Festival:Hingebungsvoll

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Mit großem Applaus ist in Burghausen die 49. Jazzwoche zu Ende gegangen. Eines hat das Festival bekräftigt: Nachwuchstalente mit innovativer Kraft gibt es zuhauf - neue Herausforderungen auch

Von Oliver Hochkeppel

Wenn es denn eines Beweises bedarf, dass man sich rein künstlerisch um die Zukunft des Jazz keine Sorgen machen muss, dann lieferte ihn der bereits zehnte Europäische Burghauser Nachwuchs-Jazzpreis, dessen Wettbewerbskonzert in der vergangenen Woche den Startschuss in die altehrwürdige Jazzwoche Burghausen gab. Die Jury war hinterher sehr stolz auf ihre aus 56 Bewerbern getroffene Vorauswahl, die unterstrich, dass der alles Verfügbare vereinnahmende Jazz die derzeit mit Abstand innovativste Musiksparte ist. Auch erfahrene Nachwuchswettbewerbs-Besucher konnten sich nicht erinnern, schon einmal einen derart dichten, hochwertigen Abend erlebt zu haben. Alle fünf jungen Bands lösten die Aufgabe herausragend, jede hätte man bedenkenlos als Vorband für das Eröffnungskonzert am folgenden Abend auf die Bühne schicken können - vom schillernden, typisch französischen Trio des Pianisten Auxane Cartigny über das konkurrenzlos kunstvolle A-cappella-Damenquartett Of Cabbages And Kings (das legendäre Vorbilder wie Vocal Summit mindestens erreichte, wenn nicht übertraf) bis zum ausgezeichnete Jazz-Quartett des Würzburger Saxofonisten Anton Mangold.

Gewonnen hat schließlich das Berliner Quartett Leléka der Sängerin Viktoria Anton, das alte Volkslieder aus ihrem Heimatland Ukraine auf verblüffend schlüssige und frische Art in einen breit aufgestellten Jazz überführt, ohne die Dramatik des Ausgangsmaterials zu verlieren. Hier machten vier Hochtalentierte Musik, die ihnen erkennbar viel bedeutet - was in einem ziemlichen Kontrast zum seelenlosen Auftritt von Blood, Sweat & Tears stand: Von der Originalbesetzung, ja nicht einmal von den darauf folgenden, ist noch einer dabei in dieser Truppe, die sich die Namensrechte der legendären Jazzrock-Band gekauft hat und nun mit dem knödelnden, schwer gestikulierenden "American Idol"-Gewinner Bo Bice als Frontmann Mucke spielt.

Dieser Auftakt war wieder ein Indiz dafür, wie schwer es geworden ist, Jazz-Namen zu finden, die unter der Woche die riesige Wackerhalle füllen. Wie viele andere Festivals steht auch Burghausen vor der Aufgabe, mittelfristig von den Stars wegzukommen und das Publikum mit thematischer Programmarbeit zu locken. Was freilich 2019 noch nicht passieren wird: Zum Jubiläum, der 50. Ausgabe, wird man sicher noch mal klotzen. So hätte man heuer an eine Verschnaufpause denken können. Die aber fiel aus. So überzeugend waren die meisten Konzerte, dass man sie sich auch im Feierjahr hätte vorstellen können.

Etwa das legendäre New Yorker Town Hall Concert von Thelonious Monk, dessen verlorene Arrangements der Trompeter Charles Tolliver nachformte und mit dem Bebop-Spezialisten Claus Raible in Monks Rolle und einem ordentlichen Orchester durchaus überzeugend neu aufführte. Die Erwartungen vielleicht am stärksten übertraf im Anschluss daran der israelische Star-Bassist Avishai Cohen, hatte man doch sein aktuelles Album "1970" mit viel Gesang (was definitiv nicht seine Stärke ist) und seltsamen Beatles-Bearbeitungen nicht in bester Erinnerung. Hier nun erklang wieder ein mitreißend homogenes Akustik-Trio (mit Omri Mor am Klavier und Noah David am Schlagzeug hat sich Cohen erneut als echter Talentscout erwiesen), das seinen Mix aus mediterran-arabesken Elementen und amerikanischem Powerjazz zelebrierte.

Für viele die größte Entdeckung war die Jazzrausch Bigband, die mit ihrem nicht nur cleveren, sondern eben auch musikalisch überzeugenden Technojazz-Programm auch das eher gesetzte Wackerhallen-Publikum in Wallung brachte. Und das mit Manu Dibangos melodischer Musiksafari quer durch Afrika und die Karibik bis nach Süd- und Nordamerika einen Abend voll spannender Kontraste ergab.

Am Samstagabend fiel - nach einem mit der dynamischen Rock'n'Roll-Röhre Nikki Hill und dem britischen Rhythm'n'Blueser Danny Bryant ebenfalls überdurchschnittlich besetzten Blues-Nachmittag - die Entscheidung zwischen Wackerhalle und Stadtsaal schwer wie nie: Europas Beste werkelten hier wie da. Zum einen überführte der Schlagzeuger Wolfgang Haffner mit einem deutschen All-Star-Sextett bei seinem "Kind of Spain"-Projekt die Sechzigerjahre-Jazztradition in die Gegenwart, bevor der Schweizer Perkussionist und Hang-Erfinder Reto Weber die groovende Weltmusik seiner Squeezeband auch noch mit Beatboxing und Alphorn anreicherte. Noch spannender parallel dazu die lyrisch-bombastischen Geschichten von Frankreichs neuen Vorzeigejazzern Vincent Peirani und Emile Parisien und die komplexen Melodie- und Rhythmusgewitter des einzigartigen norwegischen Saxofonisten Marius Neset. Dessen Quintettbewältigt hunderte von Wechseln und improvisatorischen Wendungen in atemberaubendem Tempo so exakt und verzahnt, dass man es als Normalsterblicher nicht mehr begreifen kann.

Klar, nicht alles kann in einer Woche Festival klappen. Das als Session-Band verpflichtete Quartett mit Tenorsaxofon-Veteran Don Menza und seiner Wiener Rhythmusgruppe erwies sich mitunter als Session-Verhinderungsband. Und bei der Jazznight in den Altstadtkneipen hätte man sich die eine oder andere aufregendere Band aus der zweiten Reihe gewünscht. Doch alles in allem stimmten heuer nicht nur die Zahlen, sondern auch die Mischung und die Tendenz. Was zum Beispiel hätte den Bogen schöner schließen können als der Auftritt des Thomas Kolarczyk Ensembles beim abschließenden "Next Generation Day". Saß doch Kolarczyk schon beim Auftakt als Bassist in der Siegerband Leléka. An Nachwuchstalenten und neuer, atemberaubender Musik herrscht im Jazz also kein Mangel. Bei der Sisyphus-Arbeit, sie auch ans Publikum zu vermitteln, wälzt die Jazzwoche Burghausen den Stein inzwischen kraftvoll mit hinauf.

© SZ vom 13.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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