Lockdown-Theater:"Ich bin das Tröpfchen auf der heißen Stirn"

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Fiebriger Wortschwall eines Unternehmensberaters in Quarantäne: Der Schauspieler Florian Jahr in Albert Ostermaiers Zoom-Ein-Mann-Stück "Superspreader". (Foto: C. D.)

Albert Ostermaier hat ein Ansteckungsdrama geschrieben. Es heißt "Superspreader". Am Münchner Residenztheater wird daraus ein irrer Monolog auf dem Zoom-Bildschirm.

Von Christine Dössel

"Superspreader" ist natürlich ein Supertitel für ein Theaterstück in pandemischen Zeiten. Er klingt gefährlich, nach Virenschleuder und Ansteckungsgefahr. Aber nicht nur deshalb dürfte der Münchner Dramatiker Albert Ostermaier diesen Titel gewählt haben. Sondern auch, weil er so gut korrespondiert mit einem früheren, ähnlichen Stück von ihm, herausgekommen vor zwanzig Jahren: "Erreger", das war der Wahnsinnsmonolog eines durchgedrehten Börsenmaklers, eines Traders, der von der Vorstellung besessen ist, von einem Computervirus befallen zu sein. Bei der Uraufführung in Hannover spielte damals der gewaltige Thomas Thieme diesen Mann als Quarantänepatienten, festgeschnallt auf einer Liege wie der gefesselte Prometheus. Unvergessen in seiner Wucht.

"Superspreader" ist eine Art "Erreger reloaded": wieder ein kaskadischer Monolog, wieder ist die zentrale Metapher ein Virus, sogar ein höchst reales, globales, letales (auch wenn das Wort Corona kein einziges Mal fällt), und wieder spricht ein Vertreter der herrschenden Systemrelevanz, diesmal ein Unternehmensberater namens Marcel. Auch er scheint in Quarantäne zu sein. Zumindest schaut das dürftig wohnlich ausgestattete Zimmer, aus dem er funkt, wie eine Isolierzelle aus. Oder eine Billigabsteige zur Selbstisolation.

In Wahrheit ist es eine Theatergarderobe im Münchner Residenztheater. Der junge Schauspieler Florian Jahr hat sich Ostermaiers coronalen Wortschwall in nur sechs Tagen angeeignet und spricht ihn so fiebrig, diabolisch und intensiv, als sei er davon infiziert. Ein "Superspreader", der sich in der unaufwendigen Regie von Nora Schlocker zwischen Bett und Waschbecken wie irre ins Zeug legt und sich zwischendurch eine "ansteckt", haha. Dass er mit aufgerissenen Augen den Zuschauern verboten nahe kommt, ihnen manchmal schier ins Gesicht zu spucken scheint, liegt an den besonderen Umständen dieser Uraufführung, die als Zoom-Premiere kurzfristig ins digitale Lockdown-Programm gehoben wurde.

Die Virus-Metapher erfasst den ganzen Kapitalismus

Zu den Zoom-Vorstellungen live aus der Garderobe - eine Darstellungsform, die schon Lisa Stiegler mit ihrem Solo "Lenz" am Resi eingeführt hat - sind jeweils nur 15 angemeldete Zuschauer zugelassen. Sie sollen während der Aufführung Kamera und Mikrofon angeschaltet lassen, das befördert die Konzentration und das Placebogefühl der Gemeinschaft in einem Theaterraum. Störgeräusche sind ausdrücklich erlaubt, ein Glas Wein vor dem Bildschirm auch. Der Schauspieler will sein Publikum hören und sehen, die Möglichkeit zu interagieren nutzt er aber kaum. Dafür gibt es hinterher die Gelegenheit, sich mit ihm auszutauschen. Sozusagen als Bonustrack. Es wird dann auch angestoßen. Cheers, endlich mal wieder Theater!

Vor zwanzig Jahren hieß ein Wahnsinnsmonolog von ihm "Erreger", und jetzt kommt der "Superspreader": Dramatiker und Dichter Albert Ostermaier. (Foto: Holger Hollemann/dpa)

Ostermaiers "Superspreader" ist eine Pandemie-Geburt, hochgradig gegenwärtig, eine idiosynkratische Reaktion auf die Zeit. Neurotisch, dystopisch, angstwutpoetisch. Mit Covid im Nacken nimmt der sprachversierte Autor den Zustand der Welt in den Lockdown-Tunnelblick. Der ist so düster-pessimistisch, dass sogar den sonst so wortspielverliebten Ostermaier-Manierismen die Triumphierlust vergeht. Was kein Schaden ist. Mit dem Virus als Metapher nährt Ostermaier die Ungeheuer, die ein krankes System gebiert. Die wahre Seuche ist für ihn der Kapitalismus, verbreitet durch Optimierer und Profitmaximierer wie den Unternehmensberater Marcel.

Das ist als Zivilisationskritik zwar rührend unterkomplex. Aber Ostermaier macht aus seinem waidwunden Romantikerherz nun mal keine Mördergrube, und deshalb hat seine wohlgeformte Hirnwut durchaus eine Glut. Dass der Text trotz konkreter Benennung einer Figur abstrakt bleibt und global mäandert, von chicen Hotelzimmern und Business Lounges über Schlachthäuser und Arbeiterdrecksquartiere hin zu den Viehmärkten in Wuhan, ist eine Stärke. Eine fiebertraumartige Verquickung von Bildern, Nachrichten, Albtraumgespinsten.

Ist dieser Mann der Patient null? Oder einfach nur eine Null?

Auch der Protagonist selbst ist nicht zu greifen. Die biografischen Hinweise fügen sich bewusst nicht zu einem Psychogramm, schwirren partikelhaft wie Aerosole. "Ich bin das Tröpfchen auf der heißen Stirn", unkt er wortspielerisch. Der Mann scheint sich infiziert zu haben, womöglich ist er der Patient null? Oder ist er einfach nur "eine Null", so wie er als Kind immer verunglimpft wurde? Von der Mutter nicht gewollt, vom Vater missbraucht. In Erinnerungs-Flashs blitzt eine traumatische Kindheit auf.

Andererseits spricht hier ein Macher, ein skrupelloser "Superheld" des Finanzkapitalismus. Und auch ein Täter, ein Mann auf der Flucht. Oder ist er selbst das Virus? Der Text suggeriert auch das, lässt den Erreger sich als zynischen "Spieler" präsentieren, der an den Menschen das "perfekte Verbrechen" begeht. "Sie laufen durch den Supermarkt, und es ist wie russisches Roulette."

Im Delirium der Sprache mischen sich Corona-Alltagsbegriffe wie das beliebte "Stoßlüften" mit Filmzitaten, Lyrik-Sprengseln und Manager-Speak. Jedes Wort kann hier das Sprungbrett für den nächsten Gedanken sein, es ist fast ein bisschen wie bei Elfriede Jelinek. Sprachbilder mutieren wie Viren und fügen sich zu einem manischen Assoziationsstrudel, ansteckungsgefährlich. Am Ende kommt der Schauspiel-Spreader Florian Jahr bedrohlich nahe und haucht den Monitor an. Bis er beschlägt.

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