Die CDs der Woche - Popkolumne:Die Öko-Esoterik-Disco-Partei

Lesezeit: 3 min

Frida Gold (Foto: Warner)

Das zweite Album von Frida Gold besteht aus zwölf grässlichen Schlagern. Die größenwahnsinnigen Editors erobern die Welt und der Reggae von Fat Freddy's Drop klingt nach Blasmusik à la Marihuana. Die Popkolumne - zum Lesen und zum Hören.

Von Joachim Hentschel

Frida Gold

Die Klage, es gebe seit Romy Schneider keinen gescheiten deutschen Glamour mehr, können wir nicht mehr hören (und müssen es doch jedes Mal, wenn in München oder Berlin eine Lifestyle-Zeitschrift eröffnet und wieder eingestellt wird). Umso mehr freut man sich, wenn tatsächlich ein gutes Gegenargument auftaucht, eine halbwegs geeignete Discodiva aus, sagen wir mal: Hattingen im Ennepe-Ruhr-Kreis. Alina Süggeler, Sängerin der Gruppe Frida Gold, die Frau, die es schafft, auch noch in den Kleidern der hinterletzten Moderedaktion interessant auszusehen, die selbst im 35. Making-of-Video noch ein wenig Geheimnis für sich behält. Die etwas so Seltenes wie anspruchsvollen Sex-Appeal hat und 2010 mit "Zeig mir wie du tanzt" (ohne Komma) einen ernsthaft vielversprechenden Glitzerschuh-Hacken-Hit sang.

Wer in der Illusion weiterleben will, sollte das zweite Frida-Gold-Album "Liebe ist meine Religion" (Warner) auf keinen Fall hören: zwölf grässliche Schlager, grotesk aufgemotzt mit den Drum-Loops und Rave-Signalen, die vor zwanzig Jahren in Heimwerker-Synthesizer eingebaut wurden. Die Texte, die Süggeler singt, wirken wie das Wahlprogramm einer seltsamen Öko-Esoterik-Disco-Partei, immer nur Herz, Zeit, Liebe, Nacht. Vollkommen klar, dass man Glanz niemals ohne eine gewisse Oberflächlichkeit bekommt. Aber hier beweist die Hoffnungsträgerin, dass es am Ende auch für eine Diva nicht reicht, für wirklich überhaupt gar nichts zu stehen. Eine letzte Chance bleibt: der Eurovision Song Contest.

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Die kleinen Vampire dieser Welt müssen nicht als zerzauste Geschöpfe im Keller bleiben. Heute kommen sie, wenn sie sich schlau anstellen und einen guten Manager haben, aus den Katakomben bis auf die Opernbühne, blutrot beleuchtet, bejubelt vom nicht allzu lichtscheuen Gesindel. Was die Editors aus Birmingham - eine der größten Gitarrenbands aus Englands zweiter Reihe - in dieser Festspielsaison unbedingt vorzuhaben scheinen.

Das vierte Album der Editors "The Weight Of Your Love" kann man prima hören, um brasilianische Kampfkunst zu trainieren oder komplizierte Risottos zu kochen. (Foto: PIAS/Rough Trade)

Ihre vierte Platte "The Weight Of Your Love" (PIAS/Rough Trade) flackert, hallt und bebt so intensiv, dass man kaum mehr glauben mag, dass die Gruppe mal als existenzialistisches Gothic-Pop-Imitat für Indie-Klubs begann. Vorwürfe und Totschlagargumente, die sich daraus ergeben: Klingt alles wie die Größenwahnsinnigen von U2 und Coldplay, verrät seine Wurzeln, heult falsche Tränen und so weiter. Aber weil das ja viel zu naheliegend wäre, sagen wir einfach das Gegenteil: In einem Genre, in dem das ratlos Nachlässige so oft als Gipfel der Coolness gefeiert wird, retten die Editors die Eleganz.

Den utopisch hohen Ton, die Etikette des Salons, in dem es völlig legitim ist, ein Herz mit der schlagenden Glocke einer Dorfkirche gleichzusetzen oder einen Popsong "Formaldehyde" zu nennen. Den notwendigen Heldentenor hat Sänger Tom Smith gut eingeübt, und selbst wenn es nicht klappen sollte mit der Welteroberungskarriere: Dann kann man diese Musik immer noch prima hören, um etwa daheim brasilianische Kampfkunst zu trainieren oder sehr komplizierte Risottos zu kochen.

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Reggae ist ein schwieriges Thema, wurde ein paar Mal zu oft als Stadtfestmusik zwischen Wurstbuden hin- und hergejagt, von Teilzeit-Rastafaris gequält, ins Bayrische übersetzt. Genau so klingt auch "Blackbird" (The Drop/Alive) im ersten Moment, das dritte Album von Fat Freddy's Drop: süßer Rauch, provozierende Entspannung, Blasmusik à la Marihuana, Tangoklavier.

Gespielt von einer siebenköpfigen Super-Jam-Band aus Wellington, Neuseeland, drei Maoris, ein Samoaner, der Rest aus europäischen Einwandererfamilien - worüber es sich deshalb zu berichten lohnt, weil die Gruppe besonders in Europa enorm beliebt ist. Vor allem als Konzertattraktion, auch bei der Art von großstädtischem Longdrink-Publikum, das sich sonst von jedem Filzzopf fern hält.

Was genau hier so gut funktioniert, offenbart die neue Platte nach dem etwas lahmen Einstieg. Plötzlich befördern Sänger Joe Dukie und seine dicken Freunde ihren Reggae in Richtung Loft-Jazz, stricheln Bezüge zu den großen Elektropiano-Intellektuellen Steely Dan, tunken das Jamaika-Echo in Farben, die man eher in guten Londoner Technokellern vermuten würde. Die Kunst ist nicht, sich solche absurd klingenden Querverbindungen auszudenken - sondern die absolute Schlüssigkeit, mit der Fat Freddy's Drop diese stilistischen Linien ziehen, von einer Folklore zur völlig anderen. Der erste pennt, der zweite tanzt dazu.

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© SZ vom 03.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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