Deutscher Alltag:Schleich di

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Die CSU ist jetzt gegen Kernkraft, Stoiber für Entbürokratisierung zuständig und BMW gibt vor, über Ökologie nachzudenken. Kann es sein, dass wir da irgendwas verschlafen haben?

Kurt Kister

Nahe der antiken Stadt Ephesos, deren majestätische Trümmer heute zum Staatsgebiet der Türkei gehören, gibt es eine Grotte, in der angeblich einst die berühmten Siebenschläfer zwei Jahrhunderte ruhend übersprungen haben sollen. Will man dahin, parkt man das Auto bei einer Ansammlung von Freiluftkneipen, zu deren Spezialität handgefertigte, höchst fade Teigfladen mit verschiedenen Belägen zählen. Von den Faden-Fladen-Kneipen führt ein Weg zu der Grotte, die einerseits für den Phänomenologen interessant ist - hier also hätten sie geschlafen, hätte es sie denn gegeben. Andererseits ist sie, wie so viele historische Plätze, auch wieder enttäuschend, weil man durch einen Drahtzaun gucken muss und nicht viel mehr sieht als jede Menge in den Fels geschlagene frühchristliche Grabstätten.

Auch ein Siebenschläfer - und zwar einer, der sieben Wochen Sommer verspricht. Die berühmten Siebenschläfer nahe der antiken Stadt Ephesos hingegen sollen zwei Jahrhunderte ruhend übersprungen haben. In München würden 30 Jahre reichen, um sich nicht mehr zurechtzufinden. (Foto: dpa)

Von den Siebenschläfern jedenfalls heißt es, sie seien sieben Hirten gewesen und hätten sich gegen 250 nach Christus geweigert, dem römischen Kaiser Decius wie einem Gott zu huldigen. Sie wurden verfolgt, fanden Zuflucht in einer Höhle und entschlummerten. Als sie wieder aufwachten, waren 200 Jahre vergangen, und man verfolgte keine Christen mehr.

Mal angenommen, man wäre als eine Art Amateur-Siebenschläfer 1981 in München in den Tiefschlaf verfallen und 30 Jahre später, an einem Mai-Samstag im Jahre 2011, wieder aufgewacht.

Man wäre in die nächste Wirtschaft gegangen und hätte versucht, auf den Schreck für 1,60 Mark eine Halbe Bier zu kaufen und sich bei der Bestellung eine Zigarette angezündet. Der Wirt hätte nur gesagt: "schleich di", weil die Halbe kostet heute 3,50 Euro, das sind sieben Mark, und wegen der Zigarette kann man verhaftet werden.

Man hätte sich verstört in eine Kirche geflüchtet und dort auf einem Plakat gelesen, der Erzbischof Ratzinger sei jetzt Papst. Um Gottes willen. Man hätte gedacht, jetzt wird gleich noch einer erzählen, der Strauß sei tot und der Kohl Bundeskanzler.

Man hätte sich eine Zeitung aus dem Verkaufskasten geliehen und gelesen, dass ein Ministerpräsident Seehofer gesagt hat, wenn die CSU in Bayern ihre Mehrheit erhalten wolle, müsse der Atomausstieg bis 2020 durchgezogen werden.

Man hätte als Siebenschläfer gedacht: Ob wohl zwischendurch, so 1996, wieder ein Krieg stattgefunden hat und eine Umerziehung, und deswegen ist die CSU jetzt gegen Kernkraft so wie die Deutschen nach 1945 plötzlich alle Demokraten wurden?

Dann hätte man gelesen, dass der Stoiber für Entbürokratisierung zuständig ist, und BMW über Ökologie nachzudenken vorgibt. Man wäre plötzlich wieder sehr müde geworden und hätte nicht vor 2070 aufwachen wollen.

© SZ vom 21.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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