Bücher des Monats:Ideale Orte zum Verstecken

Dagmar Leupold setzt in "Lavinia" alles daran, ein Ich zum Verschwinden zu bringen. Jürgen Habermas' Opus magnum verdient Bewunderung. Und es wäre verfehlt, Elizabeth Jane Howard naiven Tagebuch-Autobiografismus vorzuwerfen.

Aus der SZ-Redaktion

Dagmar Leupold: Lavinia

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(Foto: Verlag: Jung und Jung)

Autobiografien sind ideale Orte, um sich zu verstecken. Gerade weil sie als literarisches Genre der Offenbarung des Verborgenen, der Enthüllung des Verschwiegenen gelten, kann man sich in ihnen verkriechen. Was zählt, ist die Geste: Seh' her, ich bin's! Und so setzt auch Dagmar Leupold in "Lavinia" alles daran, ein Ich zum Verschwinden zu bringen. Sie verhüllt sich in der überquellenden Sprache. Alles Private und Intime staubt auf in einer Wolke von literarischen, mythologischen, philosophischen, sprachtheoretischen Referenzen. Dadurch wird die erzählte Geschichte unter einem Berg aus Bildungsornat begraben, der das Versteckspiel des Ich erlaubt. Lesen Sie hier eine ausführliche Rezension von Hubert Winkels.

Jürgen Habermas: Auch eine Geschichte der Philosophie

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(Foto: Suhrkamp Verlag)

Kurz nach seinem 90. Geburtstag legt Jürgen Habermas ein äußerst umfangreiches Werk vor, das nicht weniger zu geben beansprucht als eine umfassende Geschichte der "westlichen" Philosophie seit ihren Ursprüngen in der Antike bis ins späte 19. Jahrhundert. In dieser Weise über die eigenen Grenzen hinauszugehen und ein Werk von höchster argumentativer Dichte, größtem Gedankenreichtum und innerer Konsistenz vorzulegen, verdient Bewunderung und uneingeschränkte Anerkennung. Habermas' Opus magnum lässt sich als großartiges Plädoyer an die Adresse einer säkularen Öffentlichkeit lesen, die Gläubigen nicht aus ihrem Gespräch auszugrenzen. Aber geht sein Gesprächsangebot an die Gläubigen weit genug? Lesen Sie hier mit SZ Plus eine ausführliche Rezension des Soziologen und Sozialphilosophen Hans Joas.

Maja Lunde: Die Letzten ihrer Art

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(Foto: btb Verlag)

Die norwegische Autorin Maja Lunde erzählt zum dritten Mal vom Ende der Welt - diesmal aus Perspektive der Menschen. Und knapp einen Monat nach Erscheinen belegt der Roman über den Zustand Europas im Jahr 2064 Platz sieben der Bestsellerliste, ist aber nicht uneingeschränkt empfehlenswert. Mit einer Revolte hat das Buch nichts zu tun. Das Ende der Menschheit ist zwar schrecklich, zugleich aber ist es ein Traum von Erlösung - von allen Errungenschaften, die ein Kollektivsubjekt namens Mensch sich in den vergangenen zehn- oder zwanzigtausend Jahren erworben hat. Dem Menschen fehlt es in jeder Hinsicht an Empathie, im Großen (Völkerschaften werden wie Gras bei der jüngsten Heuernte abgeräumt) wie im Kleinen (jeder Figur ist traumatisiert und unfähig, sich an einer Gesellschaft zu beteiligen). Und das Ende besteht in einem Weltgericht, wie es sich vollständiger kein protestantischer Eiferer ausdenken könnte. Lesen Sie hier eine ausführliche Rezension von Thomas Steinfeld.

