Feminismus:Erfolgsfähnchen

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Barbara Sichtermann: Viel zu langsam viel erreicht. Über den Prozess der Emanzipation. Zu Klampen Verlag, Springe 2017. 160 Seiten, 18 Euro. E-Book 13,99 Euro. (Foto: N/A)

Barbara Sichtermann schaut auf die Kampfesjahre zurück und verspricht eine Bestandsaufnahme der Emanzipation: "Viel zu langsam viel erreicht".

Von Susan Vahabzadeh

Es gibt ziemlich viele Dinge in unserer halbwegs heilen westlichen Welt, die uns sehr viel etablierter vorkommen, als sie eigentlich sind. Einst gab es nur sehr wenige Frauen, die nicht heirateten, und das war meist gar nicht lustig. Sie wurden frühzeitig in der Schublade für olle Jungfern abgelegt, mussten für sich selber sorgen, hatten ihren Geschlechtsgenossinnen im Ehestand gegenüber aber den Vorteil, dass sie, weil es ja keinen Gatten gab, auch keinen solchen um die schriftliche Genehmigung bitten mussten, ein Bankkonto eröffnen zu dürfen. Das kommt einem jetzt vielleicht so vor wie eine Räuberpistole aus dem vergangenen Jahrhundert, aber eigentlich haben alle Frauen, die heute über siebzig sind, diese Zeiten noch erlebt. Das gilt auch für Barbara Sichtermann, ehemals Fernsehkritikerin der Zeit. Wie sie den Zustand der Gleichberechtigung einschätzt, hat sie aufgeschrieben in dem Band "Viel zu langsam viel erreicht".

Um einordnen zu können, wie weit wir gekommen sind, muss man vor allem erzählen, wie es war. Sichtermanns Buch ist also so eine Art Bestandsaufnahme. Bekommen Frauen weniger Raum, weil sie von vorneherein weniger beanspruchen? Woher kam die Prüderie der Nachkriegszeit, wie ging es mit ihr dahin? Was ist von der sexuellen Revolution übrig? Sichtermann kommt dabei auf sehr interessante Gedanken. Beispielsweise, dass sie findet, die bezahlte Hausarbeit, die in den frühen Siebzigern gefordert wurde, sei ein Irrweg gewesen, weil Hausarbeit eben nicht das selbe sei wie ein Job - nicht besser oder schlechter, sondern einfach anders; und so legt sie den Gedanken nahe, dass dieser tollkühne Plan vergangener Zeiten, das Zuhause-Bleiben staatlich zu subventionieren letztlich auch nur so eine Art Herdprämie war.

Ein Essay sei ihr Buch, so schreibt Sichtermann vorweg. Kein Grundsatzwerk also; aber sie macht es sich dann doch ein bisschen leicht. Frauenemanzipation ist ein Wirtschaftsfaktor auf dem Weg nach oben, diagnostiziert Sichtermann - was ein bisschen dürftig ist angesichts all der klugen, wenn auch nicht immer besonders gut sortierten Gedanken, die sich Laurie Penny in ihren Büchern über den Zusammenhang von Feminismus und Kapitalismus gemacht hat. Sichtermanns Beweisführung aber geht so: Dass Emanzipation Fortschritt ist, will sie daran erkennen, wie die "Machtcliquen" in armen Ländern an ihren patriarchalischen Privilegien kleben - als Beispiel nennt sie Iran. Wenn das so ist, warum ist das wesentlich reichere Saudi-Arabien dann noch rückschrittlicher? Eine solche Argumentation wirkt, um es höflich zu sagen, unterinformiert.

Gleich mehrfach will sie wissen, dass "Schlachten gewonnen" sind, die beispielsweise um die Freiheit, sich als Frau für einen Lebensentwurf zu entscheiden, in dem Kinderkriegen einfach mal nicht vorkommt. Tatsächlich ist das viel leichter als früher - aber deswegen ist die Schlacht noch lange nicht geschlagen. Das sieht aus sicherer Entfernung nur so aus. Auch wenn sich jemand nach einem halben Jahrhundert Feminismus tausend Mal wünscht, ein paar Erfolgsfähnchen mehr in die Landkarte der Zielsetzungen von 1968 einrammen zu dürfen. Die echte Gleichberechtigung, die keine Gesetzgebung mehr braucht, um Diskriminierung zu unterbinden, die komplette Ächtung von Gewalt - davon sind wir immer noch sehr weit weg. Und viele Errungenschaften, viele Freiheiten, die in den letzten fünfzig Jahren erkämpft wurden, gelten nicht für alle und nützen vielen Frauen nichts. All jenen alleinerziehenden Müttern beispielsweise, die vom Unterhaltsrecht übervorteilt werden, bei der Verteilung von Krippenplätzen aber nicht bevorzugt. Von denen schreibt Barbara Sichtermann nicht, in eine Bestandsaufnahme würden sie aber vielleicht hineingehören. Sonst wäre der Feminismus ja eine Klassenfrage. Und spätestens, wenn Sichtermann die Unterschiede in den Gehältern erklärt - der Mann gilt immer noch als alleiniger Ernährer -, würde die trostlose Erkenntnis, dass Frauen heute oft nicht nur für sich selber sorgen, irgendwie dazugehören, in einer Bestandsaufnahme. "Viel zu langsam viel erreicht" hat die Vergangenheit im Griff; aber ein bisschen mehr Gegenwart hätte dem Buch vielleicht nicht geschadet.

© SZ vom 10.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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