"Finsterworld" im Kino:Zum Knuddeln

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In "Finsterworld" verkleidet sich ein Polizist als Plüschteddy. Statt der erwarteten Orgie lässt er sich von einem Mädchen trösten. (Foto: dpa)

"Finsterworld" hätte eine zersetzende, skandalöse Farce über dieses "hässliche Scheißdeutschland" werden können. Stattdessen ist der Film von Frauke Finsterwalder und Christian Kracht politisch absolut korrekt und furchtbar langweilig.

Von Philipp Stadelmaier

Die Einstellung ist gerade lange genug, um es erkennen zu lassen: In den Radkappen des Geländewagens, der über eine deutsche Schnellstraße braust, drehen sich kleine Hakenkreuze. Es ist eine optische Täuschung, die das bewegte Logo des amerikanischen Herstellers in der Radkappe zum Nazi-Zeichen macht.

Offensichtlich ein Zufall, behaupten die Filmemacher - aber ein passender. Denn die Insassen des Wagens, hedonistische Wohlstandslinke in ihren Fünfzigern, können es kaum erwarten, dieses "hässliche Scheißdeutschland", das einzige Land, in dem Todesrasen erlaubt sei, Richtung Frankreich zu verlassen. Ihr allzu reflexhafter Antifaschismus gerät nur sofort ins Schlingern, sobald es um den Stil der Nazis geht. Denn den hatten sie. Keine Frage.

Die alten Nazis und die guten alten Zeiten werden in "Finsterworld" zur regelrechten Obsession. Da ist etwa der Fußpfleger (Michael Maertens), der sich in eine alte Patientin verliebt, ihr die "Vogelhochzeit" vorzwitschert, die ihn quält und doch nicht loslässt, ihr seine Liebe für die Omi-Bonbons "Werthers Echte" gesteht: pappsüß-karamellige Gerontophilie.

Überdeutliche Satire

Schon die nächste Sequenz hat dann eher einen aschenen Beigeschmack : Da machen Oberstufenschüler einer bayerischen Eliteschule einen Betroffenheitsausflug ins KZ. Der Geschichtslehrer, ein Posterboy des Antifaschismus, läuft erst vor den Gaskammern zu ganzer Form auf. Max (Jakub Gierszal), ein blonder intriganter Schönling, macht dagegen seinem SS-Obersturmbannführer-Charme alle Ehre, als er eine Mitschülerin zum Spaß im Krematoriumsofen einsperrt. Und damit davonkommt.

Dabei spielt "Finsterworld" komplett außerhalb der Geschichte, in einer Parallel- oder eher noch Privatwelt, benannt nach der Regisseurin Frauke Finsterwalder. Die Schüler tragen hier Uniformen und fahren in einem Bus durch die Gegend, dessen buntes Siebzigerjahre-Design ein bisschen an die Retrowelten von Wes Anderson erinnert.

Und Christian Kracht, Finsterwalders Lebensgefährte und Mitautor, hatte offensichtlich keine Lust mehr, erneut in die rechte Ecke gedrängt zu werden, in die ihn Georg Diez anlässlich seines wunderbaren "Imperium" zu Unrecht gestellt hatte. Die meisterhafte Ironie von Krachts Roman weicht hier der Demonstration einer überdeutlichen Satire.

"Die Nazis hatten Stil" - das ist eine dieser Phrasen, der stets ein: "Aber so etwas darf man ja heute nicht mehr sagen" anhaftet. Im Beziehungsstress (im Alltagsfaschismus) findet sich die gleiche Struktur wieder, wenn hier eine Fernsehredakteurin in Ego-Laune ihrem Freund, einem Polizisten, von (belanglosen) Berufsproblemen berichtet, während der versucht, ihr etwas Wichtiges zu gestehen. Bis sie schließlich ausrastet und ihn als Egoisten beschimpft - als ob sie wohl nun auch mal "etwas sagen dürfe".

"Finsterworld" hätte eine zersetzende, skandalöse Farce über ein nationalistisch-narzisstisches Deutschland sein können. Aber der Film ist nicht weniger selbstgerecht als seine Figuren - weil er den Sprung außerhalb der Geschichte macht und sich in einer offensichtlich artifiziellen Welt verschanzt. Es wirkt, als wolle er sich kleingeistig und zynisch in seiner eigenen Anklage mitdenunzieren - und damit entschärfen.

Er ist, mit anderen Worten, selbstreflektiert, politisch absolut korrekt und furchtbar langweilig. Sich prophylaktisch gegen jede Kritik verwahren, weder als links noch als rechts gelten, sich auf keinen Fall etwas unterstellen lassen - das ist hier erkennbar das Ziel. Um aber einen Film wirklich sehen zu können, muss man ihm auch etwas unterstellen dürfen.

Softig-seifige Blenden

Die Finger schmutzig machen will sich "Finsterworld" jedenfalls nicht. Anders etwa als Fassbinder in "Pioniere in Ingolstadt" oder Schlingensief in "Terror 2000". Wenn sich der Polizist als Plüschteddy verkleidet und irgendwann in einer dunklen Halle eine Gruppe weiterer Kuscheltiere trifft, die alle miteinander rummachen, dann hofft man für einen Moment auf die Mutter aller Orgien.

Das Gegenteil tritt ein: Die herumschwenkende Kamera rutscht an den Bildern einfach ab, softig-seifig blenden sie ineinander über. Das Paradigma des Films ist jener neurotische Gymnasiast, der sich während dem KZ-Ausflug auf einer Rasthoftoilette Klopapier unterlegt, damit ihm nicht von unten seine eigenen Exkremente entgegenspritzen.

Stattdessen richtet sich Finsterwalder an der Episodenstruktur eines Robert Altman aus, dem meistüberschätzten Regisseur der Filmgeschichte, dessen Filme in ihrer sinnlosen Komplexität vor allem die Intelligenz ihres Autors demonstrieren. Die Regie ist intelligent bis zum Selbsthass, dessen sie sich natürlich bewusst ist. Die neurotische Fernsehregisseurin (Sandra Hüller) meint irgendwann, sie würde ja gerne Filme wie Antonioni und Haneke machen. Wenn sie aber über Doku-Soap-Aufträge und ihre triste Individualität zwischen Thaifood von der Ecke und Grüner-Veltliner-Kennerschaft nicht hinauskommt - dann heißt das hier, wo auch alles aussieht wie im Fernsehspiel: Ich bin deutsch, und deutsche Filme sind nun mal schlecht.

So demonstriert "Finsterworld" germanische Filmleitkultur: Man ist zart zu sich inmitten einer aufgeschobenen Selbstdesavouierung. Denn Referenzen wie Antonioni oder Haneke einmal ernst zu nehmen, würde die Idylle des Mittelmaßes ja schon sprengen. Am Ende lässt sich der Polizisten-Teddy von einem Mädchen in den Arm nehmen, der Krankenpfleger reibt sich mit Keksen aus Omis Fußschorf ein, ein Waldschrat findet Gefallen an einem Raben und der neurotische Gymnasiast vertraut sich einem Käfer an. Später sitzt er im Geländewagen und lobt das Design des Dritten Reichs. Überall Nazis, sicher - aber zum Knuddeln.

Finsterworld , D 2013 - Regie: Frauke Finsterwalder, Buch: Finsterwalder, Christian Kracht. Kamera: Markus Förderer. Mit Christoph Bach, Margit Carstensen, Corinna Harfouch, Michael Maertens. Alamode, 91 Minuten.

© SZ vom 17.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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