Das ist ein Erdbeben für die Buchbranche. Der Satz fällt derzeit oft in Gesprächen mit Vertriebsleitern der Verlage oder Geschäftsführern von Buchhandlungen. Der Marktführer unter den Buchgroßhändlern, KNV in Stuttgart, hat am Donnerstag dieser Woche Insolvenz angemeldet. Der Erdbebenvergleich stellt sich nicht von ungefähr ein. Er veranschaulicht, dass mit dieser Insolvenz eines Riesen eine elementare Hintergrundvoraussetzung des täglichen Buchgeschäfts wegzubrechen droht, die ununterbrochene Zirkulation der Waren- und Geldströme. Es bebt die logistische Infrastruktur einer Branche.
KNV steht für Koch, Neff & Volckmar, das klingt nicht nur so, es ist auch ein Familienunternehmen mit Wurzeln im frühen 19. Jahrhundert. Es arbeitet an der Schnittstelle zwischen Verlagswesen und stationärem Buchhandel und an der Schnittstelle zwischen analoger und digitaler Welt. Es ist eine Großmacht des Barsortiments, die durch Rabatte beim Einkauf verdient. KNV erwirbt von den Verlagen Bücher, die wie eh und je gelagert werden müssen und als physische Objekte in Zeit und Raum zirkulieren. Das gilt auch für den Internet-Buchhandel, soweit er nicht mit E-Books handelt.
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Noch ist kein Insolvenzverwalter benannt, noch ist unklar, ob und wie KNV den Lieferbetrieb aufrechterhalten kann. Aber schon greift die Logik des Erdbebens, die Stockung und Unterbrechung der Transportsysteme und Handlungsketten. Verlage stornieren die Lieferung bereits bestellter Bücher an KNV. Ungewiss ist die Zukunft des von KNV betriebenen Bücherwagendienstes, einer Art brancheninternen Postsystems. Buchhandlungen, die ganz auf den Branchenführer gesetzt haben, müssen um einen Service fürchten, der in der Konkurrenz mit dem Internet-Buchhandel an Bedeutung gewonnen hat, die Über-Nacht-Lieferung. Für etwa 5600 Buchhandlungen hat KNV dies bisher garantiert. Viele Buchhandlungen sind mit dem digitalen Service des Unternehmens verknüpft.
Es sind durch die KNV-Insolvenz nicht alle Verlagsauslieferungen blockiert. Es gibt direkte Verlagsauslieferungen und es gibt die Konkurrenten Libri und Umbreit, die aber kaum den Ausfall des Marktführers kompensieren könnten. Das Erschrecken ist auch deshalb so groß, weil das Risiko der unterbrochenen Buchzirkulation mit dem Risiko von Zahlungsausfällen verknüpft ist. In der Buchbranche sind die Kalkulationen traditionell knapp, die Gewinnspannen in der Regel nicht groß, und zu den Verträgen zwischen Verlagen und Barsortiment gehören "lange Zahlungsziele".
Wer in der Buchhandlung oder online ein Buch erwirbt, zahlt es meist sofort. Für die Bücher, die Verlage an KNV geliefert haben, gilt das nicht. Üblich ist ein Zeithorizont von sechzig Tagen oder mehr. Insolvenzen verbrauchen Zeit. Zumal für kleinere Verlage, die einen Großteil ihres Geschäfts über das Barsortiment abwickeln und nun für ihre Verhältnisse große, noch unbezahlte Bestände bei KNV liegen haben, kann der drohende Liquiditätsentzug dramatisch sein.
Die ersten Wochen des Jahres sind für die Verlage nicht nur mit der Abwicklung aller Außenstände des Weihnachtsgeschäfts verbunden. Es ist auch eine Zeit der Honorarzahlungen an die Autoren, und kleinere Verlage sind für diese Zahlungen auf die Begleichung der noch offenen Rechnungen oft dringend angewiesen. Die Rücklagen aber sind in jüngerer Zeit geschmolzen, auch durch das VG-Wort-Urteil, das rückwirkend die Verlagsbeteiligung an den Erlösen der Verwertungsgemeinschaft kassiert hat.
Erdbeben erzeugen Notsituationen. Wir dürfen gespannt sein, welche Hilfsmaßnahmen der Börsenverein des Deutschen Buchhandels vorschlägt.