Digitalisierung:Heidelberg grüßt Rom

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Der einstmals größte Wissensspeicher nördlich der Alpen: Die Bibliotheca Palatina ist wieder vereint - im Internet.

Von Johan Schloemann

Es ist der vielleicht spektakulärste Fall katholischer Raubkunst. Es handelt sich um mehr als 2000 wertvolle lateinische Manuskripte aus dem Mittelalter, mit Werken von der Bibel über Cicero bis zu Petrarca, dazu viele frühe Drucke. Dieser Bücherschatz wurde aus Deutschland in die Vatikanische Bibliothek nach Rom verschleppt.

Die Provenienz ist seit bald 400 Jahren bekannt: Als im Dreißigjährigen Krieg der Feldherr Tilly die Stadt Heidelberg und die Pfalz für die Katholische Liga eroberte, schnappte man sich als Beute die gesamte Pfälzische Bibliothek. Im Dezember 1622 begann der Abtransport im Auftrag von Papst Gregor XV., im August 1623 waren dann, als schon der nächste Papst im Amt war, 184 Kisten mit einigen Hindernissen über die Alpen gelangt. Der Weg führte übrigens über München, wo Herzog Maximilian I. von Bayern, obwohl er demselben Geschlecht angehörte wie die Pfälzer Kurfürsten, zugunsten der katholischen Sache dem Raub seinen Segen geben musste.

Die Bibliotheca Palatina, wie sie lateinisch heißt, war damals einer der wichtigsten Wissensspeicher nördlich der Alpen. Ihre Bestände kamen teils aus den Fakultäten der 1386 gegründeten Heidelberger Universität, teils aus den fürstlichen Sammlungen im dortigen Schloss. Mit der Entführung in den Vatikan wollte Rom nicht bloß den eigenen Katalog erheblich aufwerten, sondern auch gezielt ein Zentrum protestantischer Bildung treffen.

Nicht dass es einen ultramontanen Sinneswandel gegeben hätte und die Handschriften jetzt wieder an Heidelberg rausgerückt würden. Aber seit dem 17. Jahrhundert haben sich doch entscheidende Dinge getan. Erstens kamen 1816 auf Beschluss des Wiener Kongresses - also wieder kriegsbedingt, nach dem Sieg über Napoleon - immerhin die 847 deutschsprachigen Palatina-Handschriften zurück an den Neckar. Das war ein Großereignis für die entstehende Germanistik, denn darunter sind berühmte Stücke wie die Liederhandschrift "Codex Manesse" und die älteste erhaltene Bilderhandschrift des "Sachsenspiegels" (rechtes Bild), eines bedeutenden Dokuments der Rechtsgeschichte.

Und zweitens hat die Digitalisierung für eine Wiedervereinigung der Palatina im Netz gesorgt. Mit vielen Drittmitteln und Stiftungsgeldern wurden zuerst die Heidelberger Manuskripte hochauflösend der Wissenschaft zugänglich gemacht, dann auch die lateinischen Handschriften in Rom mit der berühmten Signatur "Cod. Pal. lat." - so auch das Buch über die Falkenjagd von Kaiser Friedrich II. aus dem 13. Jahrhundert (Bild links). Nach jahrelangem Scannen ist die virtuelle Zusammenführung jetzt fertig. An diesem Donnerstag wird sie in Heidelberg mit einem akademischen Festakt begangen.

© SZ vom 15.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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