Deutscher Alltag:Kairo leuchtete

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Im Abendnebel sieht München fast ein bisschen aus wie Kairo im Smog. Doch in München werden die Menschen niemals wochenlang demonstrieren, nicht einmal für ein gemeinsames Armani-Hackett-Outlet nahe der Oper.

Kurt Kister

Wenn über München ein winterlicher Abendnebel liegt, der von der schon untergegangenen Sonne rötlich-gelb verfärbt wird, könnte man fast meinen, man sehe Kairo im Smog. Der Blick über München aus dem Verlagshochhaus ist ungefähr so wie der über Kairo von der Alabastermoschee aus. Allerdings ist es in München immer noch eklig kalt. Und in München werden niemals Menschen wochenlang für etwas demonstrieren, nicht einmal dafür, dass Armani, Hackett und La Martina ein gemeinsames Flagship-Outlet nahe der Oper aufmachen sollen. Zwar herrscht Christian Ude nicht ganz so lang wie der alte Mubarak, aber immerhin trägt Mubarak im Gegensatz zu dem höchst gemütlichen Autokraten Ude keinen Schnurrbart.

Wenn die schon untergangene Sonne den Dunst über München rötlich-geld verfärbt, erinnert das an den Blick auf Kairo von der Alabastermoschee aus. Sonst haben die beiden Städte nicht so viel gemeinsam. (Foto: AP)

Allerdings muss man auch sagen, dass es trotz Feuchtwanger und Oskar Maria Graf über München keine so anrührenden, menschlichen und gleichzeitig entlarvenden Bücher gibt, wie sie Nagib Machfus über Kairo geschrieben hat. Machfus, ein Hochwürdiger unter den Nobelpreisträgern, lebte zwischen 1911 und 2006 in Kairo. Er war ein Jahrhundertmann und ein Jahrtausenderzähler. Wer vielleicht gerade Jonathan Franzens Freiheit gelesen hat und das Buch niederlegte in der Gewissheit, so müsse der moderne Roman sein, der möge den Fernseher mit der Dauerschreckenssendung Chaos in Ägypten ausschalten und Die Kinder unseres Viertels von Machfus lesen.

Wer Machfus liest, der fragt nicht, wie das System Mubarak funktionieren konnte. Gabalawi, der im Laufe der Jahre ins nur noch Mysteriöse entschwindende Herr des großen Hauses, ist die von Machfus beschriebene Menschwerdung der unberechenbaren Macht. Um das große Haus herum hält eine Korona von Verwaltern, Dienstleuten, Schlägern und Volkskujonierern die Leute des Viertels nieder. Das Volk hofft auf das große Haus, weil es die Keimzelle des Viertels war und alle irgendwie dazugehören, obwohl kaum einer jemals hineindarf, auch wenn sie bisweilen vor dem Haus laut schreien und demonstrieren, so wie man das heute auf dem Tahrir-Platz tut. Irgendwie fällt alle Hoffnung wieder ins Elend, aus dem später neue Hoffnung steigt. Ach ja, Adam und Eva, Moses und Mohammed kommen auch leicht camoufliert vor.

Was könnte Nagib Machfus für die Volksbewegung heute bedeuten, lebte er denn noch! Er war ein Mann der Vernunft, ein Kaffeehausliterat im allerbesten Sinne, was natürlich die Islamisten, die Erzgebrüder der Unvernunft, aufbrachte. Einer hätte Machfus 1994 fast erstochen. Wo sich autoritäre Herrschaft und Fanatismus paaren, das war auch Machfus' Botschaft, erstreckt sich die Wüste. Sie beginnt gleich hinter dem großen Haus.

© SZ vom 12.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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