Hans-Jochen Vogel: Bodenreform

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(Foto: Herder)

Dieses Buch ist ein Armutszeugnis, nichts anderes. Ein Mann im 94. Lebensjahr muss den verantwortlichen Politikern erklären, was sie tun müssten, um eines der drängendsten sozialen und strukturellen Probleme des Landes anzugehen - wie die Menschen in Deutschland einen angemessenen Platz zum Wohnen finden. Hans-Jochen Vogel fordert in seinem Manifest: Der Boden bedarf einer neuen Ordnung. Grund und Boden sind Vogel zufolge keine beliebige Ware, sondern eine Grundvoraussetzung menschlicher Existenz. Fehlt nur noch, dass die heute politisch Verantwortlichen dem weisen Senior zuhören und seine Ideen ernstnehmen. Lesen Sie hier eine ausführliche Rezension von Bernd Kastner - und hier mit SZ Plus einen Kommentar von Laura Weißmüller.

Jill Lepore: Diese Wahrheiten

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(Foto: C.H. Beck)

Jill Lepore hat eine großartige Geschichte der Vereinigten Staaten von 1865 bis zur Gegenwart geschrieben - und das auf unterhaltsame und unprätentiöse Art. Die Historikerin schreibt anschaulich, lebendig und mitunter poetisch. Wer das Buch in die Hand nimmt, wird sich keinesfalls langweilen und es allemal klüger als zuvor wieder zuklappen. Bedauerlich allerdings sind die zahlreichen sachlichen Fehler, die sich vorrangig in den Kapiteln zur Kolonialzeit und zur frühen Republik finden. Und Lepores Anspruch, eine Gesamtdarstellung zur Geschichte der USA zu geben, wird man relativieren müssen. Wird deren Vorgeschichte durch ihre weltanschaulichen Prämissen doch eher verzerrt als geklärt. Lesen Sie hier eine ausführliche Rezension von Michael Hochgeschwender von der LMU München, hier mit SZ Plus ein Interview mit Lepore von Meredith Haaf.

Roberto Bolaño: Monsieur Pain

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(Foto: S. Fischer)

In Roberto Bolaños grandiosem Kurzroman, der nun auf Deutsch erschienen ist, gehören Schrecken und Kalauer unbedingt zusammen. Monsieur Pain, ein Okkultist, der seine mittelalten Tage über den Schriften des Mesmerismus verbringt, wird ans Krankenbett des Dichters César Vallejos gerufen, um ihn von seinem Schluckauf zu heilen. In dieser kurzen Geschichte des Scheiterns wimmelt es vor realen und fiktiven Lebensläufen, Freunden und Feinden, Verfolgern und Verfolgten. Und auch bei "Monsieur Pain" hat Bolaño die politische Lage in jede Zeile hineinpräpariert, als halluzinatorische Gewissheit von totalem Krieg und totaler Erfolglosigkeit. Lesen Sie hier eine ausführliche Rezension von Jutta Person.

Elizabeth Jane Howard: Die stürmischen Jahre

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(Foto: dtv)

Seit ein paar Jahren erlebt die 2014 verstorbene Elizabeth Jane Howard eine Renaissance. "Die Jahre der Leichtigkeit" und "Die Zeit des Wartens" sind bereits erschienen, gerade kam der dritte Band, "Die stürmischen Jahre", heraus. Dieser panoramatische Großroman über das Leben von fünf Generationen einer englischen Upper-middle-class-Familie vor und nach dem Zweiten Weltkrieg ist sehr autobiografisch. Aber es wäre verfehlt, Howard deshalb naiven Tagebuch-Autobiografismus vorzuwerfen. Vielmehr zeichnet den Roman die Perspektive aus, aus der Howard erzählt: Die Perspektive derer, die zu Hause bleiben. Ihre Bücher zeugen von großer Menschenfreundlichkeit und Einfühlungsvermögen. Sie mögen altmodisch scheinen und sind verdächtig leicht und gut zu lesen. Aber harmlos sind sie wirklich nicht. Lesen Sie hier eine ausführliche Rezension von Kathleen Hildebrand.

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