David Graebers Gespür für Relevanz ist erstaunlich. Sein Buch "Schulden - Die ersten 5000 Jahre" kam drei Jahre nach der großen Finanz- und Schuldenkrise auf den Markt, wurde ein Sachbuchweltbestseller und der intellektuelle Pflasterstein der Occupy-Bewegung. Nun hat Graeber ein Buch über die Arbeit geschrieben, vor allem über nutzlose: "Bullshit-Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit."
Es ist die große Illusion moderner Marktgesellschaften, der sich Graeber annimmt. In diesen, so ihr Selbstbild, würde der Wettbewerb alle Unternehmen dazu bringen, ihre Mittel effizient einzusetzen. Das sei nicht der Fall, behauptet Graeber. Immer mehr Menschen verrichteten Bullshit-Jobs, solche also, von denen sie selbst insgeheim glauben, dass sie nutzlos seien. Ihren sozialen Ort haben die Bullshit-Jobs nicht in den unteren sozialen Klassen, das heißt bei jenen Menschen, die tatsächlich Dinge herstellen, reparieren, instand halten etwas saubermachen oder anderen Menschen helfen. Diese Tätigkeiten sind zwar tatsächlich häufig, wie Graeber sie nennt, "Scheißjobs". Sie werden mies bezahlt, aber sie sind gesellschaftlich nützlich und sie verleihen jenen Menschen, die sie ausüben, durchaus einen Sinn.
Bullshit-Jobs werden hingegen zumeist ordentlich bezahlt. Sie sind nur nutzlos. Sie entstehen eher in jenen Branchen, die mit Informationen handeln, die für die soziale, symbolische und monetäre Zirkulation in der Wirtschaft zuständig sind: die unzähligen Berater, Coaches, Kreativen, Firmenanwälte und Lobbyisten und Marketing-Fachleute also, deren Tätigkeit die Welt nicht besser macht.
Im Buch kommen viele Menschen ausführlich zu Wort, die in Bullshit-Jobs arbeiten. Das ist interessant und manchmal amüsant, häufig aber auch tragisch. Denn gerade die Nutzlosigkeit ihrer Tätigkeiten macht diese Menschen unglücklich, weil sie keine soziale Wirksamkeit mehr erfahren. Vor allem ihre Unterauslastung lässt sie verzweifeln. Was auf den ersten Blick wie ein Traum wirkt - arbeiten zu gehen, aber nichts zu tun zu haben -, macht die Menschen in Wirklichkeit depressiv.
Warum es Bullshit-Jobs überhaupt gibt, bleibt offen
Das Management, wenn es nicht gerade Bullshit-Jobs produziert, ist häufig ein Komplize. Entweder versucht es, die Arbeitsmoral durch die Simulation von Aufgaben zu trimmen, oder es deckt die Bullshit-Jobs. Warum es nicht das macht, was es laut fast allen anderen professionellen Beobachtern tut - überflüssige Jobs entweder produktiver zu gestalten oder sie wegzurationalisieren -, das erfährt der Leser des Buches nicht.
Als gesellschaftlich tragisch entpuppen sich besonders jene Jobs, die sinnvoll sein könnten, es aber nicht sind. Bei vielen Angestellten in den sozialpolitischen Apparaten, die Menschen in Notlagen wirklich helfen könnten, ist die wesentliche Aufgabe eine andere: die Aufrechterhaltung der bürokratischen Ordnung, die sich nicht nach den Bedürfnissen der Menschen richtet, sondern nach der Einhaltung von Regeln. Zur Beweisführung reiht Graeber Anekdote an Anekdote. Dass er sich in seinen Beispielen selbst widerspricht - einige Personen arbeiten doch in einfachen, schlecht bezahlten Dienstleistungsjobs -, kümmert ihn nicht.
Ohnehin liegt unter Graebers jovial plauderndem Ton eine bedauerliche Hemdsärmeligkeit, die sich nicht um eine stringente Analyse schert. Das Buch ist zwar launig, methodisch aber lausig. Zuerst bestimmt Graeber Bullshit-Jobs allein subjektiv, später dann doch wieder objektiv, wenn er sich unter der Hand an Adam Smiths Begriff von produktiver Arbeit orientiert. Mal leugnen die Leute vor sich selbst, dass ihre Arbeit sinnlos ist, mal sollen sie sich dessen aber doch bewusst sein. Wie es Graeber gerade passt, rollt die Kugel seiner Argumentation durch immer neue schiefe Ebenen.
Skepsis gegenüber der eigenen These mutet sich Graeber nicht zu. Darin, dass 38 Prozent der Teilnehmer bei einer Meinungsumfrage angeben, keinen "sinnvollen Beitrag zur Welt" (sic!) zu leisten, will Graeber einen eindeutigen Beweis für das Ausmaß von Bullshit- Jobs erkennen. Dass Menschen auch bescheiden sein können, kommt ihm nicht in den Sinn. Seine Recherchen für das Buch bestanden vor allem darin, dass er seine Twitter-Follower aufforderte, ihm von ihren Bullshit-Jobs zu berichten. Dies hat viel Material hervorgebracht - hauptsächlich von Leuten, die seine Meinung in der Regel schon vorher teilten, weil sie ihm ja bereits bei Twitter folgten. Wenn Christian Lindner seine Social-Media-Abonnenten fragen würde, ob Porschefahren ein Menschenrecht sei, dürfte die Antwort wenig überraschend sein. Dass Graeber immer wieder seine Partygespräche als Belege anführt, verstärkt den Eindruck.
