Ein Treffen mit Jeff Bridges:Der Dude, der aus der Sonne kam

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Vom Glück geküsst ein Leben lang - und auch sonst hat Jeff Bridges keine Probleme. Ein Treffen mit dem Oscar-Sieger in London.

Rebecca Casati

Vor dem Zimmer von Jeff Bridges im Londoner Soho Hotel geht es zu wie vor einer Jahrmarktbude. Die Journalisten verschwinden einer nach dem anderen hinter der Tür, es vergehen 20, 30 Minuten, und dann kommen sie wieder raus, schwindlig grinsend, rätselhaft animiert.

Als Letzte ist Miss MTV Great Britain hinter der Tür verschwunden. Gerade klappt sie wieder auf, Miss MTV kommt lächelnd raus und verkündet in die Runde: "What a cutie!"

Eine junge blonde Radiomoderatorin ist die Nächste. Sie berichtet hinterher, Bridges sei sogar noch netter als supernett. Wie sich herausstellt, hat er ihr einen Gruß aufs Tonband gesprochen für ihre Mum daheim in Schottland, die ein geradezu hysterischer Jeff-Bridges-Fan zu sein scheint. Interessant.

"Redet er zum Beispiel in ganzen Sätzen?", fragt ein besorgter junger Frühstücksfernsehmoderator, der gleich dran ist. Klar doch, heißt es. Alles überhaupt kein Problem mit Jeff.

Genau das ist es, was man immer über Bridges, über seine Person und Karriere dachte und jetzt wieder erfährt: Der Mann mit dem unkompliziertesten Vornamen der Welt, der Typ ohne Ehe-Skandale, ohne Geheimratsecken oder Karriereknick, hat wahrscheinlich auch sonst keine Probleme. Und wenn überhaupt, ist das wohl sein einziges.

Klapp, die Tür geht wieder auf und es geht los. Hereinspaziert, hereinspaziert, und da steht er schon. Erster Gedanke: Selten war die Bezeichung "Cutie" - Süßchen - für jemanden so unpassend wie für Bridges. Er ist riesig, breitschultrig, zottelbärtig und, nicht zu vergessen: 60. In einem Raum mit vielen Hollywood-Schauspielern sei, so sagt er, eigentlich immer nur Vincent Vaughn größer als er: "Aber der ist ja nicht hier! Hahaha!"

Wenn Bridges lacht, was er alle paar Momente tut, wackelt sein Brustkorb, und seine Augen werden zu Schlitzen. Er trägt eine Easy-Going-Montur, Jeanshemd, Jeans, goldene Rolex. Er pflügt durch den Raum, auf die Couch zu, lässt sich sinken, fährt die Beine erst hoch und dann auf den Couchtisch runter. Sie stecken in Cowboystiefeln, da, jetzt liegen sie. Für Bridges wieder ein Grund, sich zu freuen!

Bridges ist gerade auf PR-Tour für seinen neuen Film Crazy Heart. Darin verkörpert er den Ex-Countrystar und Langzeit-Alkoholiker Bad Blake. Dieser Bad Blake fährt die letzte Rostlaube, er kennt seinen eigenen Sohn nicht und er übergibt sich bei einem Auftritt zwischen zwei Songs in einen Papierkorb.

Jeff Bridges spielt diesen Typen und singt dessen Songs so, als habe er in seinem Leben nie etwas anderes gemacht, und wenn es nicht so schief klingen würde bei einem sich ständig übergebenden Sauf-Wrack, würde man sagen: Es ist ein Genuss, ihm dabei zuzusehen.

Bridges war für diese Rolle für den Oscar nominiert, und vieles deutete darauf hin, dass er ihn kriegen würde. Nur eines sprach dagegen: sein Glück.

Könnten Sie mein Aufnahmegerät ganz nahe zu sich ranholen? Es ist uralt, es stammt etwa aus der Ära "Tron". . .

"Hahaha!" Bridges holt sich den Rekorder, er setzt ihn neben sich auf die Sofalehne und spricht so nett zu ihm, als sei er ein kleines, zahmes Tier.

"Sie wissen, dass wir dieses Jahr eine Forsetzung von Tron drehen werden? Zum Glück kriege ich diesmal ein würdigeres Kostüm. Damals in den Achtzigern musste ich ja diesen Tanga tragen . . . "

Den Countrysänger aus Crazy Heart spielen Sie dafür durchgehend mit offener Hose. War das Ihre Idee?

"War es, war es. Aber was soll schon dabei sein, kennen wir die nicht alle, die Typen, deren Hose immer offen steht? Ich wette, Germany ist voll davon! Hehehe!"

Klar ist es das. Und klar gibt es die.

Viel seltener sind dagegen diese Menschen: Sie sind jede Sekunde lang auf eine komplett uneitle Art vollkommen zufrieden mit sich; mit ihrem Gang, mit der Art, wie sich ihr Lachen langsam aufbaut; mit dem Schatten, den sie werfen; damit, wie alles andere läuft. Sind wie gesagt selten, aber jeder trifft in seinem Leben eigentlich zumindest einen davon.

