Von der Berliner Volksbühne war im Communiqué des französischen Kulturministers nicht die Rede. Ist diese missglückte Episode in der Karriere des belgischen Kulturmanagers Chris Dercon bereits passé und vergessen? Der angesehene Kunsthistoriker und Kurator habe das Museum Boijmans Van Beuningen in Rotterdam, die Tate Modern und das Münchner Haus der Kunst geleitet, ließ Minister Franck Riester verlauten, und vom 1. Januar 2019 an werde Dercon für fünf Jahre die Leitung der französischen Staatsmuseen im Grand Palais auf den Pariser Champs-Elysées übernehmen. Die Ernennung genehmigte der Ministerrat am Mittwoch. Dann ging erst mal ein leeres Schlucken durch die Pariser Kunstszene. Denn die Besetzung der Volksbühne und den kleinlauten Abgang des Intendanten Dercon hatte man an der Seine sehr wohl neugierig verfolgt.
Das Prunkgebäude des Grand Palais ist vor sieben Jahren mit der Réunion des Musées Nationaux (RMN) verschmolzen worden. Mit seinen 70 000 Quadratmetern Nutzfläche bietet es Raum für die großen Wechselausstellungen der anderthalb Dutzend in der RMN zusammengeschlossenen französischen Staatsmuseen, gegenwärtig gerade für eine umfassende Mirò-Retrospektive. Seit der Einweihung zur Weltausstellung von 1900 zusammen mit dem Petit Palais ist der Bau aber nie von Grund auf saniert worden. Weil von der monumentalen Verrière die rostigen Nieten herunterfielen, wurde vor ein paar Jahren dieser Teil instandgesetzt. Der Ort, an dem auch die großen Kunstmessen wie die Fiac stattfinden, entspricht aber nicht mehr den geltenden Sicherheitsnormen. So entschied man sich nach langem Zögern zu einer Totalüberholung, die von Ende 2020 bis zum Frühjahr 2024 dauern soll. Die Kosten dafür werden mit 460 Millionen Euro beziffert. Im Jahr 2010 lag die Schätzung noch bei 230 Millionen Euro. Den Mitgliedern des französischen Rechnungshofs haben, wie aus dem jüngsten Bericht zu ersehen ist, die Ohren gewackelt.
Aus der Réunion des Musées Nationaux - Grand Palais - so die offizielle Bezeichnung - soll offenbar ein "Weltmonument" gemacht werden, eine Attraktion für den globalen Kulturtourismus mit Luxusterrasse über der Seine, Restaurants und schicken Läden. Und Chris Dercon soll diese Verwandlung steuern.
Der neue Mann ist in Frankreich noch nicht in Erscheinung getreten. Leicht wird er es auch hier nicht haben, denn mancher fragt sich schon, ob das Land nicht gerade dabei sei, sich mit einem kulturellen Riesenvorhaben zu übernehmen, wo es mit einer Sonderlotterie gerade mal 20 Millionen Euro für andere dringliche Denkmalrestaurierungen zusammengebracht hat. Der Umbau des Grand Palais soll drei Prozent des gesamten französischen Haushalts für Denkmalpflege verschlingen.
Einige Kritiker sprechen noch deutlichere Worte. Von Schicki-Micki-Kultur wird schon gemunkelt. Von Chris Dercon habe er bis vor Kurzem keine klare Vorstellung gehabt, erklärt der rührige Kulturkolumnist Didier Rykner in seinem Internetmagazin La Tribune des Arts. Seitdem er ihn bei einer Veranstaltung sagen gehört habe, die Museumsbesucher seien ihm wichtiger als die Werke, mache er sich Sorgen. Dass im Grand Palais, wo sich heute schon bei den Großveranstaltungen vor den Meisterwerken die Massen drängen, die Leute künftig auch ohne Werke Schlange stehen könnten, wäre in Paris für viele ein Graus. Andere wollen Dercon erst mal kommen lassen und sparen ihren Kulturpessimismus für später auf.