"Die Jungfrau, die Kopten und ich" im Kino:Madonna am Seilzug

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Der Film porträtiert bitterarme, unzufriedene Menschen zur Zeit des Arabischen Frühlings und streift ganz nebenbei den tragischen Grundkonflikt zwischen Kopten und Muslimen. (Foto: Arsenal Filmverleih)

Ein Film, den keiner will: Namir Abdel Messeehs Regiedebüt ist die Geschichte eines grandiosen Scheiterns. Kein Wunder, denn in "Die Jungfrau, die Kopten und ich" herrscht reine Anarchie.

Von Thorsten Glotzmann

Ein Scheißfilm ist das, daraus kann doch sowieso nichts werden. . . Er muss einiges einstecken, der junge Filmemacher Namir Abdel Messeeh, als er seinen ersten großen Film dreht. Vor allem von seiner eigenen Mutter, die nimmt kein Blatt vor den Mund, verschont ihn nicht mit ihren Tiraden: "C'est un film de merde!" Und auf seinen ersten Kurzfilm angesprochen, kann sie ihr Lachen kaum unterdrücken: "Dieser Film ist völlig misslungen. Und ich hoffe, dass du's nicht wieder genauso machst."

Mit bewundernswerter Geduld setzt sich Namir, der in Paris ein Filmstudium absolviert hat, über alle Bedenken und Hindernisse hinweg, die sein Projekt in einer Tour gefährden. In selbstironischer Manier erzählt der Film die Geschichte seines eigenen Scheiterns. Doch dieses Scheitern ist grandios.

Alles beginnt mit einer Videokassette, die eine rätselhafte Marienerscheinung in Ägypten zeigen soll. Namirs Mutter, die aus einer Familie koptischer Christen stammt, ist felsenfest davon überzeugt, im hellen Lichtschein die Heilige Jungfrau erkennen zu können. Ihr Sohn Namir sieht dagegen - nichts. Grund genug, dieser Sache auf den Grund zu gehen. Also macht er sich von Paris auf den Weg nach Ägypten, in die Heimat seiner mütterlichen Familie, in der er selbst Teile seiner Kindheit verbracht hat und in die er eigentlich nie mehr zurückkehren wollte.

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Doch auf der Suche nach Zeugen der Erscheinung hat er Pech: Die Auskünfte sind vage, auf den Bildern ist nichts als Licht zu erkennen. Der Produzent, der ihm eingangs noch Zuschüsse gewährt, versagt ihm plötzlich jede weitere finanzielle Unterstützung. Schließlich will er Namir nicht dafür bezahlen, dass er seinen Familienurlaub filmt - der Film sei ohnehin schwer zu finanzieren, bei diesem Thema, das doch keinen interessiert!

Die zeternde Mutter untersagt ihm, Mitglieder ihrer Familie zu filmen, die ein armes, bescheidenes Leben in Said führen, droht ihm gar, die Aufnahmen gerichtlich verbieten zu lassen. Ausgerechnet sie ist es aber, die dann als Produzentin einspringt, nach Ägypten fliegt und ihren Sohn bis zum Ende seines Drehs unterstützt. Die Bedingung, die sie ihm stellt: Er muss sich für seinen nächsten Film ein "vernünftiges Thema" suchen.

Als Manir ihr von seinem Plan erzählt, das Wunder zu filmen und die Erscheinung der Heiligen Jungfrau mit allen Mitgliedern der Familie nachzustellen, erklärt sie ihn für verrückt. Doch verrückt lässt sich Namir nicht machen. Sein Schmunzeln verrät, dass dieses aussichtslose Unterfangen für ihn insgeheim ein Riesenspaß ist. Dem man als Zuschauer mit ihm teilt.

Am Ende erscheint die Heilige Jungfrau den Kopten tatsächlich

Die warmen, farbintensiven Bilder von den ägyptischen Verwandten, untermalt von beschwingter Jazz- und Streichmusik, die Szenen der ewigen Mutter-Sohn-Hassliebe, das Madonnencasting und der chaotische Dreh - all das ist reine Anarchie. Da wird die Heilige Jungfrau an improvisierten Seilzügen emporgehievt.

Doch ist "Die Jungfrau, die Kopten und ich" keine luftige Blödelei. Der Film porträtiert bitterarme, unzufriedene Menschen zur Zeit des Arabischen Frühlings, die von ihrer Arbeit auf den Feldern kaum leben können. Ganz nebenbei streift er den tragischen Grundkonflikt zwischen Kopten und Muslimen, die einander misstrauen und sich eigentlich nur in zwei Dingen einig sind: im allgemeinen Hass auf die Juden und in der Jungfrau selbst, an die sowohl die einen als auch die anderen glauben. So scheint eine mögliche Versöhnung zwischen der koptischen Minderheit und der islamischen Mehrheit auf, als Namir in Erwägung zieht, ein muslimisches Mädchen für die Rolle der Madonna zu casten.

Am Ende erscheint sie den Kopten tatsächlich, die Heilige Jungfrau, allerdings nur auf der Leinwand. Das Kino, die Illusionsmaschine, macht's möglich. Dass das Wunder Fiktion ist, spielt kaum eine Rolle. "Die einen sehen sie, die anderen nicht. Dahinter steckt eine Botschaft", sagt Namirs Mutter. "Vielleicht reicht es, zu glauben."

La vierge, les coptes et moi , F/Katar/Ägypten 2011 - Regie: Namir Abdel Messeeh. Buch: Nathalie Najem, Anne Paschetta, Namir Abdel Messeeh. Kamera: Nicolas Duchene. Mit Siham Abdel Messeeh. Verleih: Arsenal, 91 Minuten.

© SZ vom 15.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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