Literatur:Von der Liebe und anderen Ängsten

Literatur: Sally Rooney landete mit ihrem Debüt gleich auf der Longlist des Man Booker Prize.

Sally Rooney landete mit ihrem Debüt gleich auf der Longlist des Man Booker Prize.

(Foto: Martina Bocch/Mauritius Images)
  • Die 1991 geborene irische Autorin Sally Rooney wird im anglofonen Raum als Shooting-Star gehandelt.
  • Ihr Debüt "Gespräche mit Freunden" handelt von einer Dreiecksbeziehung.
  • Der Hype um den Roman ist dabei keineswegs übertrieben - er ist meisterlich geschrieben.

Von Meredith Haaf

Es gibt eine Schlüsselszene im ersten Teil des Romans "Gespräche mit Freunden", die das ganze Können von Sally Rooney zeigt. An einem sehr warmen Abend sieht eine Frau einen Mann im Publikum einer Lesung. Ein paar Wochen vorher haben sie einander heimlich auf der Geburtstagsparty seiner Frau geküsst und sich danach relativierende und doch aussagekräftige E-Mails zu diesem und anderen Themen geschrieben. Zwischen ihnen ist also alles und nichts klar. Die Frau ist so angespannt, dass sie sich ihrer Umgebung hyperbewusst ist - sie spürt jeden Luftzug, nimmt den Raum und all die Menschen darin übertrieben genau wahr -, und zugleich ist sie völlig fixiert auf die Präsenz dieses Mannes. Sie schwitzt und versucht sich von seiner Anwesenheit abzulenken, tut so, als würde sie sich an einem Gespräch beteiligen: "Schließlich sah Nick zu mir rüber, und ich erwiderte seinen Blick. Ich spürte, wie sich ein Schlüssel in meinem Körper mit solcher Kraft umdrehte, dass ich nichts tun konnte, um ihn aufzuhalten. Seine Lippen öffneten sich, als wolle er etwas sagen, aber er atmete nur ein und schien dann zu schlucken. Keiner von uns grüßte oder winkte, wir sahen uns nur an, als führten wir bereits ein privates Gespräch, das niemand sonst hören konnte."

In diesen kurzen Absatz packt Sally Rooney alles, was in dem seltenen und aufreibenden Vorgang stattfindet, in dem sich zwei Menschen zutiefst ineinander vergucken: das berührungslose Imprint des anderen im eigenen Körper. Das beweisarme und doch selbstbewusste Hineinversetzen in den anderen, das obsessive Lesen jeder Geste. Und die notwendig verkitschte Beschwörung einer exklusiven, privaten Erzählung, die nur ihren zwei Hauptfiguren zugänglich ist.

Meisterlich ist das nicht nur, weil es wahr ist und sehr gut geschrieben. Sondern auch, weil Rooney wie kaum eine andere Autorin derzeit versteht, von der subjektiven Gleichzeitigkeit von Erfahrungen zu erzählen, die universell Sinn machen und eine sehr gute Geschichte ergeben.

Im anglofonen Raum wird Rooney dafür seit zwei Jahren gefeiert, "Gespräche mit Freunden" erschien im Original 2017 und war schon vor der Veröffentlichung eine Sensation: Das Manuskript der vollkommen unbekannten irischen Autorin, Jahrgang 1991, wurde lukrativ versteigert und ihr Debüt mehrfach ausgezeichnet. Ihr zweiter Roman, der im Winter in Deutschland erscheinen wird, ist ein noch größerer Erfolg.

Dass eine Debütantin so ungebremst durchstarten kann, ist in England oder den USA sehr viel üblicher als hierzulande, Rooney ist dennoch auffällig erfolgreich: Die Masse an Metatext, den sie schon hervorgebracht hat - nachdenkliche Essays im Guardian, Autorenporträt im New Yorker, atemlose Rezension in der New York Times ("Ist Sally Rooneys zweiter Roman so großartig wie ihr erster?"), Instagram-Posts von Prominenten wie Sarah Jessica Parker - wirft natürlich erst mal die Frage auf, ob das nicht einfach Wohlfühlliteratur für ein arriviertes Publikum ist. Und ob man da nicht einfach nur einer sehr gut gemachten intellektuell-literarischen Hochstapelei aufgesessen ist. Geht es da, bei allem Vergnügen, nicht einfach um ein Hype-Phänomen wie eine dieser sehr guten Serien, die vor allem dadurch gewinnen, dass sie ihre Konsumenten sich schlau und weltgewandt vorkommen lassen?

