Elmar Schenkels Sachbuch: "Unterwegs nach Xanadu":Oh, wie schön ist Xanadu

Lesezeit: 3 min

Bestaunter Guru: Maharishi Mahesh Yogi wurde als "spiritueller Lehrer der Beatles" berühmt, er starb 2008 im Alter von 91 Jahren. (Foto: Peter Wijnands/dpa)

Der Kulturwissenschaftler Elmar Schenkel hat ein Buch geschrieben über die Träume und Trugbilder der abendländischen Faszination für den Fernen Osten.

Von Harald Eggebrecht

Von Marco Polo, dem sagenumwobenen ersten China-Besucher aus dem Westen, bis zum indischen Popguru Baghwan lässt Elmar Schenkel einen schillernden Reigen von Persönlichkeiten antanzen, die vom regen, manchmal überraschenden, manchmal befremdenden, immer aber hochinteressanten und erhellenden Austausch zwischen Fernost und dem Okzident zeugen. In drei Großkapiteln - Indien, China, Japan - versammelt Schenkel, Jahrgang 1953, emeritierter Anglist von der Universität Leipzig, Porträtskizzen, die belegen, wie verflochten fernöstliches Denken und Handeln in Religion und Mythologie mit abendländischen Denk- und Glaubenstraditionen sind.

Doch damit nicht genug, denn nicht nur reale Begegnungen spielen eine Rolle, sondern auch Projektionen, Träume und Trugbilder. Man denke an das verwunschene Shangri-La, irgendwo im Himalaya in Tibet versteckt und unauffindbar für den Normalsterblichen wie einst im mittelalterlichen Abendland die Gralsburg Montsalvatsch. Oder jener Wunderort Xanadu, wo Kublai Khan sich einen kuppelreichen Palast erbauen ließ, wie es in Samuel Taylor Coleridges Gedichtfragment heißt, das angeblich erste unter Drogeneinfluss entstandene Poem: "In Xanadu did Kubla Khan/ A stately pleasure-dome decree".

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Die einflussreichsten Indologen haben das Land ihrer Sehnsucht nie betreten - und wollten es wohl auch nicht

Die bis in die Gegenwart reichende Wirkung von solchen Heilsorten, an denen Weisheit und Frieden, Wohlstand und Glück den dort lebenden Menschen gewiss sind, wenn sie sich denn lossagen von all jenen materiellen und selbstsüchtigen Bestrebungen, die Herz und Geist verhärten. Schenkels Porträts werden jedenfalls zu einem so abwechslungsreichen wie widerspruchsvollen west-östlichen Bildersaal, der große Lust auf weiterführende Lektüre macht.

Welche Träume allein Indien auslöste in deutschen Dichter- und Denkerköpfen, zeigt sich etwa in den Biografien der beiden Indologen Max Müller (1823-1900) und Heinrich Zimmer (1890-1943). Müller, Sohn des "Winterreise"-Dichters Wilhelm Müller, der ein großer Griechenkenner war, ohne je in Griechenland gewesen zu sein, wurde zum ersten und wichtigsten Übersetzer aus dem Sanskrit und anderen altasiatischen Sprachen. Er entwickelte aus seinen umfassenden Kenntnissen Altindiens heraus das wissenschaftliche Konzept von vergleichender Religionswissenschaft und vergleichender Mythenforschung und bekleidete als Erster den neuen Lehrstuhl für vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Oxford.

Elmar Schenkel: Unterwegs nach Xanadu - Begegnungen zwischen Ost und West. S. Fischer, Frankfurt 2021. 368 Seiten, 26 Euro. (Foto: N/A)

Max Müller wiederum ist bis heute für Indologen und auch in Indien selbst eine der Portalfiguren der Indienforschung - Goethe-Institute werden in Indien gern als "Max Mueller Bhavan" bezeichnet -, er wurde im deutschen Sprachraum nach seinem Tod vergessen. Dabei geht auf ihn der Begriff des "Arischen", einem Wort aus dem Sanskrit, zurück, das er allerdings nur auf seine Forschungen der einschlägigen Sprachfamilie bezog. Dass daraus dann von anderen ein Rassismuskonzept gemacht wurde mit grauenvollen Folgen, dagegen hat Müller energisch protestiert. Es sei gegen jede Logik, Sprachfamilien mit physischer Rasse oder Abstammung gleichzusetzen.

In diesem düsteren Zusammenhang zeichnet Schenkel auch den Lebensweg der monströsen Nazi-Anhängerin Savitri Devi nach, die an Hitler, Hakenkreuz und den Sieg der Arier fanatisch glaubte, sich unermüdlich mit Alt- und Neonazis und Holocaustleugnern traf: Die gebürtige Französin ist in einschlägigen Kreisen immer noch bekannt.

Selbst in Indien war der große Indienforscher Max Müller nie. Auch Heinrich Zimmer, ebenfalls Indologe mit großer Nachwirkung bis heute, hat das Land seiner Sehnsucht nie betreten und wollte es wohl auch nicht, um nicht durch die harte Realität des indischen Lebens aus seinen romantischen Träumen einer allweisen uralten Kultur aufgeweckt zu werden.

Schenkel geht auch dem fatalen Mythos von der "Gelben Gefahr" nach

Bestaunt wurden die indischen Gurus, Swamis und Yogis, wenn sie in den Westen kamen, immer. Sie machten - wie Vivekananda auf der Konferenz der Weltreligionen in Chicago 1893 oder der erste indische Literaturnobelpreisträger Rabindranath Tagore auf seinen Weltreisen, die ihn auch mit Albert Einstein zusammenbrachten - Furore durch eminente Bildung und große Friedens- und Weisheitsreden. Sie wurden berühmt als Lehrer der Beatles wie Maharishi Mahesh Yogi. Oder sie inspirieren als Propagandisten der Gewaltlosigkeit wie Mahatma Gandhi bis heute westliche Bürgerrechtsbewegungen. Auch auf Rudolf Steiner, Hermann Hesse oder C.G. Jung wirkte der Zauber Indiens nachhaltig.

Das China-Kapitel beginnt danach mit der Pilgerfahrt des uigurischen Mönchs Rabban Bar Sauma nach Rom. Die Reise wird etwa zehn Jahre dauern. Zuvor waren nestorianische Christen, die 431 auf dem Konzil von Ephesus als Häretiker verurteilt wurden, bis nach Sumatra ausgewichen. Der große China-Verehrer Gottfried Wilhelm Leibniz tritt auf, und Schenkel geht dem fatalen Mythos von der "Gelben Gefahr" nach, der mit dem Überfall auf Pearl Harbour dann auf Japan übertragen wird.

Japan erweist sich im letzten Kapitel schließlich als die fernste Kultur. Vieles bleibt geheimnisvoll: die Strenge und "Reinheit" des Zen-Buddhismus, die Konzentration der Haiku-Gedichte oder die Farbigkeit und Poesie des Japonismus, also die besonders im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert aufkommende Japanmode, die Kunst, Musik und Literatur unter dem Eindruck der berühmten Holzschnitte von Hokusei und anderen ergreift, man denke an Claude Debussys "La mer" oder Van Goghs Japan-Faszination. Ihrerseits ergreifen die Japaner nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings die Initiative, lernen den Westen nicht nur kennen, sondern lassen sich auch von seinen Stärken inspirieren. Westliche Philosophen und Forscher wie Roland Barthes oder Michel Foucault suchen dagegen - wie viele ihrer Vorgänger - im Land weiter das Fremde. Mysterium Kulturaustausch.

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