Die CDs der Woche - Popkolumne:Hello-Kitty-Rock und Meta-Punk

Lesezeit: 3 min

Das Album "Hammer und Michel" von Jan Delay. (Foto: Universal)

Jan Delay spielt auf "Hammer und Michel" Rock, ohne Rock zu spielen, Coldplay üben sich mit der Single "Magic" überraschend in Zurückhaltung und Greys münzen Kritik per Musik in Heldenverehrung um. Die Popkolumne - zum Lesen und Hören.

Von Max Fellmann

Es muss hier erst mal ein Missverständnis aufgeklärt werden: Der Hamburger Sänger Jan Delay, seit vielen Jahren bekannt für radiofreundlichen deutschen Hip-Hop und Soul, hat angekündigt, auf seinem neuen Album Rock auszuprobieren. Jetzt wird er viel kritisiert dafür. Er könne das nicht. Er verstehe davon nichts. Aber wer Delays Album "Hammer und Michel" (Universal) hört, merkt sofort: Der Mann versucht gar nicht, Rockmusik zu machen. Wäre das, was er da macht, ein ernst gemeinter Versuch, es wäre ja zum Weinen. Nein, Delay leiht sich nur Versatzstücke und mischt sie in seinen Jan-Delay-Sound.

Heraus kommt dabei eine Hello-Kitty-Version von Rock. Die Gitarren klingen wie das, was Alleinunterhalter-Keyboards mit dem Preset-Sound "Distorted Guitar" liefern, dazu Funk-Schlagzeug, Chöre, Bläser, schubidu, alles wie gehabt, manchmal gefährlich nah an den Heavy Tones, Stefan Raabs "TV Total"-Studio-Band. Mit Rock hat das so viel zu tun wie AC/DC mit dem Ententanz. In Interviews lässt Delay erkennen, dass er sich dabei trotzdem sehr mutig findet, aber das liegt daran, wie wichtig ihm enge Grenzen eigentlich sind.

Im Song "Scorpions-Ballade" klagt er, nichts sei mehr, wie es war, denn "Nazis hören Tupac" und "Polizisten hören Bob Marley". Schade um die schönen Feindbilder. Ein Lied heißt übrigens "Fick", hui, wie frech. Delay singt: "Ich komm in meinem Van und will aufmucken / auf euren Konsens raufspucken / Mag Leute vor den Kopf stoßen". Das Gegenteil ist der Fall. Hier wird kein Konsens auch nur angekratzt. Wenn Delay auf den Sommer-Open-Airs die neuen Songs in sein Hit-Programm mischt, werden sie nicht aus dem Rahmen fallen.

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In einer zynischen Welt haben es Romantiker nicht leicht. Die Musiker von Coldplay kennen das Problem: Sie machen hymnische Musik, was im Grunde sympathisch ist, aber weil sie den Pathos-Regler gern auf elf drehen, werden sie viel verspottet. Der Sänger Chris Martin bedankt sich auf Konzerten dafür, "dass ihr unsere Fans seid, obwohl ihr so viele blöde Sprüche aushalten müsst".

Coldplay kehren mit der Single "Magic" zurück. (Foto: N/A)

Bei der Tournee, auf der er das sagte, malten sie sich, die Bühne und die Instrumente mit Fingerfarben an, es sah aus wie beim Bastelnachmittag im Kindergarten, und ja, manchmal möchte man bei aller Sympathie einfach nur seufzen. Die neue Single heißt "Magic", minimaler Drumcomputer, zurückhaltende Akkorde, ein überraschender Richtungswechsel.

Und gerade als man denkt, na bitte, geht doch - gerade da stellen Coldplay das Video zum Song ins Netz, es sieht aus wie ein alter Stummfilm, es spielt im Zirkus. Und mehr Kitsch geht leider kaum. Chris Martin ist der Assistent einer zaubernden Chinesin, am Ende befreit er sie von ihrem bösen Ehemann, indem er ihn in den Himmel zaubert. Puh. Auf der nächsten Tournee wird er sich bei den Fans wohl wieder für ihre Leidensfähigkeit bedanken müssen.

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Gerade hat die Hip-Hop-Gruppe Wu-Tang Clan gemeldet, sie werde von ihrem neuen Album nur eine einzige Kopie verkaufen, und inzwischen seien ihnen für diese eine Kopie bereits 5 Millionen Dollar geboten worden. Der Rapper GZA, einer der schlausten Köpfe des Clans, arbeitet aber auch für weniger Geld:

GZA, 2011 auf dem Glastonbury Festival. (Foto: Getty Images)

Vor kurzem hat er einen Vortrag bei einem TedxTeen-Treffen gehalten (ein Ableger der berühmten Ted-Konferenzen, bei denen Forscher und Künstler Wissen austauschen). Er beschrieb, wie Rap-Texte ihm als Junge in Brooklyn halfen, etwas über die Welt zu erfahren. Die Thesen erinnern zwar deutlich an Chuck Ds klassische Formel von Rap als "black America's CNN", von Rap als dem Medium der Minderheiten. Aber GZA erklärt schon sehr charmant, warum Hip-Hop und Rap so viele Menschen begeistern.

Er sagt, Reime seien das Erste, was Kinder zu hören bekämen, und dann trägt er ein paar Abzählverse vor, wechselt elegant vom Kindersingsang in den Rap-Flow und wieder zurück, und alles ist klar: "A B C D E F Geeee / H I J K L MNO Peeee - that's Rap, you know!". Kleiner Tipp für die Kultusministerkonferenz: Dieses Video darf spätestens Ende des laufenden Schuljahrs gern zum Standardprogramm im Englischunterricht gehören.

Die junge kanadische Punkband Greys musste sich nach ihren ersten Auftritten anhören, sie klinge wie die sehr legendäre Band Fugazi. Wenn man gerade versucht, sich einen eigenen Ruf zu erbrüllen, kann das natürlich nerven. Aber jetzt hat die Band den Spieß einfach umgedreht - und einen erfreulich lärmigen Song veröffentlicht, der "Guy Picciotto" heißt, also wie der Sänger von, genau:

Greys aus Toronto veröffentlichen ihr Debüt "If Anything" im Juni 2014. (Foto: greys.bandcamp.com)

Fugazi. Das Lied ist im Netz auf Soundcloud zu hören und enthält die hübschen Zeilen "There goes my hero!/ He lives right down the street!/ There goes my hero!/ He plays the same guitar as me!" Darauf muss man erst mal kommen: aus einem Vorwurf einen Song machen und ihn den Kritikern entgegenplärren. Meta-Punk.

Fortlaufende Popkolumne der SZ. Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an. Auf der rechten Seite finden Sie mit der Maus den (sehr kleinen) Scrollbalken. Wenn Sie nach unten scrollen, finden Sie die Alben, die in den vergangenen Wochen in der Popkolumne besprochen wurden und gleichzeitig bei Spotify enthalten sind.

© SZ vom 09.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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