Film:Der Vorhang schließt sich

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Was wäre, wenn... Sherlock Holmes über neunzig wäre? In seinem neuen Film spielt Bill Condon das durch - mit dem großartigen Ian McKellen.

Von Susan Vahabzadeh

Wenn eine erfundene Figur sich in Köpfe und Herzen ihres Publikums so nachdrücklich eingenistet hat, dass sie historisch zu sein scheint, dann hat sie ihre eigene Fan-Fiction verdient. Sherlock Holmes ist natürlich so eine Figur, und Bill Condons "Mr. Holmes" spinnt seine Geschichte und seine Persönlichkeit weiter, heraus aus seiner angestammten Welt, der Baker Street, hinein in einen Altersruhesitz; und wir lernen hier, das ist die Prämisse dieser Geschichte, den Mann hinter der Legende kennen, der schon hin und wieder einmal richtigstellen muss, welche Momente dieser Legende sein Chronist Dr. Watson ausgeschmückt hat. Er schleicht sich sogar ins Kino, um endlich einen Sherlock-Holmes-Film anzusehen, zu überprüfen, was man inzwischen aus ihm gemacht hat.

Es gibt, wenn der Film einsetzt, schon lange keinen Watson mehr, es ist kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, und Holmes (Ian McKellen) ist über neunzig. Eine Haushälterin (Laura Linney) mit ihrem kleinen Sohn hat es übernommen, Holmes zu versorgen. Holmes ereilt das allerschrecklichste Schicksal - der Albtraum eines Mannes, der sich ein Leben lang auf das reibungslose Funktionieren seines außerordentlichen Verstandes verlassen hat: Nebel macht sich breit in seinen Erinnerungen, er ist vergesslich geworden.

Es ist ein Haus am Wasser, mit einem großen Garten, in dem Holmes seinem Hobby nachgeht - der Imkerei. Gelée Royal will er haben, es geht dabei um eine Rezeptur, die seinem Verstand wieder auf die Sprünge helfen soll. Mit Roger, dem Sohn der Haushälterin, versucht er dennoch, ein Rätsel zu lösen, das ihn in lichten Momenten immer noch im Griff hat. Er schreibt einen Bericht, über einen alten Fall, eine junge Frau, die Holmes für ihren Ehemann beschatten sollte. Immer wieder wandert er auch in Gedanken durch die eben beendete Japanreise, der er eine neue Gelée-Royal-Rezeptur zu verdanken hat.

Das ist keine Geschichte, die man linear erzählen kann. Regisseur Bill Condon, der zuletzt den Julian-Assange-Film "Inside Wikileaks" gemacht hat, übertreibt es aber ein wenig mit den Rückblenden; und was Holmes da zusammensetzt aus den Bruchstücken seiner Erinnerung, ist nicht unbedingt eine Story, die aus dem Meisterdetektiv eine Legende gemacht hätte. Was "Mr. Holmes" so besonders macht, das ist Ian McKellen, und die Geschichte übers Altwerden, die in diesem Zeitlupen-Krimi steckt.

Man hat McKellen durchaus älter und faltiger gemacht für diesen Auftritt, aber eigentlich steckt das Geheimnis in seinem Spiel, nicht in der Maske: wie er mit ein paar mühsamen Bewegungen, mit zweifelnden Blicken sichtbar machen kann, wie dieser Figur, die er da verkörpert, die Energie entweicht. Es ist, als würde man zusehen, wie sich, ganz langsam, der Vorhang schließt, zwischen ihm und der Welt.

Mr. Holmes, GB 2015 - Regie: Bill Condon. Drehbuch: Jeffrey Hatcher. Kamera: Tobias Schliessler. Mit: Ian McKellen, Laura Linney, Milo Parker. Alamode, 104 Minuten.

© SZ vom 28.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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