Bore-out-Syndrom:Wenn Arbeitnehmer unterfordert sind

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Elf Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland fühlen sich im Job ernsthaft unterfordert. Paradoxerweise verschleiern die meisten ihre Situation. (Foto: DigitalVision/Getty Images)
  • Elf Prozent der Berufstätigen in Deutschland fühlen sich bei der Arbeit unterfordert - beste Voraussetzung für einen Bore-out.
  • Gerade in deutschen Büros wird Leistung immer noch in Form von Anwesenheit gewertet.
  • Eineinhalb bis drei Stunden Arbeitszeit verbringen Angestellte im Schnitt jeden Tag mit Nichtstun oder Privatem.

Von Viola Schenz

Der Mann hat es ein bisschen übertrieben, denn am Ende landete er vor dem Oberlandesgericht München - angeklagt wegen Landesverrats und Bestechlichkeit. Als Archivar in der Abteilung "Auslandsbeziehungen" des Bundesnachrichtendiensts hatte er jahrelang Informationen an die CIA weitergeleitet. Die Sache flog im Sommer 2014 auf, sie erschütterte die Beziehungen zwischen Berlin und Washington, und sie war auch sonst peinlich für den BND. Der 32-Jährige gab vor Gericht ein ziemlich banales Motiv an: Ihm sei bei der Arbeit einfach oft langweilig gewesen.

Ein extremer Fall von Bore-out. Betroffene leiden unter einem Job, der sie unterfordert oder langweilt oder beides. Bore-out ist das Gegenteil von Burn-out, dem Zustand körperlich-geistig-emotionaler Erschöpfung. Aber Bore-out ist weit weniger prominent als Burn-out. Ausgebrannt zu sein ist gesellschaftlich anerkannt, zumal in einer Leistungsgesellschaft wie der deutschen. Wer über Dauerstress klagt, signalisiert Einsatz, Hingabe, Unentbehrlichkeit und kann sich einer gewissen Bewunderung seiner Mitmenschen sicher sein. Deswegen kokettieren auch viele gerne mit ihren Burn-out-Symptomen.

Langeweile? Selbst schuld!

Aber wer gibt schon gerne zu, unausgelastet zu sein, gelangweilt gar? Klingt nach Faulheit, nach Luxusproblem. Burn-out kann man immerhin den Umständen, den Arbeitszeiten, dem Chef, dem Stress ganz allgemein zuschreiben. Beim Bore-out scheint es keinen Schuldigen zu geben - außer einem selbst.

Bore-out ist keineswegs eine Randerscheinung. Eine Umfrage der Deutschen Universität für Weiterbildung in Berlin zeigt, dass elf Prozent der Erwerbstätigen sich beruflich unterfordert fühlen. Ihnen mangelt es an anspruchsvollen Aufgaben (53 Prozent), an Verantwortung (48 Prozent) und an Abwechslung (37 Prozent).

Deutschland ist Bore-out-prädestiniert

Den Wirtschaftspsychologen Christian Dormann von der Universität Mainz wundert das nicht. Deutschland sei Bore-out-prädestiniert: "Wir Deutschen machen gern strenge Vorgaben, im internationalen Vergleich haben Arbeitnehmer hier wenig Handlungsspielraum. Das macht es schwerer, gegen Monotonie anzukämpfen." Kann man selbst entscheiden, wann und wie man arbeitet, ändert man eben das Pensum je nach Aufkommen oder Dichte - aber genau das geht oft nicht.

Es scheitert schon an der ausgeprägten Präsenzpflicht an deutschen Arbeitsplätzen, am Stechuhr-Denken, am Festhalten an Abläufen aus dem Fabrikzeitalter. Leistung und Produktivität werden seit der Industrialisierung über die Anwesenheit gemessen. "Da man nicht dafür bezahlt wird, was man produziert, sondern für die erbrachte Zeit, wird Zeit zu einer symbolischen Qualität, die Arbeit als produktive Aktivität verschleiert", schreibt der schwedische Soziologe Roland Paulsen in seinem Buch "Empty Labor".

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Zweifelsohne gibt es Berufe, bei denen Dienst nach Plan logisch und sinnvoll ist: Krankenschwestern und Klinikärzte, Fließbandarbeiter, Pförtner oder Polizisten. Aber längst laufen viele Tätigkeiten projektbezogen ab, da wäre es nur konsequent, es den Mitarbeitern zu überlassen, wann sie kommen und gehen und wie schnell sie ihren Job erledigen. Die Aussicht, manchmal schon um 15 Uhr gehen zu können, weil alles erledigt ist, lässt Freude an der Arbeit aufkommen. Stattdessen muss man die Zeit bis mindestens 17 Uhr irgendwie schinden.

