David Bowie:Die Außenseiter

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1994 besuchte David Bowie mit Brian Eno die Art-Brut-Klinik Gugging. Der Aufenthalt sollte ihn stark prägen - erstmals sind die Bilder von dem Tag zu sehen.

Von Andrian Kreye

David Bowie sprach noch Jahre später über jenen Spätsommernachmittag im September 1994, als der Wiener Liedermacher und Künstler André Heller ihn und seinen Weggefährten Brian Eno mit in die Landesnervenklinik im niederösterreichischen Maria Gugging nahm. Das Haus hatte einen finsteren Ruf. Die Nazis hatten es während ihrer Herrschaft als Euthanasieklinik missbraucht. Seit den Fünfzigerjahren aber hatte der Psychiater Leo Navratil die Patienten dort zum Malen und Zeichnen angehalten. So entstand über die Jahre eine regelrechte Künstlerkolonie, die jene Außenseiterkunst hervorbrachte, die in der Kunstgeschichte Art Brut genannt wird.

In den Arbeiten von Oswald Tschirtner, Johann Garber, August Walla und Johann Fischer fanden Bowie und Eno an diesem Nachmittag eine Kraft und eine Ausdrucksstärke, die sie nachhaltig beeindruckten. Beide hatten in ihrer Musik immer wieder Avantgarde- und Außenseiterkunst verarbeitet. In den Siebzigerjahren hatten sie in Berlin "Low", "Heroes" und "Lodger" produziert, drei Alben, die zwar zu den erfolgreichsten, aber auch zu den schwierigsten der Rockgeschichte gehörten.

Dann hatten sie sich voneinander entfernt. Bowie versuchte sich an Disco und Mainstream, Eno machte U2 zum Welterfolg. Zwei Jahre zuvor hatten sie sich auf Bowies Hochzeit mit dem somalischen Model Iman wiedergefunden und auf dem Fest auch wieder Musik zusammen gemacht.

Die, die dabei waren an jenem Nachmittag in Gugging, erinnern sich an einen stillen, beeindruckten Bowie, der zuhörte, Skizzen anfertigte, der mit den Patienten Kaffee trank und sich vor allem in die Gemälde und Zeichnungen vertiefte, die mit ihrer heftigen Bildsprache so einen Eindruck auf ihn machten.

Einige der Bilder fanden ihren Weg in Bowies Kunstsammlung. Vor allem aber begleiteten sie ihn und Eno ins Studio, als sie nach Montreux zurückkehrten, wo sie sich zum ersten Mal seit 15 Jahren wieder gemeinsam an die Arbeit gemacht hatten. Der Titel des Albums, das da entstand, war dann ein direkter Verweis auf die Inspiration aus Gugging: "Outside". Wieder war es ein sperriges Werk.

Bowie kehrte für "Outside" zum Cut-Up zurück, einer Literaturtechnik aus der Avantgarde der Beatnik-Jahre, bei der ein Text in Einzelteile zerschnitten und dann nicht linear wieder zusammengesetzt wird. Mit dem Unterschied, dass er dieses Mal einen Apple-Computer verwendete. Der Erfinder der Musiksoftware Gracenote Ty Roberts hatte für Bowie extra das Cut-Up-Programm Verbasizer geschrieben.

Bowie machte nie einen Hehl daraus, dass er Außenseiterkulturen verarbeitete und Kraft daraus schöpfte. Warum auch? Die kulturelle Aneignung war von Anfang an ein Motor des Pop gewesen. Warum also sollte er die Kraftquelle nicht nutzen, die er da in Niederösterreich entdeckt hatte? Im Studio hingen die Bilder als Inspiration.

Lange blieb der Besuch in Gugging ein Mythos. Als voriges Jahr die Kunstsammlung des verstorbenen Bowie versteigert wurde, tauchten die Bilder wieder auf, die Bowie so viel bedeuteten. Sonst gab es bisher kein Zeugnis von jenem Nachmittag, obwohl eine Fotografin dabei gewesen war. Doch die hatte keinen Auftrag, veröffentlichte sie nie. Erst in diesem Herbst hat Christine de Grancy die Fotos aus ihrem Privatarchiv geholt und eine Ausstellung in der Galerie Crone in Wien geplant.

Wie stark der Mythos noch wirkt, merkte sie erst, als die Galerie ein Bild auf Facebook stellte. Plötzlich meldeten sich Zeitschriften aus aller Welt, die sie drucken wollten. Die New York Times und der Rolling Stone lieferten sich in Amerika einen Bieterwettbewerb. In Wien sind sie noch bis Februar zu sehen.

Bowie in Gugging von Christine de Grancy. Galerie Crone, Wien. Bis 17. Februar. www.galeriecrone.com. Kein Katalog, limitierte Kassette mit 18 Abzügen für 4560 Euro über die Galerie.

© SZ vom 22.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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