Festival:Barden in der Menge

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Immer wieder spektakulär, wie sich der Nürnberger Hauptmarkt beim Bardentreffen in ein fröhliches Menschenbad à la Woodstock verwandelt. Mit dem Frankfurter Balkan-Hipster Shantel und seinem Bucovina Club Orkestar ging es dort am Sonntag ins spritzige Finale. (Foto: Berny Meyer)

Aus der kleinen Idee von einst ist ein internationales Großereignis geworden: In Nürnberg begegnen sich zahlreiche Sänger aus aller Welt, um auf Bühnen und Straßen zu musizieren

Von Oliver Hochkeppel

Zweifelhaft, ob sich viele der geschätzt 200 000 Zuschauer von schlechtem Wetter vom Besuch des Nürnberger Bardentreffens am vergangenen Wochenende hätten abhalten lassen. Das Glück war den Veranstaltern sowieso wieder hold: Am Freitag war's richtig schön, ja fast schon zu heiß, am Wochenende - abgesehen von einem Stündchen leichtem Regen - bewölkt und deswegen angenehm, während im nahen Erlangen die Keller voll liefen und es sich in München wie üblich einregnete. Doch Wetter hin oder her, "die meisten Leute kommen sowieso", sagt Andreas Radlmaier, der Projektleiter im Kulturreferat der Stadt. Einfach, weil Inhalt und Verpackung bei diesem Festival so unglaublich gut zusammenfinden.

Aus dem Stelldichein einiger bewegter Liedermacher zur Belebung der verödenden Innenstadt ist während des 44-jährigen Bestehens ein europaweit führendes Großereignis nicht nur für moderne Songwriter-Musik aller Art, sondern für fortschrittliche Roots Music aus aller Welt geworden. Jahr für Jahr wird dabei der malerischste Teil der Nürnberg Altstadt in eine Klangwolke getaucht. Man flaniert an Heerscharen von Straßenmusikanten - heuer auffällig viele Kinder - von Bühne zu Bühne, sieben mit Musik, drei mit Gesprächen, Tanz-Workshops und Filmen. Der eine Schwerpunkt ist der Hauptmarkt, wo die publikumsträchtigsten Acts bis zu 40 000 Leute bespielen, mit dem benachbarten Sebalder Platz, wo vor allem internationale Singer-Songwriter auftreten, und dem Lorenzer Platz, der Bühne für die heimischen Bands. Der andere ist die Insel Schütt, wo das Kinderprogramm und junge wilde Weltmusik ihre Heimstatt haben, samt der Kirchenruine St. Katharina nebenan, wo auch die ruhigeren oder avantgardistischeren Sachen funktionieren.

So ist das Bardentreffen inzwischen zur Marke geworden, dem wohl auch ein lieblos zusammengebuchtes Programm wenig anhaben könnte. Der Ehrgeiz des jungen künstlerischen Leiters Rainer Pirzkall sieht natürlich anders aus. Im Rahmen eines vergleichsweise bescheidenen Etats - alles ist ja umsonst, während schon der technische und organisatorische Aufwand bei so vielen unterschiedlichen Spielstätten enorm ausfällt - versucht er, die wichtigsten Namen und interessantesten Newcomer der Szene aufzubieten, für jede Bühne die passenden Künstler und dann auch die dramaturgisch beste Abfolge der Konzerte zu finden, und darüberhinaus auch noch einen aktuellen Schwerpunkt zu setzen. "World Wild Akkordeon" nannte sich der heuer, bei mehr als 20 der gut 90 Konzerte stand also das vermeintlich verstaubte Volksmusikinstrument in seinen aktuell auf vielfältigste Weise genutzten Spielmöglichkeiten im Mittelpunkt.

Selbst davon konnte man logischerweise nicht alles sehen, vieles läuft ja parallel. Beim Bardentreffen muss sich jeder sein individuelles Programm zusammenstellen. Ebenso subjektiv sind Enttäuschungen und Entdeckungen. Neues und Spannendes war bei Pirzkalls Auswahl jedenfalls genug dabei. Vom wuchtigen französischen A-Cappella-Electro-Beatbox-Quartett Berywam, das selbst noch Carmina-Burana-Passagen fett und tanzbar machte, bis zum Klezmer-Revolutionär Daniel Kahn, der die besten Texte des Genres schreibt. Von den nordischen Circen Fjarill bis zur meisterlichen Brazil-Formation Ayom, deren Sängerin Jabu Morales auch das schönste Kleid des Festivals präsentierte. Von den beeindruckenden britischen Neo-Folkies Will Pound & Eddy Jay bis zum Hamburger Pop-Song-Bildhauer Niels Frevert. Von den Kölner Publikumslieblingen Bukahara bis zum französischen Akkordeon-Zauberer Vincent Peirani. Der setzte am Sonntag mit einem Konzert den Schlusspunkt, das Radlmaiers Zwischenfazit nachdrücklich unterstrich: dass das Bardentreffen "wie ein Glücksverstärker wirkt".

© SZ vom 30.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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