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Denn da ist die Angst vor allzu autonomen Angestellten in Deutschlands Unternehmen. Kontrolle durch Vertrauen ersetzen? Schwierig. In deutschen Büros ist und bleibt Tagessieger, wer am längsten durchhält, wer am Abend als Letzter den Aufzug holt. Macht ja nichts, dass er anderthalb Stunden Schnäppchen auf Ebay gesucht oder den Sommerurlaub geplant hat. Hauptsache, man bleibt länger als der Typ im Nachbarbüro. "Da sein ist 80 Prozent des Erfolges", hat Woody Allen mal gesagt.

Eineinhalb bis drei Stunden täglich verbringen Angestellte mit Nichtstun oder Privatem

Eineinhalb bis drei Stunden täglich verbringen Angestellte mit Tätigkeiten, die nichts mit Arbeit zu tun haben, ergaben laut Paulsen internationale Studien. Im Nichtstun oder Anderstun sind manche inzwischen fast genial: Allein ein überladener Schreibtisch sieht nach viel Arbeit aus, selbst wenn die Akten eigentlich längst abgelegt sein könnten. Da wird ein Projekt, das an einem Nachmittag durchzuziehen wäre, über mehrere Tage gestreckt, zwischendurch hat man Zeit für private Erledigungen. Oder man hackt extra eifrig in die Tastatur, allerdings private Mails.

Bürojobs und Computerarbeit bieten beste Bedingungen zum Vortäuschen. Schreiner oder Klempner würden sich schwertun, Beschäftigung zu simulieren. Schreiner oder Klempner sind aber oft selbständig, und da kommt wieder die Autonomie ins Spiel. Selbständige leiden selten an Bore-out. Sind sie mit einem Auftrag durch, gehen sie den nächsten an, oder sie machen Feierabend. Und doch käme man nicht auf die Idee, Selbständigen Faulheit zu unterstellen. Im Gegenteil: Autonomes Arbeiten fördert die Effizienz.

Monotonie dagegen kann krank machen. Sich nicht langweilen zu dürfen und Aktivität vortäuschen zu müssen, kann, so paradox das klingt, Stress auslösen. Am Ende macht dieser Kunststress erst recht antriebslos. "Bore-out-Kandidaten würden ja gerne mehr leisten, aber man lässt sie nicht, genau das ist ihr Problem", sagt Dormann. "Sie gehen nicht mehr in der Arbeit auf, Zeit ist für sie wie Kaugummi, ihre Kompetenzen verkümmern."

Was dadurch auf der Strecke bleibt, sind Effizienz und Loyalität. "Unternehmen verschwenden Potenzial, wenn sie die Kompetenzen ihrer Mitarbeiter nicht richtig einsetzen", sagt Ada Pellert, Präsidentin der Deutschen Universität für Weiterbildung. "Gerade junge Arbeitskräfte brauchen Herausforderungen, um ihre Talente zu verwirklichen." Bei seinen Ansprechpartnern der CIA habe er sich geschätzt gefühlt, gab der Archivar vom BND am ersten Prozesstag zu Protokoll.

Weiterbildung als Gegenmittel gegen Bore-out

Gerade die Deutschen definieren sich über ihren Beruf. Er ist der Lebensmittelpunkt, im Job verbringt man die meiste Zeit. Arbeit und Einkommen bestimmen das soziale Prestige, besonders in einem Land, in dem immer mehr Berufe akademisiert werden, so wie es in Deutschland seit Jahren Trend ist. Wer viel in die eigene Qualifikation steckt, hat entsprechend hohe Erwartungen an die Arbeit. Das ist Teil des Problems.

"Jobs, in denen alle Komponenten gleich spannend sind, gibt es nicht", warnt Wirtschaftspsychologe Dormann. "Phasen mit Monotonie und Sattheit muss man überall durchstehen. Aber ein bisschen Langeweile tut genauso gut wie ein bisschen Stress."

Sind unsere Ansprüche an den Job also zu hoch? Dient er letztlich doch nur dem Lebensunterhalt? Dormann plädiert für Weiterbildung als Gegenmittel gegen Bore-out: "Sobald man mehr Kompetenzen hat, wird man auch flexibler einsetzbar, da kommt automatisch mehr Abwechslung ins Spiel, weil man mit anderen Inhalten, mit neuen Kollegen zu tun bekommt."

Zudem werden zunehmend Tätigkeiten von Computern und Robotern übernommen, früher bei körperlicher, inzwischen auch bei geistiger Arbeit. Software übersetzt Sprachen, Algorithmen schreiben Zeitungsmeldungen, Roboter assistieren Ärzten und Anwälten. Immer mehr Menschen werden durch Hard- und Software ersetzt. Wird es damit auch mehr Bore-out-Fälle geben? Nicht unbedingt, sagt Dormann: "Die klassische Qualifikationsschere wird weiter aufgehen. Eine Gruppe wird von der Automatisierung profitieren, weil sie immer komplexere Aufgaben übernehmen kann. Die andere Gruppe muss wegen mangelnder Qualifikation die langweilige Restarbeit übernehmen." Wem davor graut, muss sich um komplexe Aufgaben bemühen - es muss ja nicht gleich ein Job als Doppelspion sein.

© SZ vom 30.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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