Father John Misty im Interview:Geht die Welt den Bach runter?

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Glaubte, die Überschrift dieses Interviews vorhersehen zu können: Father John Misty. (Foto: Ben Rayner)

Father John Misty veröffentlicht gerade das schönste und deprimierendste Album des Jahres. Der perfekte Gesprächspartner also, um über den Untergang zu reden.

Interview von Julian Dörr

Es ist ja jetzt schon die Songzeile des Jahres, mindestens: "Bedding Taylor Swift/ Every night inside the Oculus Rift/After mister and the missus finish dinner and the dishes". Virtueller Sex mit Taylor Swift. Mehr ist nicht geblieben vom Internet, der großen utopischen Freiheitsmaschine. Wenn es nach Father John Misty geht. Der hat diesen Song, "Total Entertainment Forever", nämlich geschrieben. Und wie der Titel schon verrät, geht es darum, dass sich die Menschheit zu Tode amüsiert. Ein ziemlich düsteres Bild, das Father John Misty auf seinem dritten Album "Pure Comedy" noch um ein großes, alles vernichtendes Erdbeben, überfüllte Städte, Jeans aus Ausbeuterbetrieben und vereinsamte Smartphone-Narzissten ergänzt. Father John Misty heißt eigentlich Josh Tillman und spielte, dem evangelikalen Elternhaus entflohen, Schlagzeug bei den sehr ernsten Folk-Bärten der Fleet Foxes. Inzwischen ist er ein halber Popstar, schreibt Songs für Beyoncé und Lady Gaga und hat die perfekte Balance zwischen Todesernst und der eigenen Lächerlichkeit gefunden. Keiner ätzt gerade so wundervoll über das sinnlose Leben auf dem gottlosen Felsen Erde. Ein perfekter Gesprächspartner also, um mal über den Untergang zu reden.

SZ.de: Mr. Tillman, geht die Welt den Bach runter?

Josh Tillman: Nun ja, dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik nach schon.

Und nach Father John Misty?

Was spielt es für eine Rolle, was ich denke?

Ich würde es gerne wissen.

Wenn Sie jemanden fragen, ob die Welt zugrunde geht, dann bringen Sie ihn in eine Position, in der er sich nur blamieren kann.

Das war nicht meine Absicht. Aber der Untergang scheint ein Leitmotiv Ihres neuen Albums zu sein.

Ich weiß, was Sie meinen. Aber eigentlich ist das große Thema meines Albums, dass wir wirklich überhaupt nichts wissen. In tausend Jahren werden die Menschen der Zukunft über die Dinge lachen, die wir zu wissen glaubten. Jede Generation denkt, sie erlebe gerade das Ende der Welt. Es gibt immer genug Beweise dafür, dass die Dinge schlechter werden. Aber andererseits: Fragen Sie mal jemanden, der taub ist und der aufgrund einer neuen Erfindung heute wieder hören kann. Für den läuft es ziemlich gut. Ein wundervolles und schönes Nebenprodukt des Fortschritts.

Wenn man sich Ihr Album "Pure Comedy" anhört, kann man schon ins Zweifeln kommen, was den Fortschritt anbelangt. Da geht es um unwirtliche Städte, um Technik, die uns in einsame Narzissten verwandelt, und um Menschen, die noch im Augenblick des Todes Sklaven ihres Newsfeeds sind.

Es ist schwierig. Schauen Sie sich mal Tinder an. Es ist so einfach zu sagen: "Oh mein Gott, das ist das Ende der Welt, das Ende der romantischen Liebe! Warum treffen sich die Leute nicht mehr spontan?" Und dann überlegt man, wie es wohl war, als die Bar erfunden wurde. Die Leute haben damals bestimmt gesagt: "Oh mein Gott, das ist das Ende des klassischen Umwerbens. Studenten können sich jetzt an einem Platz treffen, wo alkoholische Getränke serviert werden, und dann gehen sie nach Hause und schlafen miteinander? Das ist das Ende der Welt!" Jede Zeit bringt etwas Neues, das wir erschreckend finden, weil wir es nicht verstehen.

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Das erinnert an ein Zitat des britischen Schriftstellers Douglas Adams: "Alles, was erfunden wird, bevor man 35 ist, ist neu und aufregend und revolutionär. Alles, was erfunden wird, nachdem man 35 wurde, geht gegen die natürliche Ordnung der Dinge."

In jedem Leben gibt es diesen Wendepunkt. Für manche ist er früher, für andere später. Immer aber ist es der Punkt, an dem Melancholie und Nostalgie in dein Leben treten. Dann wird dir klar, dass es da etwas gibt, das verloren gegangen ist.

Und was ist problematisch an Nostalgie?

Sie zeigt, wie besessen die Menschen von ihrem eigenen Leben und der Bedeutung ihrer eigenen Existenz sind. Wir sind so fest davon überzeugt, dass die Welt endet, wenn wir sterben. Aber die dreht sich einfach weiter.

Ihre Platte ist also sehr demütig?

Ja. Was Sie als Endzeitstimmung empfinden, sind eigentlich Referenzen zu unserer Bedeutungslosigkeit.

Wie steht es denn nun um den Menschen?

