Cannes-Palme 2004:Verschwört euch doch wieder, Kinder!

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Michael Moores ¸¸Fahrenheit 9/11" hat in Cannes gewonnen. Ein Schelm, wer Schlimmes dabei denkt.

SUSAN VAHABZADEH

Quentin Tarantino, wahrscheinlich der aufsehenerregendste Jury-Präsident, den Cannes je hatte, ist ein schlaues Kind. In der Eröffnungspressekonferenz der 57. Filmfestspiele ist er nach seiner Haltung zu Michael Moores ¸¸Fahrenheit 9/11" befragt worden, und er hat eine vorausschauend ausgeschlafene Antwort gegeben. Die Arme in klarer Abwehrhaltung, sprach Tarantino: ¸¸Er wird als Film bestehen müssen, may politics be damned." Zum Teufel mit der Politik.

Eigentlich ist die Vorstellung doch sehr hübsch, dass Miramax-Boss Harvey Weinstein beim nächsten Treffen mit seinen Vorgesetzten bei Disney nicht mehr der Mann sein wird, der auf das enfant terrible Michael Moore gesetzt hat, sondern einer, der sich frühzeitig die Rechte am diesjährigen Cannes-Siegerfilm gesichert hat. (Foto: Foto: AP)

Den Satz muss er jetzt nur wiederholen und kann behaupten, das hätte er schon immer gesagt. Man kann Tarantino und der Jury gottseidank nicht nachweisen, welche Überlegungen sie dazu bewogen haben mögen, Moore mit der Goldenen Palme auszuzeichnen; vorstellen kann man sie sich schon. Dass Moores ¸¸Fahrenheit 9/11", vom Filmemacher selbst freimütig als Beitrag zum Wahlkampf angekündigt und zur Imagepflege von Bush, Cheney und Rumsfeld, denen Moore bei der Palmenzeremonie im Festivalpalast dankte, wahrlich nicht geeignet, als Film bestehen musste, kann eigentlich nicht sein. Über den Sinn und Nutzen von ¸¸Fahrenheit" kann man geteilter Meinung sein, aber um eine cineastische Großtat handelt es sich nicht.

Nun geht es hier aber auch darum, schon aus Prinzip, dem Film den Weg in die US-Kinos zu ebnen - und nicht nur den Erfolg an Orten, wo die Mehrheit des Publikums ohnehin bereit wäre, George Bush beim Packen zu helfen, wenn er nur endlich aus dem Weißen Haus auszieht. Die Stellungnahme des Weißen Hauses zu Moores Sieg - man habe in den USA ja schließlich die freie Rede - klingt etwas schal nach all der patriotischen Meinungsmache der letzten Jahre, nebenbei bemerkt ist immer noch nicht geklärt, wann und unter welchen Umständen ¸¸Fahrenheit" in die US-Kinos kommt - Disney hat der Tochterfirma Miramax, die die Rechte hat, untersagt, den Film in den USA selbst zu verleihen. Wenn eine Jury aus Trotz handelt, ist das ein absolut respektabler Beweggrund. Auch eine Jury besteht nur aus Menschen, die mit den Bildern, die sie sieht, leben muss - da kann es passieren, dass der Anblick echter Leichen jede noch so gut inszenierte Fiktion überlagert.

Als Film mag Moores ¸¸Bowling for Columbine" interessanter gewesen sein, aber ¸¸Fahrenheit" ist packend in der ersten halben Stunde, wenn er chronologisch die Vorgeschichte zum Irak-Krieg abwandert, einen nochmal daran erinnert, wie Bush überhaupt hereingekommen ist ins Weiße Haus, ein ausführliches Kapitel den Geschäftsverbindungen der Bushs und der Bin Ladens widmet. ¸¸Fahrenheit" hat, auch als Kinostück, seine Momente - dass Moore den Film einfach ins Schwarz fallen lässt, wenn es Zeit ist für den Angriff aufs World Trade Center, beweist, dass er auch dazu in der Lage ist, leisere Effekte zu erzielen, als man es von ihm gewohnt ist; in seinen besten Augenblicken rückt er Bilder nebeneinander, mit deren Nähe man erst mal fertig werden muss - mit den Emotionen und Zweifeln, die die verkohlten Leichen von Falludscha auslösen, wenn man kurz zuvor die Leiche eines zerfetzten irakischen Kleinkindes gesehen hat.

Ob die Palme für Moore nicht auch noch andere Bünde hinter den Kulissen spiegelt, sei dahingestellt. Die Zeitung Libération mochte sich den Hinweis nicht verkneifen, dass hier ein Miramax-Regisseur einen anderen Miramax-Regisseur mit einer Goldenen Palme geadelt hat. Aber eigentlich ist die Vorstellung doch sehr hübsch, dass Miramax-Boss Harvey Weinstein beim nächsten Treffen mit seinen Vorgesetzten bei Disney nicht mehr der Mann sein wird, der auf das enfant terrible Michael Moore gesetzt hat, sondern einer, der sich frühzeitig die Rechte am diesjährigen Cannes-Siegerfilm gesichert hat.

