Die übrigen Vorstandsmitglieder scheinen sich dem kritischen Befund ihres Vorsitzenden angeschlossen zu haben. Aber sowohl Hallström als auch Österling, der Mann vorgeschlagen hatte, meinten, dass er trotzdem für den Preis in Frage komme, allerdings aufgrund seines früheren Schaffens.
Manns Debütroman "Die Buddenbrooks" wird als "ein Höhepunkt in der zeitgenössischen Romandichtung schlechthin" bezeichnet.
(Foto: dpa)Dabei dachten Hallström und Österling vor allem an die "Buddenbrooks", einen Roman, der sich laut Hallström "im Laufe der Jahre immer deutlicher als ein Musterbeispiel realistischer Dichtung erwiesen hat, unter den Werken dieses Genres in der deutschen Literatur ohne Pendant und mit dem Besten vergleichbar, was in anderen Ländern hervorgebracht wurde". Wäre Anders Österling nicht gewesen, hätte Mann möglicherweise in diesem Jahr den Preis bekommen.
Österling wollte sich nämlich, was ein wenig verwundert, nicht hinter Manns Kandidatur stellen - die er ja selbst angeregt hatte -, sondern sprach sich für die Ehrung Maxim Gorkis aus, den Tor Hedberg und Verner von Heidenstam, der Preisträger des Jahres 1916, vorgeschlagen hatten. Damit war Hallström unter den Mitgliedern des Nobelkomitees der einzige, der die Kandidatur Thomas Manns unterstützte.
Die Lorbeeren gingen schließlich an Henri Bergson, der nach kleineren Meinungsverschiedenheiten darüber, ob er als einflussreicher Autor vorwiegend philosophischer, nicht aber belletristischer Werke für die Auszeichnung in Frage käme, den zurückgestellten Preis des Jahres 1927 erhielt, und an Sigrid Undset, die Preisträgerin des Jahres 1928 wurde.
Nichtsdestoweniger erscheint Mann auf der Vorschlagsliste der Kandidaten für 1929, abermals - und nun umso nachdrücklicher - vorgeschlagen von Anders Österling. Per Hallström leitet das Gutachten des Nobelkomitees mit der Feststellung ein, dass er als Sachverständiger seiner Einschätzung aus dem Vorjahr nichts Neues hinzuzufügen habe, da seither kein neues Werk des Schriftstellers in Druck gegangen sei. Er begnüge sich damit, noch einmal auf die Gründe hinzuweisen, die für die Berücksichtigung des Vorschlags in der Akademie bereits angeführt worden seien.
Des Weiteren erinnert Hallström daran, dass diese Gründe sich "vor allem auf frühere Werke des Verfassers" beziehen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt "ziemlich lange zurückliegen" und "schon vor langer Zeit hätten beachtet werden sollen, aber erst 1924 in Betracht kamen, als die Kandidatur von deutscher Seite vorgeschlagen wurde". Darauf folgt, mit fast panegyrischem Feuer, Hallströms Beschreibung der "Buddenbrooks".
Manns Debütroman wird als "ein Höhepunkt in der zeitgenössischen Romandichtung schlechthin" bezeichnet. Und geschwind stellt Hallström den Roman in einen literarischen Kontext, von dem er weiß, dass er bei den Komiteemitgliedern gut ankommt: "In seinem menschlichen Gehalt, wenn auch nicht in der Großartigkeit des Stils, nähert er sich dem klassischen Realismus Tolstois an und behauptet dabei seine Eigenständigkeit schon durch die Unterschiede in Milieu und Kultur - bei dem Deutschen ist das Bürgertum, was bei dem Russen der Adel war."
Der Schlüsselbegriff "menschlicher Gehalt", der wohl auf das Postulat des Nobel-Testaments anspielt, der Preisträger solle "der Menschheit den größten Dienst erwiesen haben", verbunden mit der taktisch klugen Charakterisierung des Mann'schen Romans als eigenständig in seinem "bürgerlichen" und deshalb wohl in höherem Maße "allgemeinmenschlichen" Ansatz, hebt ihn auf eine Stufe mit der literarischen Majestät.
Im nächsten Satz ruft Hallström dann etwas unvermittelt in Erinnerung, dass das gepriesene Buch "mit seinem hohen Wert" aus dem literarischen Schaffen Manns nicht einsam herausragt, sondern dass man dort "mindestens eine längere Erzählung erspähen kann, die genauso vollendet ist, nämlich ,Tristan', und eine weitere, ,Tonio Kröger', die dem recht nahe kommt". Hallström ergänzt, beide seien "bemerkenswert wegen ihres Ideengehalts: der bei einem Dichter ungewöhnlichen, kühnen Parteinahme für die gesunde, prosaische Einfachheit des Lebens und gegen die ästhetische Verkünstelung".