Die einzige echte Gefahr, die die menschliche Rasse wirklich bedroht, ist die Isolation voneinander. Wir leben in mehr und mehr abgeschotteten Geisteszuständen. Dabei können wir nur überleben, wenn wir füreinander sorgen. Und gewisse soziale Technologien haben so eine Tendenz, uns etwas nur vorzugaukeln, was wir eigentlich wirklich brauchen: das Leben in der Gemeinschaft. Das Internet sollte einmal die Macht sein, die die Welt miteinander verbindet. Heute gehen wir ins Netz und lesen all diese fürchterlichen Sachen, die wir übereinander schreiben. Das ist zerstörerisch.

Diese Empörungskultur prägt unsere Zeit. Wir Journalisten versuchen, sie zu reflektieren. Aber wir nähren uns auch an ihr, wir befeuern sie. Deshalb frage ich Sie, Mr. Tillman, was kann ich als einzelner Journalist machen, um diesen Kreislauf zu durchbrechen?

Ihr könnt revoltieren! Ihr könnt eure Vorgesetzten stürzen. Ihr könnt eure Verleger entmachten. Das ist wirklich alles, was ihr tun könnt. Go murder your editor. Und ironischerweise wird genau das jetzt das Zitat sein, das ihr über dieses Interview schreibt. Ihr Chef wird sagen: "Bringt eure Chefs um? Das wird jede Menge Klicks bringen."

Okay... abwarten! Lassen Sie uns doch lieber weiter über technologischen Fortschritt reden.

Genau. Wir haben diese iPhones jetzt schon wie lange? Zehn Jahre? Und was machen wir damit? Wir bewerten Restaurants, machen Fotos und twittern. Dafür, dass wir die ganze Zeit darüber reden, wie großartig diese Technologie ist, benutzen wir sie für ziemlich dumme Dinge.

Glauben Sie, dass Pop dazu beitragen kann, eine bessere Welt zu schaffen?

Wollen Sie die kurze Antwort?

Ja, fangen Sie mal mit der kurzen an.

Nein.

( Wie zu erwarten war, lacht er hier lange und herzhaft über den vorbereiteten Witz)

Dann vielleicht doch die längere.

Pop kann gesellschaftliche Missstände nicht ändern, weil es eben genau sein Zweck ist, die Menschen davon abzuhalten, über die Welt nachzudenken. Pop will dich die Welt für drei Minuten vergessen lassen. Und nicht kritisch analysieren.

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Aber kann ein Popstar wie Beyoncé nicht auch ein Bewusstsein schaffen für große, gesellschaftsrelevante Themen?

Sie kann es schon versuchen. Aber das Establishment wird sich revolutionäre Ideen nur für kurze Zeit aneignen, ohne sie jemals vollständig aufzunehmen und zu integrieren. So funktionieren Revolutionen nicht. Bestes Beispiel: Beyoncé und die Black-Panther-Outfits während der Halbzeitshow des Super Bowl. Das Establishment sagt: "Klar lassen wir dich hier dein kleines Ding machen für den Moment. Aber wir werden die revolutionäre Politik dahinter niemals zulassen. Wir werden uns ihr symbolisch anbiedern, aber wir müssen immer noch Doritos verkaufen können." Das ist übrigens der beste Weg, revolutionäres Gedankengut zu neutralisieren. Indem man es kurzzeitig absorbiert. Das ist sehr gefährlich. Denn es lässt das Establishment aussehen, als sorgte es sich, während es sich in der Tat aber einen Scheiß kümmert.

So wie bei Donald Trump.

Donald Trump hat sich die Werte der amerikanischen Arbeiterklasse angeeignet. Aber er hatte nie vor, sie wirklich in seine Politik zu integrieren.

All unsere zynischen Trump-Witze und Parodien sind wahr geworden.

Satire basiert letztendlich auf dem tief sitzenden Glauben, dass die Dinge niemals so schlimm werden können. Deshalb ist sie ja lustig. Nun sind die Dinge aber so schlimm geworden.

Heißt das, dass das Zeitalter der Satire und der Ironie vorbei ist? Müssen wir jetzt alle aufwachen und uns zusammenreißen?

Mit Ironie ist das so eine Sache. Jesus war sehr ironisch. Er sagte, dass die Ersten die Letzten sein werden. Und die Letzten die Ersten. Und dann ist da noch diese retroaktive Ironie, dass eine der größten Religionen der Welt auf einer anti-religiösen Figur aufgebaut ist. Laut Jesus wird es im Königreich Gottes keine offizielle Gottes-Regierung oder irgendeine moralische Instanz geben. Das Königreich Gottes lebt in uns allen. Sowohl Liberale als auch Konservative in den USA verhalten sich aber gerade wie die Pharisäer aus der Zeit Jesu. Sie wollen buchstäblich ein Königreich Gottes auf Erden errichten. Aber den Menschen fehlt dazu die Weisheit.

Ist das Ihre zentrale Botschaft: Den Menschen fehlt die Weisheit?

Wenn ich so etwas habe, dann ist es das: Wir müssen einfach nur aufeinander aufpassen. Wir müssen unseren Nächsten lieben. Das ist die "Pure Comedy" dieses Albums, der ganze Witz. Die Antworten sind sehr einfach. Sie sind nicht so anspruchsvoll, wie es unsere intellektuelle Eitelkeit gerne hätte.

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