Fotografie mit Blitzlicht:Die Welt der Dunkelheit entreißen

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Selbstporträt des Fotografen Weegee, der sich in einem New Yorker Kino als Eisverkäufer verkleidet hatte, aus dem Jahr 1944. (Foto: Weegee/Getty)

Früher war das Blitzlicht eine komplizierte Technik. Im Smartphone-Zeitalter kann sie jeder leicht bedienen. Damit ändert sich auch unsere Sicht auf die Welt.

Von Thomas Steinfeld

In Federico Fellinis Film "La Dolce Vita" aus dem Jahr 1960 gibt es eine Szene, in der ein Filmstar namens Sylvia, gespielt von Anita Ekberg, ein Flugzeug verlässt. Winkend und Kusshändchen verteilend, steigt sie die Gangway herab, während unten eine Horde Fotografen zappelt. Ausgerüstet sind sie mit großen, schweren Kameras, an deren Seite Reflektoren befestigt sind. In diesen stecken gewöhnlich kleine Glasbirnen, mit denen sich Blitzlichtgewitter erzeugen lassen. Doch es ist heller Tag. Es gibt keine Geheimnisse, die aus dem Dunkel geholt werden müssen. Die Reflektoren sind ebenso Teil einer Inszenierung, wie es das Heraustreten des Filmstars aus dem Rumpf des Flugzeugs ist - tatsächlich muss Sylvia die Kabine zweimal verlassen, weil die Fotografen mit dem ersten Erscheinen nicht zufrieden sind.

Voller Ironie ist diese Szene, denn sie zeigt, wie eng der Star mit den Paparazzi verbunden ist: Ein Star ist er erst dann, wenn er sein Leben der Öffentlichkeit darbietet. Für diese sorgt, alle Verletzungen der Privatsphäre inbegriffen, der Paparazzo mit seinem Gerät.

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Gewiss benötigt der Paparazzo eine Kamera. Sie ist, wie die Vespa, eine Voraussetzung seines Gewerbes, ebenso wie es die Technik ist, Fotografien in Zeitungen zu produzieren, oder die Möglichkeit, Bilder per Telefonkabel zu verschicken. Zum "fotografo d'assalto", wie es auf Italienisch heißt, zum "Angriffsfotografen", wird er indessen erst durch das Blitzlicht, das kurz aufzischt und einen zerstörten, blind gewordenen kleinen Glasbehälter zurücklässt, während er der Dunkelheit eine wie auch immer verräterische Szene entreißt.

Der Blitz fährt nicht nur in Tatorte, sondern auch in Familienfeiern hinein

Der Paparazzo war eine italienische Erfindung, möglich geworden durch das Filmstudio Cinecittà und den Aufenthalt großer Berühmtheiten in einer alten und in großen Teilen armen Stadt. Inspiriert worden aber war der Paparazzo durch ein anderes, ursprünglich amerikanisches Genre der Fotografie. Das Blitzlicht, das man in einer Tasche mit sich tragen konnte, war in den Dreißigern und Vierzigern das Instrument von Fotoreportern wie Sammy Schulman oder Weegee (mit richtigem Namen: Arthur Fellig) gewesen, der damit die Stätten des Verbrechens aufleuchten ließ, und der mit seiner Technik die Tatorte nicht nur dokumentierte, sondern im eigentlichen Sinn erst schuf: vordem banale, aber jetzt auf aggressive Weise ausgezeichnete Elemente von Wirklichkeit, die sich scharf vom Dunkel der Welt absetzten, ja die Nacht noch finsterer werden ließen, als sie ohnehin schon war (siehe dazu das Buch von Kate Flint: "Flash! Photography, Writing, and Surprising Illumination", New York 2017).

Den Wunsch, bei Dunkelheit zu fotografieren, hatte es gegeben, seit die Kamera erfunden worden war. Seit den Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts wurde dazu Magnesium benutzt, zunächst in Form eines auf einem Tablett ausgestreuten Pulvers, später von imprägnierten Pappstreifen oder Patronen, die mit Feuer gezündet werden mussten - was Unglücke in großer Zahl nach sich zog. Das änderte sich, als der Physiker Johannes Ostermeier, ein Angestellter der Lampenfabrik Hauser in Augsburg, vor neunzig Jahren den "Vacublitz-Blitzkolben" mit elektrischer Zündung erfand, der bald darauf in Deutschland wie in den Vereinigten Staaten zum Patent angemeldet wurde.

Seitdem ist der Blitz des Fotografen weitgehend betriebssicher, unbedingt mobil und fährt nicht nur in Tatorte hinein, sondern auch in Familienfeiern, in denen er die geröteten Gesichter der Verwandten zu plötzlichem Stillstand bringt. Er erhellt Felsgrotten und Wohnungen, in die kein Tageslicht dringt, er ertappt Tiere, die sich im Schutz der Nacht zu ihren Futterstellen schleichen - und er bringt eine ganz eigene Ästhetik hervor, zum Beispiel in der Porträtfotografie, wenn er ein Gesicht gleichmäßig ausleuchtet.

