Popkolumne - Die CDs der Woche:Schluss mit nervig

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Als ihre Zwangslockerheit anstrengend wurde, gab sie ein bisschen Ruhe. Jetzt ist der nationale Lieblingsmensch Lena wieder da - und trifft mit der Platte "Stardust" genau den richtigen Ton. Popkonfekt, Cocktailmusik, Hits für geschmackssichere Jungmenschen und männliche Melancholie: Ausgewählte neue Musik gibt es von nun an jeden Mittwoch in unserer Popkolumne zum Reinhören. In Kooperation mit Spotify.

Max Scharnigg

Lenas neue Platte "Stardust": Mitpfeif-Material, mit einem oder zwei Songs ("Pink Elephant"), die auch einzeln in die Charts wandern dürften. (Foto: Universal)

Lena

Sympathisch von Lena war ja, dass sie selbst in Zeiten innigster Landes-Liebkosung unbedingt das nette Schusselmädchen bleiben wollte. Gerade als auch diese Zwangslockerheit in Talkshows und auf Preisverleihungen anstrengend wurde, gab sie ein bisschen Ruhe.

Viel rücksichtsvoller kann sich ein nationaler Lieblingsmensch nicht verhalten. Jetzt meldet sie sich, wie es sich für eine echte Musikerin gehört, mit ihrer Platte "Stardust" (Universal) gerade an dem Zeitpunkt der Geschichte zurück, an dem man von ihr nichts mehr erwartet hätte.

Was man geboten bekommt ist dann auch wieder alles andere als nervig, stattdessen ein kurzweiliger Haufen Musik. Lena kokettiert nicht mehr mit Interrail-Englisch und kehligen Stimmhüpfern, sondern hat alles ein bisschen ordentlicher und, ja, erwachsener auf die Reihe gebracht.

Ein Händchen für gute Berater hatte sie ja schon immer, diesmal ist ihr die schwedische Songwriterin Miss Li ein denkbar günstiger Umgang gewesen. Gemeinsam machen die beiden jungen Frauen aus Lena ein zeitloses und annähernd internationales Stück Popkonfekt, mal mit fröhlichem Chanson, mal mit Girlie-Soul, aber glücklicherweise nie mit einem verlockend nahen Dussel-Emo-Pop à la Silbermond.

Keine zu großen Gesten, keine zu quälende künstlerische Seriosität droht hier, stattdessen Mitpfeif-Material, mit einem oder zwei Songs ("Pink Elephant"), die auch einzeln in die Charts wandern dürften.

Cocktailmusik! Die gähnende Langeweile, die dem Spätwerk von Castingshow-Gewinnern für gewöhnlich innewohnt, umschifft sie zum Glück souverän. Lena schafft es wieder, ihre Lockerheit bis zum Endprodukt, bis zu jedem reizenden Refrain-Wohoo zu halten. Auf diesem Fundament kann sie noch lange Zeit mit überdurchschnittlicher Zuneigung rechnen.

Ihren Status als geflüsterter Geheimtipp unter Ivy-League-Studenten dürften Why? mit dem vierten Album "Mumps, etc" (City Slang) verlieren. Der tendenziell durchgeknallte Frontmann Yoni Wolf, sein Bruder Josh und die restliche Band haben es nämlich geschafft, mit "Sod in the Seed" einen Indie-Sommerhit zu landen, der auch noch im Herbst funktioniert.

Sprechgesang ist wieder durchgehend bestimmendes Element auf dem Album "Mumps, etc" (hier das Cover) von Why. (Foto: City Slang)

Dabei ist das Lied für Why?-Verhältnisse ungewöhnlich glatt und catchy geraten und damit ziemlich nah an Hits von Gorillaz oder Cake. Aber der unwiderstehliche weiße Hipster-Rap des Herrn Wolf und der fröhlich treibende Off-Beat bringen die Sache trotzdem exzellent ins Ziel.

Auf Plattenlänge zeigt die Band noch wesentlich komplexere Facetten, auch wenn der Sprechgesang diesmal wieder durchgehend bestimmendes Element ist. Das ist kein Hip-Hop im herkömmlichen Sinne, eher Geschichtenerzählen für geschmacksichere Jungmenschen in Williamsburg und Portland. Folk-Hop sagt die Band dazu, Neo-Hip wäre auch hübsch.

Zu den seltsamen Weltanalysen ihres Masterminds klopft die Band mal nur einen Minimal-Rhythmus, mal ist es ein hübsch apostrophiertes Synthieorchester oder altes Zeug vom Vierspurgerät, unbedingt wichtig ist aber ein abseitiger Groove. Heraus kommt in zehn von dreizehn Fällen sonnige Rollschuhmusik mit jiddischem Humor. Fein.

Wenn der Chef einer erfolgreichen Gitarrenband nach 15 Jahren ein Soloalbum macht, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder klingt das Ergebnis als wäre die Band nur hinter einem Vorhang versteckt oder aber es tönt so unerhört anders, dass die Band danach freiwillig kündigt.

Im Falle des wunderbaren Benjamin Gibbard ist mit "Former Lives" (City Slang) aber doch noch mal etwas anders herausgekommen. Es ist kein verkapptes Death-Cab-For-Cutie-Album. Gibbard alleine ist ein bisschen niedlicher, intimer, unfertiger. Das macht schon der A-Capella-Opener deutlich, der den Hörer in eine beschwingte, bisweilen leicht beschwipste Platte entlässt.

Sie bildet das Skizzenbuch des Sängers ab, zeigt was abseits des großen Weges an Eigenheiten, an Schrammel, Rassel und Liebesbriefen so liegen geblieben ist.

Mal klingt es wie 'ne flotte College-Rock-Parodie, mal ist er der Straßenmusikant, der die Akkorde so sanft aus der Gitarre streicht, weil er weiß: die Girls hören zu.

"Former Lives" ist eine feinsinnige, männliche Indieplatte geworden. Höhepunkte sind das Duett mit Aimee Mann "Bigger Than Love" und der "Dream Song" - Gibbard ist dabei so selbstbewusst auf der Höhe seines Songwritings, dass jeder Ton im Ohr zergeht. Nichts ist schwerer zu vertonen als eine leichte Melancholie. Hier ist es gelungen.

© SZ vom 10.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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