Rechtsextreme haben am Donnerstagabend im Audimax der Universität Wien eine Aufführung des Jelinek-Stücks "Die Schutzbefohlenen" gestört. In der Inszenierung, die mit dem Nestroypreis ausgezeichnet wurde, spielen Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak unter dem Titel "Schutzbefohlene performen Jelineks Schutzbefohlene". Die Regisseurin Tina Leisch erzählt, wie sie den Abend erlebt hat.
Was genau ist gestern Abend im Audimax der Universität Wien passiert?
Zehn Minuten nach Beginn unserer Vorstellung sind plötzlich ziemlich bedrohlich wirkende Männer in einer Art militärischen Formation einmarschiert. Sie stürmten die Bühne und drängten die 40 Flüchtlinge, die dort gerade spielten, zur Seite. Auch unten vor der Bühne postierten sie sich. Dann haben sie Fahnen und Transparente hochgehalten, einen Text verlesen und Kunstblut verspritzt. Es hat mich an die Geschichten aus den Dreißigerjahren erinnert, als SA-Trupps Veranstaltungen gestürmt haben.
Wie haben Sie darauf reagiert?
Ich saß am Lichtpult und habe erst gar nicht genau gewusst, was da los ist. Als ich es dann begriff, habe ich angefangen "Nazis raus, Nazis raus" zu schreien. Damit alle wissen: Das ist ein Angriff, bitte schmeißt diese Leute raus! Denn das Problem war ja, dass das Publikum das Stück nicht kannte. Viele Leute haben mir nachher gesagt, sie hätten geglaubt, diese Aktion gehöre zur Inszenierung.
Und das Publikum ist Ihrer Aufforderung gefolgt?
Ja, Menschen aus dem Publikum haben die Gruppe nach wenigen Minuten wieder hinausbefördert.
In den Medien war auch von Verletzten die Rede.
Als wir diese Leute rausgeschmissen haben, haben sie sich gewehrt. Dabei sind, glaube ich, mehrere Leute geschlagen oder angerempelt worden. Unten im Publikum in der ersten Reihe saßen außerdem Flüchtlinge aus einem Heim, die zum Zuschauen gekommen waren. Diese Menschen wurden von den Eindringlingen ebenfalls geschlagen und getreten. Ich weiß auf jeden Fall von zwei Frauen, die ärztlich behandelt werden mussten; eine davon liegt immer noch im Krankenhaus.
Wie sind Ihre Schauspieler, die Flüchtlinge, mit dieser Situation umgegangen?
Sie wussten zunächst gar nicht, was da passiert. Nachdem die Eindringlinge sie weggedrängt hatten, haben wir sie in einen Nebenraum gebracht. Die Leute waren wirklich fertig, vor allem die Frauen und Kinder, die aus Irak und Syrien, also aus dem Krieg kommen. Es gibt einige darunter, die aus Mossul vor dem Daesch geflüchtet sind. Die haben natürlich Angst vor dieser Form von militanter Männlichkeit, die einfach ohne Rücksicht auf Verluste irgendwo einmarschiert. Eine Frau aus Syrien sagte, sie hätte die ganze Zeit nur Angst gehabt, dass die Männer jetzt gleich Waffen ziehen und um sich schießen.
Sie müssen wissen, das sind alles Flüchtlinge, die letztes Jahr angekommen sind und Österreich bis jetzt eigentlich als ein sehr freundliches Land kennengelernt haben. Der Vorfall gestern war sozusagen der erste Moment, in dem sie erkannt haben, dass es hier auch Leute gibt, die sie nicht da haben wollen.
Wie sind die Flüchtlinge mit dieser Erkenntnis umgegangen?
Wir haben diskutiert, was wir machen sollen und dann einstimmig beschlossen, dass wir weiterspielen und uns nicht einschüchtern lassen wollen. Also sind wir auf die Bühne zurück. Das war ein sehr ergreifender Moment, weil es minutenlange Standing Ovations vom Publikum gab für unseren Beschluss, trotzdem weiterzuspielen.
Die Angreifer waren sogennante Identitäre. Was wissen Sie über diese Gruppierung?
Eigentlich handelt es sich bei den Identitären um eine ziemlich erfolglose Truppe. In Österreich sind sie schon ein paar Mal aufgetreten. Es gab zum Beispiel vor einiger Zeit einmal eine Besetzung der Wiener Votivkirche durch Flüchtlinge. Die Identitären sind irgendwann dort einmarschiert und haben die Kirche gegenbesetzt. Da saßen sie nach einer Stunde frierend in der Ecke, die Flüchtlinge haben ihnen heißen Tee angeboten und dann ist die Gruppe wieder gegangen. Diese Menschen, das sind einige Wenige, die mit komischen Verzweiflungsaktionen versuchen, von sich reden zu machen. Das gestern war auch so eine Aktion. Es sollte ein Versuch sein, uns das Stück zu vermiesen.
Gab es im Vorfeld der Aufführung Drohungen oder Hinweise, dass etwas passieren könnte?
Nein, überhaupt nicht. Ich finde das Ganze wirklich grotesk. Gerade wir als Theaterleute sind ja Menschen, die die interkulturellen Konflikte, die es im Zuge der Flüchtlingsbewegung natürlich auch gibt, nicht verschweigen wollen. Wir sagen: Diese Konflikte muss man anschauen und behandeln, man muss sie auf die Bühne bringen und darüber reden. Dass man also ausgerechnet uns auswählt als Ziel von so einer rechtsextremen Aktion, hätte ich mir nicht träumen lassen.
In einem Statement, das die Gruppe über Twitter verbreitet hat, werden Gruppen wie Ihre indirekt für die Anschläge in Paris verantwortlich gemacht, weil sie für eine Politik seien, die Flüchtlinge - also potenzielle Terroristen - ins Land lasse. Es heißt: "Ihr geht zum Bahnhof klatschen und zieht euch anschließend in eure sicheren Bezirke zurück. Ihr hasst eure eigene Herkunft und euer eigenes Volk." Wie reagieren Sie auf solcherlei Aussagen?
Ich denke, es ist genau andersherum: Diese Menschen gestern, das sind diejenigen, die Hand in Hand mit den Mördern von Paris und Brüssel versuchen, hier in Europa Unfrieden zu stiften, Leute gegeneinander aufzuhetzen und den Krieg hierherzutreiben. Ein syrischer Schauspieler sagte gestern: Der Unterschied zwischen dem Anschlag im Bataclan und dem Angriff der Nazis auf unser Stück ist nur, dass diese Menschen keine Gewehre in der Hand hatten. Der Vorfall gestern spielte sich zum Glück auf einer harmloseren Ebene ab, es gab nur Theaterblut. Aber man kann das ja auch als eine Drohung verstehen, von wegen: es wird gewalttätiger und das nächste Mal fließt echtes Blut.
Wie geht es jetzt weiter für Ihr Theaterkollektiv?
Wir machen auf jeden Fall weiter. Wir haben eine Einladung von der Wiener Vizebürgermeisterin bekommen, unser Stück im Rathaus zu spielen. Als Statement, um zu sagen: Wien ist eine Stadt, in der Menschen mit verschiedenen Hintergründen seit Jahrhunderten miteinander auskommen. Darüber freuen wir uns sehr und wir laden alle Menschen ein, die aus irgendwelchen Gründen Angst vor Flüchtlingen, vor dem Islam oder vor gesellschaftlichen Veränderungen haben. Wir wünschen uns, dass sie zu uns kommen und wir über diese Ängste reden können.