Deutsche Sprache:Gemeinschaftsprojekt "Deutsch"

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Wenn der Klett Verlag nun, begleitet von einer großen Werbekampagne, mit seinem unter den Namen "Pons" vertriebenen Wörterbuch der deutschen Sprache ins Internet geht, um dort seinen Rat - gratis, selbstverständlich - der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, dann glaubt dort jemand, sich mit den Mitteln eines digitalen Mediums gegen das dicke gelb-schwarze Buch durchsetzen zu können, eben weil dessen öffentliche Geltung schon so gelitten hat. Dabei gehörte die Wörterbuch-Redaktion des Klett Verlags bislang nicht einmal zu den Experten, die in den Rat für deutsche Rechtschreibung geladen wurden.

Vielleicht muss sie auch nicht zu diesem halbstaatlichen Gremium gehören, da der "Pons" im Internet nach dem Prinzip von "Wikipedia" betrieben werden soll: als Gemeinschaftsprojekt seiner Benutzer, deren Tätigkeit von der Redaktion nicht gesteuert, sondern nur betreut werden soll. Zwar weiß man nicht recht, wie der Klett Verlag mit diesem Angebot Geld verdienen will: Aber dass sich da jemand vom Glauben an eine sonderbare Autorität abwendet und die Sprache, ein kollektives Gut, ihren Benutzern zurückgibt, erscheint zunächst als ehrenwertes Unterfangen.

Das wird nicht jedem gefallen. Der Schule nicht, die auf verbindliche Schreibungen drängen muss. Aber wenn es, was offenbar der Fall ist, immer weniger Schüler gibt, die sich auf hohem Niveau sprachlich ausdrücken können, dann liegt das nicht am "Duden", sondern am mangelnden oder fehlgeleiteten Umgang mit Literatur und Schrift. Und auch den vielen deutschen Menschen wird es nicht gefallen, die zwar die Schule längst hinter sich gebracht haben, aber dennoch ein ganz eigenes Vergnügen an der Rechtschreibung haben: Denn es ist, wenn von Rechtschreibung die Rede ist, allzu schnell ein Ruf nach Ordnung und ein Verlangen nach dem strengen Lehrer da - und der Ton von Vorschrift und Regel, von Pflicht und Zensur, von Nachhilfe und gefährdeter Versetzung.

Auf seltsame, oft bestürzende Weise verknüpfen sich dabei immer wieder Sprachkritik und Moral: so als wäre jeder, der unbeholfen, unverständlich, fehlerhaft spricht oder schreibt, zugleich ein schlechter Mensch - und der andere, der ihn bei einem Vergehen wider die gute Sprache ertappt, immer schon ein Richter, der, weil das Verbrechen ja offenbar ist, sich über dessen Ursachen keine Gedanken mehr machen muss. Der dauerhafte Erfolg der öffentlichen Nachhilfestunden Bastian Sicks ist insofern eine der unheimlichsten Errungenschaften der populären Kultur in Deutschland - und dass diese Unterweisungen oft selber fehlerhaft sind, wie der Berliner Sprachwissenschaftler André Meinunger in einem niederschmetternden Buch ("Sick of Sick". Kulturverlag Kadmos, Berlin 2008) nachgewiesen hat, macht die Sache nicht besser.

Schriebe nun jeder, wie er wollte, so wäre nichts gewonnen. Aber es schreibt ja fast nie einer, wie er will. Hielte man, wie es der Erlanger Linguist Theodor Ickler vor einigen Jahren mit seinem Wörterbuch der "normalen deutschen Rechtschreibung" (Reichl Verlag, 2004) tat, lediglich fest, was sich im Lauf der vergangenen 200 Jahre, auch mit Hilfe der angewandten Sprachwissenschaft, als allgemeine Schreibung herausgebildet hat, so wäre dem Anliegen, über eine nach vernünftigen, nachvollziehbaren, in sich konsistenten Regeln verfasste Schriftsprache zu verfügen, durchaus Genüge getan.

Und die so freigewordenen Kräfte ließen sich einem anderen, viel sinnvolleren Unternehmen widmen: Denn wie schade ist es - und wie bezeichnend -, dass die Redaktion des Duden Verlags vor Jahren ihr Werk "Zweifelsfälle der deutschen Sprache" durch eines mit dem Titel "Gutes und richtiges Deutsch" ersetzte. Denn durch Normen lernt man nichts. Um wieviel mehr aber durch Fragen.

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