"Die dunkle Seite des Mondes" im Kino:Ui, ein Pilz!

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Moritz Bleibtreu experimentiert als Wirtschaftsanwalt im Wald, auf der Suche nach sich selbst. (Foto: Etienne Braun/dpa)

In "Die dunkle Seite des Mondes" dreht Moritz Bleibtreu durch - dank hallozinogener Schwammerl. Eine kuriose Midlife-Crisis-Männerfantasie. Aber nicht mehr.

Filmkritik von Rainer Gansera

Der jungenhafte Charme von Moritz Bleibtreu macht sogar das heftige Paranoia-Psychogramm, das er in diesem Film furios auffächert, zur vergnüglichen Performance: vom knurrenden Zähnefletschen bis zum heulenden Elend eines Mannes, der nicht weiß, was mit ihm geschieht. Ein Mann, der daran verzweifelt, dass seine Urinstinkte durchbrechen - und die sind ziemlich mörderisch.

Bleibtreu spielt in "Die dunkle Seite des Mondes" den Wirtschaftsanwalt Urs Blank, der sich nach dem Genuss halluzinogener Pilze in ein Jekyll&Hyde-Monster verwandelt. Es geht um Abgründe, die sich hinter glänzenden Fassaden auftun, um Menschen, die verstört mit der Wer-bin-ich-Frage auf den Lippen durch die Welt irren. Es geht also um jene Themen und Motive, die der Schweizer Schriftsteller Martin Suter in seiner Romanvorlage und auch in anderen Büchern immer wieder variiert.

Stephan Ricks Adaption des Bestsellers will nicht nur Paranoia-Psychogramm sein, sondern auch Wirtschaftskrimi und Allegorie über die Wolfsnatur des Menschen. Der Film beginnt mit dem Kontrast von zwei Welten: Wolkenkratzer-Skyline und Waldwildnis. Die Glas-Beton-Kathedralen Frankfurts sind Urs Blanks Revier. Als Staranwalt für Firmenfusionen hat er gerade wieder einen Coup gelandet. Aber dann jagt sich der unterlegene Kontrahent vor seinen Augen eine Kugel in den Kopf. Der Schock treibt ihn in den Wald und in die Arme des schönen Hippiemädchens Lucille (Nora von Waldstätten). Für sie verlässt er seine Ehefrau und zieht zu ihr.

Beginnt nun eine Aussteigergeschichte? Die Abkehr vom Kälte-Universum des Finanzbusiness und die Flucht in Lucilles Hippie-Kuschelecke mit Joint, Sex und Zivilisationskritik? Andeutungsweise zeigt Stephan Rick das schon, doch dann macht die Story eine radikale Kehrtwende. Lucille verführt Blank zu einem Magic-Mushroom-Trip, der ein "Königspfad der Erleuchtung" sein soll, aber als Horrortrip endet - und Blank in eine tickende Zeitbombe verwandelt. Sein Killerinstinkt bricht durch, er reagiert sich an Lucilles Kätzchen ab, und in Phasen der Selbstkontrolle sucht er nach einem weiteren Pilz, der ihn aus seiner fatalen Persönlichkeitsspaltung zurückholen könnte.

Packend gestaltet, aber erzählerisch enttäuschend

Diese Paranoia, darstellerisch packend gestaltet, wird zur erzählerischen Enttäuschung. Denn sie überschwemmt und erstickt alle Gesellschaftskritik der Geschichte, oder lässt von ihr nur zeichenhafte Kürzel übrig. So geschieht es auch mit dem eingeflochtenen Wirtschaftskrimi. Er wird mystisch überhöht, ausstaffiert mit Drohbildern eines schwarzen Wolfes, verhäkelt mit einem Duell, das Blank gegen seinen diabolischen Mentor und Förderer Pius Ott (Jürgen Prochnow) auszufechten hat.

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Nur entpuppt sich das alles als fadenscheinige, klischeehafte Intrige, die nicht näher erkundet wird: böse Pharmamenschen wollen ein neues Wundermittel skrupellos vermarkten, obwohl ein Gutachten die Schädlichkeit des Mittels festgestellt hat.

Stephan Rick steckt viel Energie in Soundtrack und Bildeffekte, in atmosphärische Suggestionen. Aber die Lebenswelten, in die er einzutreten vorgibt, bleiben Pappkulissen, verworren und undurchsichtig. Vor allem die Welt des Hippiemädchens Lucille, anfangs ein märchenhafter Gegenentwurf zu Blanks Business-Universum. Dann aber erhält ihr Freundeskreis schräge, sektenhafte Züge, Lucille selbst verkommt zur Hippie-Femme-fatale und verschwindet irgendwann einfach von der Bildfläche. Blanks Reise bleibt letztlich ohne wirkliche Herausforderung für den Helden.

Am Ende erscheint das Ganze als kuriose Midlife-Crisis-Männerfantasie, die neidvoll auf Jugendschönheit, Buntheit und Magie der Hippiewelt blickt, um den Neid in ein grimmiges Dementi zu übersetzen. Eine Absage an hübsch lockende Aussteigerträume durch einen Pilztrip, der seinen Horror allgemeinphilosophisch als Offenbarung der Wolfsnatur des Menschen darbietet.

Die dunkle Seite des Mondes , D/Luxemburg 2015 - Regie: Stephan Rick. Buch: Stephan Rick, Catharina Junk, David Marconi. Kamera: Felix Cramer, Stefan Ciupek. Mit: Moritz Bleibtreu, Nora von Waldstätten, Jürgen Prochnow. Alamode, 97 Minuten.

© SZ vom 14.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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