Filmtipp des Tages:Die Wucht des Wassers

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Viktor Kossakovskys "Aquarela" ist ein visuelles Meisterwerk

Von Susanne Hermanski

Wenn langsam, ganz langsam, der Frühling anfängt in Sibirien, wird die Sache lebensgefährlich. Was bis dahin noch ohne weiteres möglich war - den zugefrorenen Baikalsee selbst in schwerem Gerät zu überqueren, um in nächsten Ort zur Arbeit, ins Krankenhaus, zur Familie zu gelangen - wird zum tödlichen Risiko. Der tiefste und ältesten Süßwassersee der Erde, beginnt dann zu tauen. Viele Autofahrer brechen ein, es gibt eigene Einsatzkommandos, die versuchen, sie zu retten . Doch Regisseur Viktor Kossakovsky erzählt dies in seinem visuellen Meisterwerk nicht etwa mit sozialdramatischen Impetus. Er lässt allein die Bilder und die Töne wirken, die die Natur selbst liefert, die das Wasser in seinen unterschiedlichen Aggregatszuständen mit sich bringt, nur die Musik darf noch mitmischen gelegentlich. Er setzt sie ein als eigene symphonisch aufgebaute Naturgewalt, um zu unterstützen, worum es ihm eigentlich geht: Das Wasser in seinem hochdramatischen Kreislauf zu zeigen, vom Eis - unter das Menschen einbrechen, an das sie von unten klopfen und das sich auftürmt zu gigantischen Gletschern - bis zum gischtenden Dampf, in das es sich auflöst im schier endlosen freien Fall der Sturzbäche größter Wasserfälle. Metaphysisch sind seine Dimensionen. Atemberaubend sind diese Bilder, gedreht in 96 Bildern pro Sekunde, was technisch ein enormes Potenzial besitzt, einzelne Regentropfen sichtbar macht, die Fluten von Tsunamis ins Unendliche dehnt. Wiederzugeben ist derlei freilich nur und ausschließlich auf der großen Kinoleinwand. Als große Meditation über das Leben und Vergehen, im Kreislauf, im Fluss.

Aquarela, Regie: Viktor Kossakovsky, der Film läuft im Neuen Arena und in den City Kinos, Zeiten entnehmen Sie Kino und Kino-Donnerstag

© SZ vom 24.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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