Deutscher Sachbuchpreis an Stephan Malinowski:Sprechende Mauern

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Er will kein Märtyrer der Wissenschaft sein. Der Historiker Stephan Malinowski hat die Hohenzollern erforscht. Für sein Buch hat er am Montag den mit 25 000 Euro dotierten Deutschen Sachbuchpreis bekommen. (Foto: Monika Skolimowska/dpa)

Stephan Malinowski empfängt im Berliner Humboldt Forum, der einstigen Hohenzollern-Residenz, den Deutschen Sachbuchpreis für sein Buch "Die Hohenzollern und die Nazis".

Von Lothar Müller

Manchmal sind die Schauplätze von Ehrungen mehr als lediglich stumme Zeugen. Ein solcher Moment trat ein, als am Montag Karin Schmidt-Friderichs, die Vorsteherin des Deutschen Börsenvereins, im Berliner Humboldt Forum bekanntgab, wer den Deutschen Sachbuchpreis 2022 gewonnen hat: Stephan Malinowski mit seinem Buch "Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration".

Das Humboldt Forum residiert in einem Gebäude, das dem alten Stadtschloss der Hohenzollern in der historischen Mitte Berlins nachempfunden ist. Im Auftrag des Landes Brandenburg hat Malinowski 2014 in einem Gutachten die Frage bejaht, ob der ehemalige Kronprinz und Chef des Hauses Hohenzollern, Wilhelm von Preußen, dem nationalsozialistischen System "erheblichen Vorschub" geleistet habe. Die Klärung dieser Frage steht im Zentrum der noch offenen gerichtlichen Entscheidung über Entschädigungsforderungen der Hohenzollern für Enteignungen nach 1945. Mehrfach ist der Historiker wegen öffentlicher Äußerungen über die Hohenzollern von deren aktuellem Sprecher verklagt worden. Und so war der Eindruck unabweisbar, mit dem Deutschen Sachbuchpreis 2022 hätten die Hohenzollern just dort, wo sie einst herrschten, eine symbolisch bedeutsame Niederlage erlitten. Das Urteil der Buchbranche steht fest, es fehlt nur noch die Ratifizierung durch die zuständigen Richter.

Die Jury sah eine "glänzende Milieustudie konservativer und rechter Republikfeindlichkeit"

Die Jury -Begründung würdigt Malinowskis "ausgezeichnet recherchiertes und brillant erzähltes Buch" als "glänzende Milieustudie konservativer und rechter Republikfeindlichkeit" und liest es als Beitrag zur Klärung der Frage nach dem "Vorschub". Unüberhörbar ist in ihrem Schlusssatz zudem die Kritik an der Prozessfreudigkeit der Hohenzollern, die in den vergangenen Jahren zahlreiche Historiker und Journalisten mit Klagen überzogen haben: "Malinowski gibt eine überzeugende Antwort auf die Restitutionsforderungen der Hohenzollern und verteidigt zugleich die Wissenschaftsfreiheit gegen Widerstände."

Angesichts solcher Steilvorlagen ist die Konsequenz bemerkenswert, mit der Malinowski selbst es vermied, sein Buch als Gutachten im Hohenzollernstreit und sich selbst als Märtyrer der Wissenschaft zu präsentieren, der auf symbolischem Terrain über seine Widersacher triumphiert. Seinem Anwalt dankte er nachdrücklich, aber knapp. Gerade dadurch wurde seine kleine Rede zum Dokument der Treue eines Autors zum Grundimpuls seines Buches. Dieser Impuls liegt darin, aus der Sphäre der Gutachten, Gerichtssäle und Interviews in den Raum der Geschichtswissenschaft, der Forschung auf dem eigenen Spezialgebiet der modernen Adelsgeschichte zurückzukehren. Schon in der Einleitung des Buches betont Malinowski, seinen Stoff nicht auf die Frage der "Vorschubleistung" durch Wilhelm von Preußen und schon gar nicht auf dessen Person reduzieren zu wollen. Dieser Nicht-Reduktion dient der methodische Aufwand des Buches, das Gruppenporträt, dynastische Genealogie, Milieustudie und Medienanalyse kombiniert. In dichter, von ethnologischen Modellen inspirierter Beschreibung spürt es den politisch-pragmatischen Effekten des "symbolischen Kapitals" der Hohenzollern nach.

Es graust Malinowski davor, wieder allein als Gutachter im Restitutionsprozess im Rampenlicht zu stehen

Ausdrücklich merkte Malinowski in seiner Dankesrede an, für die juristische Klärung der "Vorschubfrage" nicht kompetent zu sein. Ebenso nachdrücklich markierte er die Grundlinien seines historischen Urteils über den Beitrag der alten Eliten zur Zerschlagung der Weimarer Demokratie. Als "Lehrstück über PR" präsentierte er sein Buch, das eine Vielzahl medienhistorischer Quellen erschließt, um den Legendenerfindungen der Hohenzollern nach 1918 über sich selbst und der Fabrikation von "alternativen Fakten" nachzuspüren. Erst am Ende seiner Dankesrede ging er kurz auf die Vermögensmassen des Adels und die Neigung der Hohenzollern ein, "auf der Grundlage mäßiger Leistungen maßlose Forderungen an den Staat stellen".

Im Humboldt Forum stand also ein Historiker am Pult, den es offenkundig davor graust, wieder allein als Gutachter mit Blick auf den Restitutionsprozess im Rampenlicht zu stehen. Eine gütliche Einigung der Öffentlichen Hand mit den Hohenzollern ist Anfang Mai gescheitert, nun wird das Verwaltungsgericht in Potsdam das unterbrochene Verfahren wieder aufnehmen. Nach wie vor ist ungewiss, wie es entscheidet. Auf die Klärung der "Vorschubfrage" will Malinowski vor diesem Hintergrund sein Werk nicht reduziert sehen und den Sachbuchpreis auch nicht als Gutachterprämie verstanden wissen. Er hat die Hohenzollern auf sein Terrain zitiert, mit seinen Methoden ihr Agieren im zwanzigsten Jahrhundert umfassend erforscht und sein Buch als Fallstudie zur Adelsgeschichte in Deutschland an die Historiker und das interessierte Publikum adressiert, nicht an die Richter in Potsdam. Zu Recht ist er sich in seiner Dankesrede treu geblieben.

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