Bücher des Monats:Die Liebe neu erfunden

Ein verblüffend aktueller Vortrag von Theodor W. Adorno zum Thema Rechtsradikalismus und ein Romandebüt, das in sechzehn Ländern gleichzeitig erscheint: Die fünf besten Bücher im Juli.

Von den SZ-Literaturkritikern

"Auf Erden sind wir kurz grandios" - Ocean Vuong (Hanser)

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(Foto: Hanser)

Einer erlebt in diesem Sommer auf jeden Fall seinen internationalen Durchbruch: In "Auf Erden sind wir kurz grandios", seinem Roman, der in sechzehn Ländern gleichzeitig erscheint, erzählt der amerikanisch-vietnamesische Autor Ocean Vuong, wie die Immigration in die USA sein Leben bestimmt. Durch die Gewalt, die seine Mutter aus dem Krieg mitgebracht hat. Durch die Sprache, das Englische, in der er sich von ihr, der Analphabetin distanziert: "Ma, unsere Muttersprache zu sprechen heißt, nur teilweise auf Vietnamesisch zu sprechen, aber ganz auf Krieg." Und dann ist da noch die Liebe zu Trevor, einem Jungen, den er beim Jobben auf einer Tabakplantage kennenlernt. Vuongs inniger, aphoristischer Ton und die zwischen Prosa, Essay und Gedicht changierende Form seines Romans hat in diesem heißen Juli bestimmt niemanden kalt gelassen. Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Insa Wilke.

"Aspekte des neuen Rechtsradikalismus" - Theodor W. Adorno (Suhrkamp)

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(Foto: Suhrkamp)

Die Wiederentdeckung der Stunde ist ein Vortrag von Theodor W. Adorno, der jetzt zum ersten Mal publiziert worden ist. Der Titel: "Aspekte des neuen Rechtsradikalismus", die Frage: Kann man das auf die Gegenwart und die Erfolge der AfD übertragen, was Adorno damals am Beispiel der NPD entfaltet hat? Einhellige Einschätzung der Kritiker und Kommentatoren: Man muss es sogar! Dass "Menschen, die im Produktionsprozeß drinstehen, sich bereits als potentiell überflüssig" empfänden, diagnostiziert Adorno und es gilt für die Digitalmoderne nicht minder. Dass die vom Verlust Bedrohten tendenziell denen übel wollten, die dem System, in dem sie ihren Status noch als stabil empfanden, kritisch gegenüber standen - das eignet sich auch heute als Interpretation für den Hass auf links-grüne Eliten. Und dass "Überzeugungen und Ideologien" wie der Nationalismus "gerade dann, wenn sie eigentlich durch die objektive Situation nicht mehr recht substanziell sind, ihr Dämonisches, ihr wahrhaft Zerstörerisches annehmen", stimmt über ein halbes Jahrhundert nachdem Adorno den Vortrag an der Universität Wien gehalten hat erst recht. Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Jens-Christian Rabe.

"Die Gesellschaft des Zorns" - Cornelia Koppetsch (Transcript Verlag)

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(Foto: Transcript Verlag)

Auch die Soziologin Cornelia Koppetsch beschreibt in ihrer Studie die politische Spaltung als Klassen- und Kulturkampf. Als mindestens so wichtig wie die materielle Deklassierung des Dienstleistungsprekariats erscheint in ihrer Studie "Die Gesellschaft des Zorns" die kulturelle Verlusterfahrung. Sie schweißt entmachtete Eliten, Ostdeutsche mit entwerteten Biografien und enttäuschte Familienväter zusammen - über alle Klassenschranken hinweg. Auf der anderen Seite geht Koppetsch mit der liberalen Elite, dem "postindustriellen Bürgertum" hart ins Gericht: "Dabei hat es entgegen dem von ihm selbst gepflegten Selbstbild, sozial inklusiv zu sein, ein historisch nahezu unübertroffenes Niveau an Exklusivität erreicht." Mit seiner Abgrenzung durch Verfeinerung, habe das gebildete, mondäne Mitschuld an der allgemeinen Entzivilisierung, argumentiert sie. Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Gustav Seibt.

"Wie später ihre Kinder" - Nicolas Mathieu (Hanser Berlin)

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(Foto: Hanser Berlin)

Wie sich im Nordfrankreich der neunziger Jahre langsam dieses Gefühl einschleicht, abgehängt zu sein, von dem heute im Zusammenhang mit politischer Radikalisierung alle reden, beschreibt Nicolas Mathieu in dem Roman "Wie später ihre Kinder". Die Sprache, die Musik, die dumpfe Stimmung eines Jahrzehnts spricht aus seiner Erzählung über die Sommer von Hacine, Steph und Anthony in einer fiktiven Kleinstadt namens Heillange: eine deindustrialisierte Gegend, eine Welt, die es eigentlich schon nicht mehr gibt. 2018 bekam Mathieu den wichtigsten Literaturpreis Frankreichs, den Prix Goncourt, für den Roman - die Eliten können eben auch dort gerade gar nicht aufhören, darüber nachzudenken, woher die Wut der einfachen Leute kommt. Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Alex Rühle.

"Gespräche mit Freunden" - Sally Rooney (Luchterhand)

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(Foto: N/A)

Keine Hemmungen, die Beziehungen und Empfindsamkeiten der kultivierten Klassen ausführlich zum Thema zu machen, hat die irische Autorin Sally Rooney, geboren 1991. Ihr in der englischsprachigen Welt schon lange bejubelter Roman "Gespräche mit Freunden" ist jetzt auf Deutsch erschienen. Darin lernen die 21-jährigen Literaturstudentinnen Bobbi und Frances ("Ich bin lesbisch und Frances ist Kommunistin") ein Paar Mitte dreißig kennen, sie Kulturjournalistin, er Schauspieler - und die Liebe wird einmal mehr in der Literaturgeschichte neu erfunden. Das Debüt des Monats. Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Meredith Haaf.

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