Dieter Wedel und #MeToo:"Also, immer kriegt er sie nicht"

Lesezeit: 4 min

Männer wie er konnten sich lange Zeit allmächtig fühlen: Dieter Wedel beim Komparsen-Casting vor sieben Jahren. (Foto: Arno Burgi/dpa)

Hat Dieter Wedel mal über sich gesagt. Berichte über sein Verhältnis zu Frauen kamen schließlich fast immer von ihm selbst. Zumindest das, so viel ist sicher, hat sich nun radikal verändert.

Von Christian Mayer

Dieter Wedel ist nicht dafür bekannt, dass er Fernsehteams und Reportern aus dem Weg geht. Im Gegenteil: Wer den Regisseur gelegentlich bei Filmpremieren oder Preisverleihungen erlebt hat, kennt die Momente, in denen der Herr mit dem rötlichen Haarschopf zielsicher ins Zentrum des medialen Interesses steuert. Sehr genau registriert er, an welcher Stelle des roten Teppichs gerade ein Mikrofonträger auf Bonmots und Anekdoten wartet, auf irgendein verwertbares Wedel-Zitat - der Mann mit Wohnsitzen in Hamburg und Mallorca geizt ja nicht gerade mit Bekenntnissen aus seinem Leben, das er selbst wohl für abenteuerlich hält.

Auch über seine Beziehungen und Affären mit oft deutlich jüngeren Frauen aus der Film- und Theaterbranche hat Wedel immer recht bereitwillig gesprochen, mal charmant, mal angeberisch, mal selbstironisch. Ein Journalist der Bunten stellte ihm einmal die Fangfrage, ob der Regisseur denn "immer die Hauptdarstellerin kriegt". Wedels Antwort: "Also, immer kriegt er sie nicht." Hinter der Suche nach ständig neuen Bestätigungen und "weiblichen Reizen" stecke bei ihm eine spezielle Lebensgier, gab er zu, "möglicherweise auch ein Minderwertigkeitskomplex".

"MeToo"-Debatte
:Die Kultur des Schweigens brechen

Mit Dieter Wedel fällt zum ersten Mal ein Name in der deutschen Debatte über sexuelle Belästigung. Das ist Chance und Risiko zugleich.

Kommentar von Karin Janker

Die Berichte über Dieter Wedel und sein Verhältnis zu Frauen hatten bisher eine Gemeinsamkeit: Sie stammten im Wesentlichen von ihm selbst. Als Quellenmaterial dienten Interviews, Bühnenauftritte und seine Autobiografie "Vom schönen Schein und wirklichen Leben" aus dem Jahr 2010 - gegen die Veröffentlichung dieses Buches hatte seine frühere Lebensgefährtin, die Schauspielerin Hannelore Elsner, geklagt und erreicht, dass ganze Absätze geschwärzt wurden. Doch nun gibt es noch ganz andere Berichte über den dreifachen Grimmepreisträger - detaillierte Erzählungen von Frauen, die Dieter Wedel in früheren Jahren sexuell belästigt haben soll.

Im aktuellen Zeit-Magazin schildern die früheren Schauspielerinnen Jany Tempel, 48, und Patricia Thielemann, 50, wie Wedel seine Machtposition als Regisseur ausgenutzt habe, um die Frauen zum Sex zu zwingen. Im ersten Fall soll es um einen Vorfall in einem Münchner Hotel im Jahr 1996 gehen. Wedel bereitete damals den Dreh zu seinem Fernsehmehrteiler "Der König von St. Pauli" vor und suchte Darstellerinnen. In der Zeit berichtet Jany Tempel, wie sie als 27-jährige Jungschauspielerin ihre Chance gewittert habe und deshalb der Aufforderung Wedels gefolgt sei, ihn in seinem Hotelzimmer zu besuchen - ein ungewöhnlicher Ort für ein Vorsprechen. Der Regisseur habe sie dort in einem Bademantel empfangen, sie heftig bedrängt. "Er hat mich mit Wucht gepackt und gegen die Wand gepresst", so erzählt Tempel, dann habe er sie aufs Bett geworfen und zum Sex gezwungen.

Jany Tempel arbeitet heute als Fotografin, Drehbuchautorin und Regisseurin.

Damals spielte sie dann tatsächlich eine kleine Rolle in "Der König von St. Pauli", was sie sehr bereue, wie sie sagt. Erst jetzt, ermutigt durch die "Me Too"-Debatte im Zuge der Vorwürfe gegen den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein, habe sie die Kraft, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen.

Auch der zweite Fall soll sich in einem Hotelzimmer ereignet haben, so berichtet es Patricia Thielemann, die heute eine erfolgreiche Yoga-Lehrerin mit drei eigenen Studios ist. Auch Thielemann verfolgte damals das Ziel, als junge Schauspielerin endlich den Durchbruch zu schaffen. Sie erzählt, wie sie Dieter Wedel 1991 einen Brief schrieb, als sie von seinem Filmprojekt "Der große Bellheim" hörte, und wie sie dann tatsächlich vom Regisseur eingeladen worden sei, der sie kennenlernen wollte - in dessen Hamburger Wohnung, wo auch Wedels Frau zugegen war. Man habe sich gut verstanden, einige Wochen später kam eine zweite Einladung zu einem Casting, das in einem Hotel in Bremen stattfinden sollte. Dort habe Wedel sie in seine Suite gebeten, wo er sofort zudringlich geworden sei. "Ich bekam große Angst und wehrte mich mit aller Kraft", so schildert sie den Vorfall. Mit zerrissener Bluse sei sie aus dem Zimmer geflüchtet.