Das Set-Up muss den Verdacht stärken: "Gespräche mit Freunden" handelt, kurz gesagt von einer Dreiecksbeziehung mit Tangente. Ich-Erzählerin Frances und ihre beste Freundin und ehemalige Liebhaberin Bobbi, beide 21, beide Literaturstudentinnen, lernen das arrivierte Paar Melissa und Nick kennen. Melissa ist eine bekannte, attraktive Kulturjournalistin, und mit ihren 37 Jahren, ihrem großen Haus und ihrem kulturellen Erfolg für Frances eine Mischung aus bedrohlich vollendet und verachtenswert alt. Nick, ein bekannter Schauspieler, wird von anderen als "sehr groß" und "sehr passiv" beschrieben und wirkt für Frances von Beginn an vollkommen unwiderstehlich.

Es entsteht eine dieser seltsamen Förderfreundschaften, die ambitionierte, interessierte junge Frauen in diesem Alter öfter mit älteren Menschen verbindet. Die Szene, in der man das Wichtigste über Bobbi und Frances erfährt, ereignet sich auf den ersten Seiten des Romans. Auf dem Weg zu Melissas Haus erklärt Bobbi ihrer neuen Bekannten: "Ich bin lesbisch, und Frances ist Kommunistin", während Frances gerade mit ihrem eigenen Innenleben und ihrer Außenwirkung beschäftigt ist: "Ich war aufgeregt, bereit für die Herausforderung, in die Wohnung einer Fremden zu gehen, und legte mir schon ein paar Mienen und Komplimente zurecht, um charmant zu wirken." Diese Kombination aus Unsicherheit, Verletzlichkeit und Narzissmus ist die härteste Waffe, die Frances im Umgang mit ihrem Umfeld hat - und ihre offene Flanke.

Frances verliebt sich in Nick und entfernt sich damit zum ersten Mal von Bobbi, mit der sie in einer Art intellektueller, kreativer und emotionaler Symbiose gelebt hat. Damit gerät sie auf unsicheres Terrain, und der Entwicklungsroman, der von dieser Beziehungskiste ausgeht, nimmt Fahrt auf: Während Nick und Melissa von ihrem kulturellen Kapital profitieren, befinden sich Frances und Bobbi in einer ständigen Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Umständen und in gewisser Weise auch mit sich selbst. Alles, was sie tun, filtern sie durch eine Analyse der Klassen- und Geschlechterverhältnisse, es ist geprägt von Zukunftsängsten und echter materieller Not. Eine Zeit lang lebt Frances von Toastbrot. Während Nick aufgrund seiner Depressionen sehr vorsichtig und austherapiert kommuniziert, fragt sich Frances, "warum ich mich nicht für mein eigenes Leben interessierte".

Sally Rooney spielt über diese Differenzen ihr komisches Talent aus, zum Beispiel während der ersten richtigen, postkoitalen Unterhaltung zwischen Frances und Nick: "Beim Abendessen tauschten wir ein paar Details aus unserem Leben aus. Ich erklärte ihm, dass ich den Kapitalismus zerstören wolle und dass ich Männlichkeit persönlich als unterdrückend empfand. Nick sagte, er sei ,grundsätzlich' ein Marxist, und er wolle nicht, dass ich ihn verurteile, weil er ein Haus besaß." Es gehört zu den Kernkonflikten des Erwachsenwerdens, das existenzielle Für-sich-sein zu akzeptieren und andererseits die Angewiesenheit aufeinander zu lernen, die man teilt mit denen, die man liebt. "Gespräche mit Freunden" handelt von genau diesem Prozess so einer Grenzerweiterung, sei sie nun politisch oder emotional codiert.

Man sollte der Vollständigkeit des Lobes halber noch festhalten, dass Rooney die (Selbst-)Gespräche, aus denen der Roman besteht, mit Leichtigkeit über all die verschiedenen Kanäle laufen lässt - E-Mail, Chat, SMS, Telefon und das sogenannte Real Life - in denen sich Menschen heute begegnen und mit denen sich die Literatur noch immer schwertut. Und dass sie durch kleine Bilder, zum Beispiel die übersteuerte körperliche Wahrnehmung von Frances, der immer heiß ist, die sich "am Schlüsselbein berührt", "in die Unterlippe kneift", ihr "Handgelenk umklammert, als hätte ich Angst, es würde sich wegstehlen" eine Sinnlichkeit im Text schafft, der zugleich von jenen Machtanalysen und psychologischen Ausdeutungen durchzogen ist, die uns heute so geläufig sind. Ausbuchstabiert in einem Text würden sie eher stören.

Es ist schon bemerkenswert, wie es Rooney - und auch der großteils kompetenten Übersetzung von Zoë Beck - gelingt, dabei immer dieselbe Texttemperatur zu halten. Es steckt ein austrainierter und doch warmer, lebendiger Intellekt hinter diesem Text. Es steckt ein Interesse an Sex und den Möglichkeiten einer fantasiebegabten Liebe darin, die nicht klinisch und alles andere als menschheitsskeptisch ist. Und nicht zuletzt ein völlig unverblümtes Wohlwollen gegenüber den eigenen Protagonistinnen. Was soll man sagen: Der ganze Hype ist in diesem Fall glücklicherweise komplett berechtigt.

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