Nun konnte einem ja bei der 57. Ausgabe von Cannes, die der eigentliche Festival-Chef Thierry Frémaux dem Dauerpräsidenten Gilles Jacob aus der Hand genommen hat, der Gedanke kommen, es handele sich in vielen Punkten - Programmgestaltung, Jury-Präsident, Palmenvergabe - um eine Wiedergutmachung bei Harvey Weinstein, dem die Nummer 56 so gar nicht gefallen wollte. Der Verdacht, dass hier plötzlich einer bestimmten Art von Kino der Vorzug gegeben wurde, hat sich aber nicht bestätigt, weder im Programm noch bei den Preisen. Das asiatische Kino war stark vertreten, aber richtig tarantinesk war eigentlich nur Park Chan-Wooks ¸¸Old Boy", eine blutige Rachestory aus Korea, die mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde. Der Drehbuchpreis ging an Agnès Jaouis ¸¸Comme une image" - ein kleiner Film, aber der perfekteste im ganzen Wettbewerb; den Darstellerpreis bekam der 14-jährige Yuuya Yagira aus ¸¸Nobody Knows" - eine ruhige Geschichte über den Überlebenskampf vier verlassener Kinder, mit der der Wettbewerb begann und die dann über die zehn Tage hinweg einen melancholischen Nachhall entwickelte. Man darf Tarantino halt nicht unterschätzen - sein Herz fürs Kino ist groß genug für sehr unterschiedliche Filme. So groß, dass auch noch Tony Gatlif dort Platz findet, der den Regiepreis bekam für den etwas lärmend-lahmen ¸¸Exils" - kein ¸¸Muss"-Film, aber eine Preis-Liste, die jedem gefällt, hat es sowieso noch nie gegeben.

Bleibt die Frage, ob das wirklich ein vollkommener Jahrgang war in Cannes: ein Festival, das außer Konkurrenz großartige Filme zu bieten hatte von Almodãvar und Zhang Yimou, ¸¸House of Flying Daggers". Das einen deutschen Film im Wettbewerb zeigte, Hans Weingartners ¸¸Die fetten Jahre sind vorbei" - der am Ende nichts gewonnen hat, aber sei"s drum. Das im Wettbewerb nicht einen einzigen Film präsentiert hat, den man Frémaux um die Ohren hauen wollen würde. Das am Ende mit einem Wong Kar-Wai, ¸¸2046" , herausrückte, dessen eigentümliche Schönheit einen auch dann noch gefangen nehmen muss, wenn man ganz etwas anderes erwartet hat - ¸¸2046" ist vielleicht im Wong-Kar-Wai-Universum nicht der hellste Stern, bringt aber ein Festival trotzdem zum Leuchten. Aber es hat doch etwas gefehlt. So etwas wie ¸¸The Brown Bunny" vom letzten Jahr, Vincent Gallos Film, der einen Skandal entfacht hat. Oder das Hassobjekt im Jahr zuvor, Gaspar Noës ¸¸Irreversible". Irgendwas, woran man sich genug reiben kann, um den eigenen Standpunkt zu definieren und herauszufinden, woran man glaubt, im Kino und anderswo.

Am Ende sind Moores angedeutete Verschwörungstheorien, dass mehr dran ist an der Verbindung zwischen Bush und den Saudis, vielleicht gar nicht so übel - davon kann er nichts beweisen, aber genau deswegen kann man wenigstens darüber streiten. Moore neigt dazu, fertige Meinung zu präsentieren, statt sein Publikum zum Selberdenken zu animieren: er erteilt den Befehl zur Subversion. Und das reicht nicht, wenn man politisches Kino machen will. Der Sieger des vorigen Jahres, Gus Van Sants ¸¸Elephant" über das Massaker von Columbine, ist in Wirklichkeit politischer als der Che-Guevara-Film ¸¸Motorcycle Diaries", einer der Favoriten im diesjährigen Wettbewerb und dann komplett unprämiert, und ¸¸Fahrenheit" zusammen. Am Anfang jeder Politisierung steht immer die Auseinandersetzung - nach ¸¸Elephant" haben sich die Leute vor den Kinos die Köpfe heiß geredet, ob man so mit Columbine umgehen darf, ob es nicht eine Unverschämtheit ist, jede Schuldzuweisung ad absurdum zu führen. In diesem Jahr hat sich niemand aufgeregt - aber ein Haufen konsensfähiger Filme kann nie den revolutionären Geist entfachen, den ein Festival wie Cannes braucht.

Hoffentlich wird über ¸¸Fahrenheit" noch kräftig gestritten werden, anderswo - beim Festival in Cannes ist Moore ein Star und kein Störenfried, und es wird nicht mal gefragt, ob es sich für einen Filmemacher schickt, in den Wahlkampf zu ziehen. Aber irgendwo mag sich ein leises Stimmchen rühren, das fragt, was aus diesem Film werden soll, wenn der Wahlkampf vorüber ist. Palmen sind, manchmal zumindest, für die Ewigkeit gemacht. In Cannes hat Reeds ¸¸Der dritte Mann" gewonnen, Fellinis ¸¸La Dolce Vita", Viscontis ¸¸Leopard", Antonionis ¸¸Blow-Up", Scorseses. ¸¸Taxidriver", Coppolas ¸¸Apocalypse Now", Wenders" ¸¸Paris, Texas" . . . Wie wird es sein, Michael Moores ¸¸Fahrenheit" aus dem Abstand von zwanzig Jahren zu betrachten, wird der Film eine Bedeutung haben? Er wird wohl ein Dokument sein, ein Schnappschuss, der erinnert an ein finsteres Stück Geschichte. Hoffentlich.

© Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.118, Montag, den 24. Mai 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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