etwa oder Vorabendserien wie "Graf Yoster gibt sich die Ehre" hinter der Kamera.

Der Kameramann und Regisseur Gernot Roll, Jahrgang 1939, begann bei der DEFA. Später prägte er die Filme der BRD. (Foto: Catherina Hess)

Die Regisseure Franz Peter Wirth und Fritz Ungelter arbeiteten regelmäßig mit ihm, den Aufbruch der jungen Wilden des Neuen Deutschen Films erlebte er nur als Zuschauer: "Für Fassbinder war ich nie interessant", sagte er. Zu dieser Zeit wurde noch viel stärker zwischen Kino und Fernsehen unterschieden, der Fernsehmann Roll wurde erst spät für die große Leinwand entdeckt. In den Neunzigerjahren drehte er aber so bekannte Kinofilme wie "Rossini" von Helmut Dietl, Sönke Wortmanns "Der bewegte Mann", Peter Sehrs "Kaspar Hauser" oder "Jenseits der Stille" von Caroline Link. Auch für Links mit dem Oscar ausgezeichnetes Familiendrama "Nirgendwo in Afrika" fand er eine überzeugende Bildsprache.

Als Schöngeist sah Gernot Roll sich nie, er inszenierte auch derbe Komiker

Im Fernsehen galt er seit "Wallenstein" oder "Die Buddenbrooks" als Experte für historische und literarische Stoffe, im Kino vertraute man ihm hoch budgetierte Ausstattungsprojekte an. "Ich neige zum verschönerten Fotografieren", sagte er einmal, dafür wurde er auch regelmäßig ausgezeichnet. Als Schöngeist sah er sich nie, dafür sorgte er schon mit seinen eigenen Filmen. 1997 debütierte er als Kinoregisseur bei der Tom-Gerhardt-Urlaubsklamotte "Ballermann 6". Hier wurde ausgiebig gefurzt, gerülpst, gepinkelt und gekotzt - manchmal genau in dieser Reihenfolge, oft auch gleichzeitig. Es gab Zuschauer, die das als direkte Aufforderung verstanden, es den Herrschaften auf der Leinwand gleich zu tun: Der Film verschwand vielerorts vorzeitig von den Spielplänen der Kinos, ein kommerzieller Erfolg war er trotzdem. Deshalb vertraute man Roll auch die Kinoausflüge von Fernsehkomikern wie Mario Barth oder Gerd Dudenhöffer an. Er konnte es mit seinem Ego vereinbaren, dass die Stars oft sehr genaue Vorstellungen davon hatten, wie sie herüberkommen wollten.

Irgendwann war diese Welle vorbei, so wie jede Welle einmal abebbt. Für die nächste Komödiengeneration fühlte er sich zu alt: "Da sind jetzt andere gefragt", sagte er bei der Premiere des Komödienhits "Fack ju Göhte". Er selbst arbeitete weiter als Kameramann, drehte auch als einer der Ersten mit digitalen Kameras. Die seien sehr viel besser, dem alten analogen Kino weine er keine Träne nach, sagte er. Mit Heinrich Breloer drehte er "Die Manns", "Speer und Er" und zuletzt "Brecht", mit dem jungen Regisseur Daniel Harrich arbeitete er an Politthrillern wie "Gift" oder "Meister des Todes".

Im Jahr 2013 zog es ihn mit Edgar Reitz noch einmal in den Hunsrück, für das in kontrastreichen Schwarzweißbildern gedrehte Kino-Epos "Die andere Heimat" gab es mehrere Deutsche Filmpreise. Da hatte er schon seine neue Heimat gefunden, in seinen letzten Lebensjahren wohnte der Vater des Schauspielers Michael Roll und der Produzentin Laura Roll über den Dächern von München-Haidhausen. Am Donnerstag ist Gernot Roll nach schwerer Krankheit friedlich im Kreise seiner Familie gestorben. Er wurde 81 Jahre alt.

© SZ vom 13.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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