Die Mühe, Bullshit-Jobs in Unternehmen selbst zu untersuchen - für einen Anthropologen wäre das ja naheliegend gewesen -, hat er sich nicht gemacht. Bereits sein Buch über Schulden war vor allem dort brillant, wo Graeber in seinem Metier der Anthropologie war. Je stärker er sich der Gegenwart annäherte, desto schwächer wurde es. In "Bullshit-Jobs" ist es ähnlich, nur, dass das Buch anders gegliedert ist. In der ersten Hälfte, der Gegenwartsdiagnose, ist es ungenau, lesenswert hingegen sind seine historischen Rekonstruktionen der Arbeitsethik, die moderne Gesellschaften bis heute dominiert und dazu führt, dass wir immer noch glauben, dass menschliche Würde vor allem aus der Erwerbsarbeit entspringt.
Dass sich Bullshit-Jobs vermehren und überall ansetzen wie Schimmel in feuchten Räumen, liegt für Graeber am Manager-Feudalismus, wie er es nennt. In diesem bilden die wirtschaftlichen Eliten einen eigenen Stand und ihr Status bemisst sich nach der Anzahl ihrer Untergebenen. Im Manager-Feudalismus, ein Resultat der Ausdehnung der Finanzmärkte, geht es nach Graeber nicht mehr um Wertschöpfung, sondern um die Aufteilung von Beute - deshalb gehören Unternehmensanwälte, die Graeber als Bullshit-Job-Typus "Schläger" einordnet, auch zur größten Gruppe der Bullshit-Jobs.
Buch zur Occupy-Bewegung:Ansichten eines aufgeschlossenen Anarchisten
In seinem neuen Buch "Inside Occupy" berichtet David Graeber, Vordenker der Occupy-Bewegung, vom brutalen Vorgehen der Polizei gegen die Proteste, prangert Medien und Politiker an und hofft, dass Occupy klassenübergreifend wirksam sein wird. Auch wenn die politischen Vorstellungen des Autors oft fantastisch sind - amüsant ist die Lektüre seines Buches allemal.
Graeber streut in seiner Argumentation auch immer wieder verschwörungstheoretische Elemente ein. Er nimmt an, dass die politischen und wirtschaftlichen Eliten Bullshit-Jobs auch deshalb schaffen, damit die Leute nicht auf dumme Gedanken kommen und eine bessere Gesellschaft einfordern. Wenn es denn so einfach wäre.
Intellektueller Populismus statt sauberer Analyse
Der seltsame, holzschnittartige intellektuelle Populismus verbaut Graeber die saubere Analyse seiner eigenen These. Das ist auch insofern irritierend, da er in seinem letzten Buch "Bürokratie. Die Utopie der Regeln" bereits eine vielversprechende analytische Fährte gelegt hatte, die er aber aus ungeklärten Gründen nicht mehr weiterverfolgt. Diese Spur führt zu einer systemischen Erklärung von Bullshit-Jobs. Es ist gerade die Ausbreitung von Marktmechanismen, die zur Vermehrung von Regeln, Bürokratie und schließlich sinnlosen Tätigkeiten beiträgt. Anders als der Mythos es will, regelt der Markt ziemlich wenig außer den unmittelbaren Transaktionen. Für Qualität, Sicherheit, Umweltschutz, Arbeitsschutz braucht es Verträge und Regeln und schließlich Dritte, die das alles koordinieren. Hier liegt eine der Quellen der Bullshit-Jobs. Auch Unternehmensfusionen erzeugen häufig nur sehr begrenzt Effizienzgewinne, da die verschiedenen Management- und Kostensysteme nun koordiniert werden müssen.
Eine andere Ursache liegt in den Veränderungen der Tätigkeiten selbst. Im modernen Kapitalismus, in dem sich auch Organisationen wie Quasimärkte verhalten sollen, verbringt man einen Großteil seiner Zeit mit Finanzierungsanträgen, Gutachten, Evaluierungen, der Entwicklung von Strategien, Gremiensitzungen - und nicht mehr mit dem eigentlichen Zweck seiner Arbeit. Jeder Universitätsangehörige kann ein Lied davon singen. Diese Problemlage erwähnt auch David Graeber, systematisiert sie aber nicht. Wie so vieles bleibt sie nur an- und wird nicht zu Ende gedacht. Das ist bedauerlich, denn das Phänomen ist wirklich wichtig. Ihm wäre eine bessere Untersuchung zu wünschen gewesen.
Oliver Nachtwey ist Professor für Sozialstrukturanalyse an der Universität Basel. Im Jahr 2016 erschien sein Buch "Die Abstiegsgesellschaft. Über das Aufbegehren in der regressiven Moderne".