Festival:Bühnenreife Pop-Avantgarde

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Der zweite Auflage des Musikmarathons "Alien Disko" begeistert in den Münchner Kammerspielen

Von Jürgen Moises

Der Einstieg ist durchaus herausfordernd. Denn der Post-Punk-Sound des britischen Trios Drahla kommt beim Eröffnungskonzert des Festivals "Alien Disko #2"in der Kammer 1 relativ ruppig daher: mit dunklen Bass-Akkorden, wuchtigem Schlagzeug und flirrenden Gitarren. Dabei sehen die Musiker gar nicht so finster aus. Aber wir leben in finsteren Zeiten, überall ziehen diffuse Zukunftsängste auf, da darf man als Band aus dem Brexit-Land durchaus mal musikalische Vorbilder aus der dunklen Thatcher-Zeit zitieren. Das machen Drahla wirklich gut. Und wenn das den Hörer herausfordert: auch gut. Genauso soll die Musik des "Alien Disko"-Festivals nämlich sein. Herausfordernd, experimentell, voller Klänge, "die Genres und Territorien aufbrechen".

Das Festival Alien Disko fand bisher in den Kammerspielen statt. (Foto: Johannes Simon)

Gleichzeitig wollen Markus und Micha Acher von der Münchner Band The Notwist mit ihrer "Alien Disko" zeigen, dass Musik im Gegensatz zu Politik und Nationalismus keine Grenzen kennt. Die Brüder haben das zweitägige Festival kuratiert und an diesem Wochenende zum zweiten Mal in den Kammerspielen veranstaltet. Und man darf sagen: Ihr Plan ging auch dieses Mal wieder voll auf. Da wurden in Richtung Punk, Hip-Hop, Techno, Jazz, Folk oder Afrobeat die verschiedensten Türen aufgestoßen und mit Ländern wie England, Japan, USA oder dem Kongo zahlreiche Territorien abgedeckt. Das geschah mal dissonant, sich überlagernd oder auch im wohligen Einklang.

Mit der Künstlerin und Musikerin Michaela Melián war auch eine gebürtige Münchnerin vertreten. (Foto: Johannes Simon)

Gleich eine Vielzahl von Stilen ließ am Freitag in der Kammer 2 Michael Kuhn alias NAH aufeinander krachen. Und das ganz alleine, elektronisch und visuell verstärkt am Schlagzeug. Punk, Hip-Hop, Techno oder Acid-Jazz, das alles wirbelt der in Philadelphia und Brüssel ansässige Musiker durcheinander, ab und zu rappt er dazu, oder springt ins Publikum und eröffnet einen Moshpit. Ähnlich wuchtig fällt das Konzert des Trios Fire! aus. Deren Musik: eine Art Slowjazzcore mit kreischendem Saxofon. Das US-Hip-Hop-Duo Shabazz Palaces vermengt parallel dazu in Kammer 1 ähnlich wie NAH Samples mit Percussion. Kräftige Bässe treffen auf Afrobeat, Soul und jazzige Rhythmen. Das klingt tanzbar, aber auch psychedelisch und oft melancholisch, so als hätte sich eine Art tiefe Trauer über die afroamerikanische Geschichte hineingewebt.

Das britische Trio Drahla präsentierte Post-Punk-Sound. (Foto: Johannes Simon)

Wer es am Freitag etwas ruhiger wollte, der konnte zu Michaela Melian oder zu den Isländerinnen Amiina in Kammer 3 gehen. Wenn er Glück hatte, denn wegen Überfüllung blieb die Tür dort meist verschlossen. Das war dann doch ein kleiner Wermutstropfen, genauso wie die Tatsache, dass es von Kammer zu Kammer nach draußen durch die Kälte ging. Und das gerne mal nur im Pullover, weil es sonst immer: die Jacke abgeben, bitte, hieß. Dafür konnte man sich nostalgisch bei Ms John Soda aufwärmen. Von der Münchner Band um Micha Acher und Stefanie Böhm hatte man in den vergangenen Jahren nicht viel gehört. Auch beim Londoner Duo Tomaga gab es oft ruhige Klänge. Sphärische Instrumentalmusik mit Anklängen an Drum'n'Bass, und das tatsächlich auch an Bass und Schlagzeug gespielt.

Am Samstag waren dann The Notwist dran, mit einem auf eine Stunde verkürzten Konzert in Kammer 1, bei dem sie diesmal Filmmusik und Instrumentalstücke kredenzten. Parallel dazu konnte man sich das Experimentalduo Sculpture in Kammer 2 mit seinen faszinierenden, analog mit Plattenspieler und Projektor erstellten Visuals ansehen. Danach gab es Herzerwärmendes mit Spirit Fest: einer deutsch-japanisch-britischen Dreampop-Formation um Markus Acher, die sich bei der "Alien Disko #1" gegründet hat. Die legendären Konono Nr. 1 aus dem Kongo heizten einem ebenfalls mit ihren hypnotischen Rhythmen ein. Das gleiche gilt für den "Alien Soundclash" und die "Gutfeeling Disko", den abschließenden Jamsessions im Blauen Haus.

Ab und an setzte wegen der Kälte und zu langer Schlangen am ausverkauften Samstag kurz der Festivalblues ein. Aber dann stolperte man fast zufällig beim Konzert des Folksängers Sam Amidon hinein, und wurde von einem neunköpfigen Blas- und Streich-Begleitorchester überrascht. Das war dann einer dieser wunderbaren, unerwarteten Momente, die einen sofort wieder versöhnten. Und die schließlich nur noch zu dem einzigen Gedanken führten: Wann kommt endlich "Alien Disko #3"?

© SZ vom 18.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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