Nun, jedenfalls: Wenn all diese Menschen sich nun zu einer Sekte zusammenschließen würden, wäre Jeff Bridges ihr Guru.

Das könnte man jetzt noch endlos weiter variieren, dieses Thema. In einem animierten Disneyfilm, der im Dschungel spielt, wäre Bridges der Löwe. Und als Liedzeile, als Refrain? Da wäre er das "Lalalala . . ."

Eigentümlich. Aber schon nach drei Minuten will man gar nicht so viel mehr wissen von Bridges. Lieber würde man ihm einfach nur beim Jeff-Sein zusehen. Wovon soll er denn auch erzählen? Warum alles von Anfang an und immer wieder so verdammt gut lief für ihn? Man weiß intuitiv längst, wie es dazu kam:

Gott, dem gerade ernsthaft langweilig wurde, schob schnell den Finger aus seiner Wolke - der einzigen über Kalifornien -, zeigte auf den nächstbesten kleinen Jungen und sagte: "Der da, wie heißt der? JEFF? Okay, Jeff. Dem schenke ich einfach mal - alles. Einen erfolgreichen Schauspieler-Vater hat er schon, eine Mutter, die ihn zu Tode liebt, und einen großen Bruder, der immer auf ihn aufpasst, auch. Aber von mir kriegt er jetzt noch das: Die Schule soll ihm leicht fallen, genau wie die Schauspielerei, und alle, alle sollen ihn sympathisch finden. Er soll volle, sandfarbene Haare mit einer Welle darin bekommen, und sie sollen ihm nie ausgehen. Er soll eine erfolgreiche Karriere haben und, Moment: Er soll auch noch eine Frau finden, die er liebt, und die ihn liebt, ein Leben lang. Er soll mit ihr warum nicht gleich: drei nette Kinder kriegen. . . und immer so weiter. Und dann? Na - mal sehen!"

Und genau so kam es dann halt.

Mit zwanzig hatte Bridges breite Schultern und ein argloses Superlächeln, seine Zähne waren weiß und kräftig, seine Haare sandfarben und genau richtig gewellt. Er verkörperte äußerlich das Klischee des amerikanischen Highschool-Helden: Vielleicht nicht die hellste Kerze im Leuchter, aber gut im Football, voller Lebens-Zuversicht und beliebt bei Töchtern wie Müttern.

Genau das sah Peter Bogdanovich ihn ihm. Und besetzte ihn 1971 als Highschool-Kid Duane in Die letzte Vorstellung, der heute ein Klassiker ist. Die Rolle des Duane brachte Bridges seine erste Oscar-Nominierung ein. Es gibt eigentlich seitdem keinen Film, in dem er schlecht war. Es gibt einige, wie Starman, in denen er sehr gut war. Und ein paar, an die man sich wahnsinnig gerne erinnert, wie Tron oder Die fabelhaften Baker Boys.

Dreimal wurde er seitdem für den Oscar nominiert. Ironischerweise ist Hollywood aber nun mal der Ort, an dem einem die höchsten Weihen versagt bleiben, wenn alles andere rund läuft.

Die Schreiber haben das nicht gerne, weil sie aus Glück allein keinen Mythos weben können. Das "Hans-im-Glück"- Märchen funktioniert ja auch nur deshalb so phantastisch, weil Hans in Wahrheit nur Pech hat, aber zu dämlich ist, das zu überreißen. Oder, wie die Gebrüder Grimm des 21. Jahrhunderts sagen würden: Good News are No News.

Hollywoods Publizisten sehen es auch lieber, wenn ihre Schützlinge unappetitliche Obsessionen, untreue Partner oder ein Suchtproblem haben, denn ansonsten haben sie ja nichts zu dementieren.

Das Publikum findet es sogar richtiggehend beunruhigend, wenn jemand derart mit sich im Reinen ist. Nicht im wahren Leben natürlich, da ist das wahnsinnig angenehm. Im Kino aber wollen die Menschen sich gut fühlen, dafür haben sie Geld bezahlt, und sie fühlen sich nun mal nicht richtig gut, wenn sie ständig jemanden sehen, bei dem alles in Butter ist. Ein Star soll sich für sie zum Affen machen. Er soll äußerlich schön, aber innerlich verkommen und gebeutelt sein. Das ist der Deal.

Jeff Bridges hat diesen Hollywood-Deal von Anfang an gebrochen. Der übrigens außerdem bedeutet: Kurz vor einem Filmstart muss die Überhöhung entfacht und gleichzeitig das sexuelle Charisma aufgebaut werden. Aber wie gesagt, Jeff Bridges ist ein Hollywood-Deal-Breaker. Er wohnt nicht mal in Hollywood, er ist nach Santa Barbara gezogen, in die vielleicht lässigste aller kalifornischen Millionärsstädte.