Der Regisseur wehrt sich gegen die Vorwürfe. Sein Anwalt Michael Philippi teilte mit, Wedel werde durch die erhobenen Verdächtigungen, "die auf angebliche Vorfälle von vor 20 und mehr Jahren gestützt werden, einem massiven öffentlichen Pranger ausgesetzt". Zu keinem Zeitpunkt habe er diesen oder anderen Frauen in irgendeiner Form Gewalt angetan, wie der Regisseur versicherte, und zwar in einer eidesstattlichen Erklärung; auch Tempel und Thielemann haben ihre Vorwürfe in einer eidesstattlichen Erklärung verfasst. Wedel bedaure, dass er Schauspielerinnen und Schauspieler "insbesondere am Set manchmal überharter, wohl auch verletzender Kritik ausgesetzt" habe.

Jany Tempel und Patricia Thielemann arbeiten schon länger nicht mehr als Schauspielerinnen, sie haben, berichten sie, ihre Karrieren frühzeitig beendet, was auch an der demütigenden Erfahrung mit dem Mann liege, der im deutschen Fernsehgeschäft lange ein Machtfaktor war.

Im Raum stehen nun schwere Vorwürfe auf der einen und eine vehemente Widerrede auf der anderen Seite. Sollten die Anschuldigungen aber tatsächlich der Wahrheit entsprechen, wäre die Fallhöhe gewaltig. Wedel wurde vor allem als Macher erfolgreicher Großproduktionen berühmt. Der promovierte Theaterwissenschaftler arbeitet seit den Siebzigerjahren als Fernsehregisseur, Autor und Produzent. "Der große Bellheim" hatte 1993 knapp neun Millionen Zuschauer - spektakulär war der Mehrteiler aber auch wegen der hohen Kosten von 18 Millionen Mark. Seitdem galt Wedel als Mann für prominent besetzte Projekte. Mit "Der König von St. Pauli", "Die Affäre Semmeling" und zuletzt "Gier" sprengte er regelmäßig das übliche Fernsehformat. Wer Wedel buchte, wusste wohl, worauf er sich einließ: Wedel gilt als aufbrausend und fordernd. Im Juni 2017 machte er als Intendant des Bad Hersfelder Theaterfestivals mal wieder Schlagzeilen: Da feuerte er bei seiner eigenen Inszenierung eines Luther-Stücks den renommierten Burgheaterschauspieler Paulus Manker fristlos - einen Tag vor der Eröffnung. Ein ungewöhnlicher Vorgang nach einem irreparablen Zerwürfnis. Manker hatte es gewagt, Kritik an Wedels Inszenierungskunst zu üben.

"Ich bin ehrgeizig und eitel, aber nicht selbstverliebt", schreibt er in seiner Autobiografie. "Ich bin mir vieler meiner Schwächen bewusst und kann manchmal über mich lachen und muss noch häufiger den Kopf über mich schütteln." Das klingt nach Selbsterkenntnis eines schillernden Selbstdarstellers, von dem nicht einmal ganz gewiss ist, wann er geboren ist - am 12. November 1939 oder auch 1942, je nach Bedarf.

"Schauspielerinnen sind unter einem großen Druck", sagte er selbst vor Jahren im Radio

Kein Geheimnis ist, dass Wedel, der sechs Kinder aus verschiedenen Beziehungen hat und mit seiner langjährigen Lebensgefährtin, einer Studienrätin, zusammenlebt, in früheren Jahren jüngere Schauspielerinnen genauso zielbewusst ansteuerte wie die Fernsehkameras. Was in einer Branche, in der die Ungleichheit zum System gehört, nicht verwundert: Die einen vergeben Rollen und entscheiden über Karrieren, die anderen versuchen, irgendwie Fuß zu fassen. In diesem System, das jetzt endlich infrage gestellt wird, konnten sich Männer wie Wedel lange allmächtig fühlen.

Sexismus-Debatte
:Das hat #Metoo für uns verändert

Im Oktober hat die SZ Schauspielerinnen zu ihren Erfahrungen mit sexueller Belästigung und Anzüglichkeiten befragt. Heute geben sie zu Protokoll, was sich seitdem verändert hat.

Von Ulrike Schuster

"Schauspielerinnen sind unter einem großen Druck. Sie können die Julia nicht mit 30 spielen, die müssen sie mit 25 spielen, und plötzlich ist da einer, und der kann ihnen die Julia geben. Aber sie müssen ein bisschen lieb sein. Furchtbar, widerlich, schrecklich." Dieter Wedel hat das tatsächlich so gesagt, im Gespräch mit dem Radiosender FFH im November 2017.

© SZ vom 05.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: