Dieser Text erschien im August, als Motörhead ihr Album "Bad Magic" herausbrachten. Anlässlich des Todes von Lemmy Kilmister veröffentlichen wir die Würdigung von Werk und Sänger erneut.
Dem Erscheinen eines neuen Motörhead-Albums folgt meist großer Kritiker-Bohei. Man macht auf dicke Hose, verhebt sich im Jargon, benutzt Wörter wie "Langdreher", "voll in die Fresse", "dreckig", "Prügel", "Haustür eintreten" und so weiter, um der überwältigend schnellen, lauten Musik, der Texte und vor allem der Erscheinung des charismatischen Ian "Lemmy" Kilmister verbal habhaft zu werden. Jenes Mannes, der für diese seit 40 Jahren hart am Rock arbeitende Band Gesang und Bass bestreitet.
Lemmy Kilmister:Allürenfreie Weltklasse
Kaum einer hat mehr Drogen genommen, mehr Bourbon getrunken und mehr Frauen befriedigt als Lemmy Kilmister. Der Sänger und sein Powertrio Motörhead belegen seit bald vierzig Jahren, dass sie eine der besten Rock 'n' Roll-Bands der Welt sind. Auf dem neuen Album "Aftershock" ist der Beweis erneut gelungen.
Kilmister ist ein Mann von feinsinnigen ästhetischen Interessen, renaissancehafter Bildung und hohem politischem Verstand. Seine ganze Erscheinung aber, diese Schattenwolfhaftigkeit in den feinsten Stiefeln nördlich des Rio Pecos mit Kavallerie-Zylinder, blanker Brust und Eisernem Kreuz, dieser irre Backenbart, die Tattoos . . . der Antichrist sähe harmlos gegen ihn aus. Das macht Kritiker kirre.
Und dann ist ja noch kein einziges Wort über seine Stimme verloren, die Steven Spielberg angeblich als Vorlage für den Todesschrei des T. Rex in Jurassic Park diente. 70 Jahre wird der Mann an diesem Heiligabend, er hat Gesundheitsprobleme. Doch Lemmy ist erstaunlicherweise auch auf "Bad Magic", dem mittlerweile 23. Album der Band, im Vollbesitz seiner aggressiven Kräfte und auf der Höhe des klug austarierten Lärms.
Das Album gehört zu den besseren der Band, zeigt in Reinform ihre Wurzeln in Punk, Hard Rock und Heavy Metal. Songs wie "Electricity" und "Tell Me Who To Kill" sind wodka-sauberes, maschinenkaltes Motörhead, schnell und kompromisslos hart: Pulsbeschleuniger, die man sehr gerne live hören wird. Für "The Devil" bearbeitet "Queen"-Gründer Brian May die Gitarre. O. K. Dann, Überraschung!, "Till the End" - eine morbide Ballade, die an "1916", den Titelsong des gleichnamigen Albums von 1991, erinnert.
Das Tollste: Motörhead ist eine Version des Rolling Stones-Klassikers: "Sympathy for the Devil" gelungen, die atemberaubend anders als herkömmliche Coverversionen ist. Hier kommen Schlagzeug und Gitarre endlich zu dem souveränen Recht, das die Stones ihnen nicht geben wollten - oder konnten.