Fotografie:Meine Perspektive

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Ihre Bilder der brasilianischen Yanomami sind beispiellos: Eine Werkschau der Fotografin Claudia Andujar im Frankfurter Museum für Moderne Kunst.

Von Catrin Lorch

Der Neugier begegnen sie aufmerksam. Die Mutter, deren Gesicht mit einer feinen Bemalung überzogen ist, blickt höflich zurück, genauso wie der Junge, dem aus dem Kinn drei Stacheln aus Metall ragen. Und weder der Greis noch die junge Frau, die nur ein um die Hüften gewickeltes Stück Stoff anhat, sehen aus wie jemand, der sich ausgeliefert fühlt. Claudia Andujar hat sie porträtiert, Yanomamis im Amazonas-Gebiet von Brasilien. Die Dokumentar-Fotografin lebte jahrelang mit den Ureinwohnern zusammen, sie ist vertraut mit ihrem Leben und ihren Bräuchen. Doch als sie zu ihnen zurückkehrt, geht es eigentlich gar nicht ums Fotografieren.

Sie hat eine Impfkampagne organisiert und begleitet einen Arzt, der die Stämme behandelt. In so einer Situation ist nicht viel Zeit. Massenimpfungen werden zügig abgewickelt, und der Arzt beschwert sich, dass diese Fotositzungen viel zu lange dauern. Aber ohne die Fotografin kommt er auch nicht weiter. Die Yanomami haben kein Melderegister, keine Einwohnerlisten, nicht einmal Namen. Sie leben in großen Familien und sprechen sich konsequent als Vater, Mutter oder Bruder an. Sollte mal einer aus einem anderen Stamm auftauchen, findet sich ein Spitzname. Die Aufnahmen, für die jeder eine Schnur mit einer Zahl um den Hals gehängt bekommt, belegen, wer immunisiert wurde gegen Zivilisationskrankheiten. Die Menschen, die mitten im Urwald leben, sind nicht eben fit für die Moderne. Nicht nur, weil sie sich bei Goldwäschern oder Holzfällern anstecken. Sondern auch, weil sie plötzlich Ansprüche stellen müssen. Auf Unversehrtheit, auf Abgrenzung und Identität. Die Künstlerin, die sie fotografiert, hat ihnen geholfen, sich dem zu stellen. Noch zu Zeiten der Militärdiktatur gründete sie die Comissão Pró-Yanomami als Sprachrohr für ein Volk, das bis dahin politisch nicht existierte, in einem Land, das die Ureinwohner nicht einmal als Menschen sah.

Die Emigrantin Claudia Andujar lebte viele Jahre im brasilianischen Urwald. Ihre Fotografien entstanden auf Augenhöhe mit den Eingeborenen: "Urihi-a" (1974). (Foto: Claudia Andujar/Galeria Vermelho, São)

Die Fotografin Claudia Andujar, die im Jahr 1931 in der Schweiz geboren wurde, ist in Europa unbekannt. Ihre Aufnahmen erschienen zwar in internationalen Magazinen, doch waren sie bei aller Vertrautheit nicht eben spektakulär. Erst jetzt, viele Jahrzehnte nachdem sie aufgenommen wurden, entdeckt die Kunstszene, dass die Fotografin schon sehr vieles richtig machte, als man sich in den Künsten noch nicht für Fotografie interessierte, für Dokumentation und die Frage, in welchem Verhältnis der Produzent von Bildern zum fotografierten oder gefilmten Objekt steht. Die Fotografie war dieser Frau aber schon in den Fünfzigerjahren, als sie nach São Paulo kam, nicht einfach ein Instrument. Anfangs, als sie noch kein Portugiesisch sprach, ersetzte das Fotografieren ihr die Kommunikation.

Als sie noch kein Portugiesisch sprach, ersetzte das Fotografieren ihr die Kommunikation

Claudia Andujar - sie stammt aus einer jüdischen Familie, von der allein ihre Mutter und sie selbst überlebten - habe von Anfang an "künstlerische Praxis und aktivistisches Engagement in den Aufnahmen untrennbar miteinander verknüpft", schreibt Peter Gorschlüter, Kurator am Frankfurter Museum für Moderne Kunst, wo das Werk erstmals in Europa vorgestellt wird. Die Werkschau vereint so unterschiedliche Motive wie die Dokumentation einer Autofahrt in den Amazonas, die Claudia Andujar konsequent durch das ovale Heckfenster eines VW-Käfers aufnahm, mit Reportagefotos, beispielsweise von der Demonstration "Marcha da Família" der Sechzigerjahre. Dass Claudia Andujar die eigene Position im Bild markiert, indem sie die Perspektive der Kamera einschreibt, setzt ihre Aufnahmen von den dokumentarischen Konventionen dieser Zeit ab. Ihr Bilder sind subjektiv, parteiisch, anwesend. Den Yanomami, die bis dahin nur auf ihre Körper gemalt hatten, hat Claudia Andujar, bevor sie die Kamera auspackte, erst einmal Stifte und Blätter geschenkt. Sie sollten die westlichen Konventionen kennen und begreifen, bevor sie sich der Kamera auslieferten. Auch deswegen schließen die Fotografien im Kunstmuseum in Frankfurt direkt an künstlerische Aufnahmen und Videos - beispielsweise von Lothar Baumgarten oder Mathieu Kleyebe Abonnenc - an.

Die mit "Marcados" betitelten Porträts der Impfkampagne stehen im Mittelpunkt der Ausstellung. Schwarz gerahmt und in Blockhängung sehen sie weniger wie eine dokumentarische Reihe aus denn wie Konzeptkunst. Zudem fallen nun die Zahlen noch mehr auf, mit denen jeder einzelne der Ureinwohner markiert ist. Sie erinnern an die Nummern auf Sträflingsfotos oder an die Zahlen, die in deutschen Konzentrationslagern den Gefangenen auf den Unterarm tätowiert wurden. Eine Assoziation, die Claudia Andujar bewusst wurde, als sie die Fotografien Anfang der Achtzigerjahre noch einmal sichtete. "Das waren für mich die für den Tod Markierten. Was ich versucht habe, mit den Yanomami zu machen, war, sie für das Leben, für das Überleben zu markieren."

Claudia Andujar. Morgen darf nicht gestern sein. Bis 25. Juni im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt. Der Katalog kostet 25 Euro.

© SZ vom 02.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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