Georg Kreisler zum 100.:"Meine Freiheit, deine Freiheit"

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Georg Kreisler kurz vor seinem Tod vor elf Jahren. Am 18. Juli 1922 wurde der Komponist, Sänger und Dichter geboren. Er wäre jetzt 100 Jahre alt. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Frechheit siegt, aber nur, wenn man was kann: Die "Kreisler-Lieder" von Franui und Nikolaus Habjan als grandiose CD

Von Egbert Tholl

Natürlich darf das "Tauben vergiften" nicht fehlen. Wenn man eine CD mit Liedern von Georg Kreisler aufnimmt, darf das Lied nicht fehlen, das jedem als Erstes einfällt, wenn er an Kreisler denkt. Man kann daran denken, aber so hat man es noch nicht gehört. Kreisler war der Mann am Klavier, hier aber setzt mit Rumms das Blech ein, die Musik wandert im Sechsachtel-Takt, ach, das wäre ja ein gemütliches Schunkeln, Volksfest und so, aber es ist halt fies. Nikolaus Habjan, der hier singt, singt eigentlich nicht, nein, irgendwie schon, aber eigentlich spielt er mit seiner Stimme, Ein-Mann-Theater, die Holzbläser tirilieren, alles, was Kreisler sich erdachte, wird größer, wird Szene, wird Dreiminutenepos.

Gelb, Rot: Die Farben der CD signalisieren Explosives zum 100. Geburtstag des Sängers, Dichters und an Wien verzweifelnden Wieners Georg Kreisler. (Foto: Col legno)

Anfang Juli erschien diese CD, für die Markus Kraler und Andreas Schett Lieder von Kreisler bearbeiteten und für die Combo arrangierten, deren musikalische Geschicke sie weitgehend bestimmen: Franui. Diese (laut Selbstbezeichnung) Musicbanda stammt aus Osttirol, aus dem Ort Innervillgraten, ist benannt nach einer Almwiese dort und spielt seit 1993 in nahezu unveränderter Besetzung zusammen. Als sie anfingen, spielten sie auf Hochzeiten, Feuerwehrfesten und Beerdigungen, vor allem Beerdigungen, das legitimiert für Kreisler allemal, mit Trauermärschen aller Art kennen sie sich aus. Und mit dem Theater, das haben sie mit Nikolaus Habjan gemeinsam. Der ist Regisseur, begnadeter Puppenspieler und Kunstpfeifer (hier pfeift er leider nicht). Und er hat eine lange Beziehung zu Kreislers Werk. Als er einmal in der Schule sein Lieblingslied vorsingen sollte, sang er "Tauben vergiften" - und seine Eltern wurden zur Lehrerin zitiert, die ihnen mitteilte, ihr Sohn habe die Veranlagung, Tiere zu quälen.

Die Abgründe werden tiefer

Live stellten Franui gerade ein Programm mit Liedern von Gustav Mahler, Carl Loewe und dem Chor des Bayerischen Rundfunks vor. Das ist deshalb wichtig, weil Mahlers Musik hier durch Kreislers Lieder hindurchweht und Ohrwürmer zu einem Fragezeichen krummbiegt. Das größere Klanggewand steht Kreislers Musik erstaunlich gut. Franui nehmen die nicht als Kabarett, sondern als Kunst. Denken sie eher von Schubert her und vervielfachen die Klangfarben mit diversen Bläsern, mit Streichern und anderem Saiteninventar. Die Abgründe werden dadurch tiefer, die Gräben breiter, "Das Triangel" prunkt mit tiefer Traurigkeit und einem Sammelsurium an Zitaten, die Kreisler mitdachte, am Klavier allein aber nicht ausführen konnte, "Meine Freiheit, deine Freiheit" wird zu einem Antimodell des Egoismus im schnatternden Sound der Berliner Zwanziger Jahre. Und in einem Punkt treffen sich Franui und Kreisler, als hätten sie diese Aufnahmen zusammen erarbeitet: Frechheit siegt, aber nur, wenn man was kann.

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