Heute verrät er den Journalisten in London mal wieder, dass er gerne zeichnet und fotografiert. Noch lieber beschreibt er seine eigene Trägheit und dass sein Familienleben herrlich ist. Er war also nachts mal wieder nicht in irgendwelchen fremden Betten unterwegs. Er hat lieber noch eine Vase getöpfert. Auf Nachfrage fischt er sofort ein Foto aus der Gesäßtasche, es zeigt eine süße blonde Frau, seine Frau, an dem Tag, an dem sie sich kennenlernten. Sie war damals Zimmermädchen in dem Hotel, in dem er drehte. Vor bald vierzig Jahren war das. Sie sind immer noch glücklich.

Ach so: Er hat lieber noch Vasen getöpfert - was das bitte gerade heißen sollte?

Es sollte genau das heißen. Es ist wohl bereits klar, dass Bridges kein Typ für Metaphern ist. Und wenn es stimmt, was die Zeitungen schreiben, dann hat er auch noch das uncoolste Hobby aller Zeiten.

Es heißt, Sie würden gerne Keramikarbeiten machen?

"Yeah!"

Ach; kommen Sie.

"Ich fertige wirklich sehr gerne Keramiken an. Ich sitze an einer Töpferscheibe, so wie ich es schon auf der Highschool gelernt habe."

Und was stellen Sie darauf her?

"Zeugs. Alles Mögliche. Dinge!"

Aber: Wofür?

"Geschenke, für Freunde."

Ein großer Mann, der aussieht wie ein alternder Löwe, der zu allen nett ist, der seiner Frau treu ist und ansonsten am liebsten töpfert. Einer, der die Dinge ohne Kalkül angeht und ohne Ironie beurteilt, einer, der auf keine besondere Reaktion oder Wirkung aus ist, wenn er die Füße auf den Tisch legt: Selbst die Mutter der schottischen Radiomoderatorin müsste hier wohl zugeben, dass das alles kein guter Stoff für das People-Magazine ist.

Und so war es immer mit Jeff Bridges.

Nie umgab ihn irgendein Hype, nicht einmal eine erhöhte Temperatur. Er galt nie als Herzensbrecher, wurde nie als der legitime Jack-Nicholson-Nachfolger gehandelt oder als der heimliche Marlon Brando. Nie sah jemand einen Grund, ihn überlebensgroß zu finden, ihn zum Mythos zu erklären, in ihm den wirklich großen Schauspieler zu sehen, der er ist. Außer einer Frau, der Kritikerin Pauline Keal von der New York Times. Sie schrieb über ihn: "Er ist der unterschätzteste Schauspieler in ganz Hollywood. Und der schlechteste Star in ganz Hollywood." Geändert hat das auch nichts.

Jeff Bridges nahm's leicht. Er drehte einen neuen Film. Zeigte Journalisten das Foto seiner Frau. Verschenkte mal wieder eine Vase. Und drehte noch einen neuen Film.

Bis zu der Rolle, bis zu dem Punkt, an dem dann plötzlich alles einrastete, Vergangenheit und Zukunft sich zu einer Kontur zusammenschoben. Das war der Moment, als Bridges den sogenannten Dude in dem Film The Big Lebowski spielte. Einen Typen, der tagsüber in Unterhose rumläuft, der sich die Haare mit einer Haarklammer zurückbindet, der zum Bowling geht und der ansonsten hauptberuflich seine Ruhe haben will.

Die Coen-Brüder drehten den Film 1998. Sie hatten die Rolle für Jeff Bridges geschrieben. Und seitdem zieht sich jeder minderjährige Grasraucher, jeder gutgelaunte Familienvater, ja: jede neue Generation die Gewissheit da raus, dass dieser Film exklusiv für sie gedreht wurde. Jeff Bridges? Ist seitdem immer noch nicht der heimliche Marlon Brando oder der legitime Jack-Nicholson-Nachfolger. Aber er schwebt irgendwo zwischen ihnen herum.

"Der Dude", heißt es ganz zu Anfang im Big Lebowski, "war so ein Typ, aus dem man im Allgemeinen nicht schlau wurde. . . " - stop. Genau das ist sie auch schon, die größte Wahrheit über Jeff Bridges. Es ergibt nicht immer alles für jeden einen Sinn. Manche Menschen kriegen eben einfach alles Glück der Welt zugeschustert, nur weil die Dinge sich gerade so ergeben. Alle hundert Jahre kommt einer damit durch. Und vielleicht sind morgen, wenn die Oscars verliehen werden, ja mal wieder hundert Jahre rum.

Wenn nicht - schon klar, oder? "Kein Grund zur Enttäuschung!" sagt Bridges. "Ich bin froh, wenn der Stress vorbei ist. Ist ja schon wundervoll, überhaupt nominiert zu sein." Man braucht ihm den Sieg nicht mal zu wünschen. Mehr Glück geht sowieso nicht.

© Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.54, Samstag, den 06. März 2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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