Das "Blitzlichtgewitter" war ein schönes Wort, nicht nur, weil es einen sinnlichen Eindruck vermittelte von den optischen Schocks, die mit Magnesiumbirnen ausgelöst wurden: Der Blitz ist plötzlich, aufdringlich, außerordentlich hell und meist, weil zuvor unbedeutend wirkende Dinge prominent werden, mit einer Verzerrung der Wahrnehmung verbunden. Seine Wirkung ist immer auch eine Entblößung, die sich im Bruchteil einer Sekunde vollzieht. "Blitzlichtgewitter" ist ein schönes Wort auch deshalb, weil es hinter dem technischen Gerät noch eine verschwundene Welt erkennen lässt, in der ein Blitz etwas Erhabenes, Übersinnliches und auf verborgene Mächte Verweisendes war. Frankensteins Unhold, die Schöpfung von Mary Shelley (1818), wird erst im Widerschein der Blitze wirklich lebendig. Herman Melville erzählt die Geschichte vom "Blitzableitermann" (1856), in dem ein aufrechter Pietist dem Alarmismus eines Handelsreisenden widersteht. Tatsächlich sind Literatur und Kunst des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts voller Blitze. In ihnen kündigt sich ein neues, technisches und vor allem elektrifiziertes Zeitalter an, das den Blitz nicht nur bändigt, sondern auch zu einer Metapher der Modernität werden lässt.

Smartphone-LEDs erzeugen weder eine Entblößung noch eine Erleuchtung

Und so wird der Blitz, sobald er in eine Kommodität, also in einen leicht zu bedienenden Apparat namens "Vacublitz" verwandelt worden ist, zu einem bevorzugten Motiv der populären Kultur. Er verbindet sich mit dem Detektiv und dem Reporter, zwei Pionieren der demokratischen Gesellschaft: Der Detektiv holt das Skandalöse aus seinen Verstecken, der Reporter setzt die Öffentlichkeit von den Verletzungen der Ordnung in Kenntnis. In den Fünfzigern gab es eine Fernsehserie mit dem Titel "Man with a Camera", in denen der Held, gespielt von Charles Bronson, beide Funktionen in sich vereint: Er beschafft die Bilder, die sonst keiner zu besorgen vermag, sein wichtigstes Arbeitsgerät ist eine Großformatkamera der Marke Graflex mit seitlich montiertem Reflektor, so schwer, dass sie nur mit zwei Fäusten zu halten war. Sie erscheint auf den Plakaten und in den Trailern zur Serie. Am Ende von Alfred Hitchcocks Film "Fenster zum Hof" (1954) versucht der Fotoreporter L. B. Jefferies (James Stewart), seinen Gegner mit Blitzlichtern außer Gefecht zu setzen, die er sich zuvor zurechtgelegt hat, als wären es Patronen für einen Revolver. Sind nicht beide Helden, Bronson wie Stewart, in ihrer moralischen Untadeligkeit doch zwielichtige Gestalten, dem Voyeurismus auf unheimliche Weise nahe?

Die Blitzlichtbirnen sind verschwunden, zuerst graduell - etwa in Gestalt von Würfeln mit vier Blitzlichtern, die man auf Amateurkameras montieren konnte -, dann vollständig. Das liegt daran, dass die Materialien, mit denen fotografiert wird, heute viel lichtempfindlicher sind, als es die Filme vergangener Zeiten waren. An ihre Stelle sind Elektronenblitzgeräte getreten, die meist mit Xenon gefüllt sind und viele Tausend Male benutzt werden können. In Smartphones werden LEDs verwendet, deren Licht dem Magnesium-Blitz zwar unterlegen ist, die aber die Vorteile minimaler Größe und müheloser Handhabung besitzen.

Im Schein solcher Leuchten ist auch das Blitzlichtgewitter untergegangen: Wenn überall und zu jeder Zeit ein plötzliches Licht aufscheint, hat sich das Gewitter, vermindert um seine Gefährlichkeit, in eine allgemeine Wetterlage verwandelt, in der ein künstlicher Blitz weder eine Entblößung noch eine Erleuchtung zu erzeugen vermag. Man muss nur einmal erleben, wie ein großes Kreuzfahrtschiff im Canale della Giudecca das historische Zentrum von Venedig passiert: Tausendfach blitzt es von den Decks herunter. Diese Szene ist das Gegenbild zur Ankunft des Stars in "La Dolce Vita". Während die Fotografen in diesem Film eine Offenbarung zu inszenieren suchen, die es vielleicht nicht gibt, dient der Blitz, wohl meist unabsichtlich eingeschaltet, den Passagieren des Schiffs vor allem dazu, eine tatsächliche Offenbarung der Gleichgültigkeit eines Massenspeichers zu übergeben.

Was sie nicht sehen: In der Nähe des Markusplatzes hat sich wie durch ein Wunder die Leuchtreklame eines Geschäfts aus der Zeit Fellinis erhalten. "Foto Blitz" steht da mit der Patina eines halben Jahrhunderts. Man kann nur hoffen, dass die Betreiber des längst in der Gegenwart angekommenen Ladens wissen, welch ein Epochen-Monument sie bewahren.

© SZ vom 27.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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