Bildband:Keine Hektik

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Das Wiener Kaffeehaus war immer ein Ort zum Leben. Und heute? Ein Band versammelt Gespräche und Bilder.

Von Peter Münch

Ich gehe täglich drei Mal ins Kaffeehaus, mindestens", bekennt Sepp Dreissinger, lehnt sich auf der roten Polsterbank im Wiener Café Eiles zurück und nippt am Kleinen Braunen. Zu Hause, so sagt er, habe er nicht einmal eine Kaffeemaschine. "Ich kann Kaffee nur unter Leuten trinken."

Über die Jahrzehnte ist das Kaffeehaus für den Fotokünstler Dreissinger zur Lebenswelt geworden, zum Treffpunkt und zum Arbeitsplatz. "Das ist kein Klischee", meint er, "es gehört dazu. Man wird sozialisiert in Österreich durchs Kaffeehaus." Meist hat er seine Kamera dabei. Viele seiner Schwarz-Weiß-Porträts sind hier entstanden - die von den Künstlern und die von Kellnern. Immer öfter aber hat er auch ein Aufnahmegerät mitgenommen und die Gespräche aufgezeichnet, die er in prägnantester Beiläufigkeit am Kaffeehaustisch geführt hat.

Als "der Fotograf vom Bernhard" ist Sepp Dreissinger bekannt geworden

Herausgekommen ist dabei nun ein Buch mit fast 100 Fotografien und 37 spannenden Gesprächsprotokollen, das natürlich keinen anderen Titel tragen kann als "Im Kaffeehaus". Begegnet ist Dreissinger dort in den vergangenen drei Jahrzehnten fast allen Größen des Wiener Kulturlebens. Porträt-Aufnahmen sind zu finden von Schauspielern wie Klaus Maria Brandauer, Birgit Minichmayr oder Joachim Meyerhoff. Zum Gespräch hat er Ernst Jandl getroffen, Robert Menasse oder Ilse Aichinger. Josef Hader belauscht er beim Austausch mit dem Kabarettistenkollegen Thomas Mauerer. Wolf Wondratschek steuert ein kurzes Gedicht über das legendäre Café Hawelka bei. Die junge Stefanie Sargnagel besucht der 71-jährige Dreissinger in deren Lieblingscafé am Gürtel, weit weg von der Gemütlichkeit des Innenstadtbezirks. Und natürlich kommt auch Thomas Bernhard vor, der bis zu seinem Tod 1989 seinen Stammplatz hatte im Café Bräunerhof und nun einen Ehrenplatz bekommt in diesem Buch.

Als "der Fotograf vom Bernhard" ist Dreissinger schließlich bekannt geworden. "In dieser Schublade bin ich gern", sagt er. Im Buch ist nun wieder das berühmte Bernhard-Bild aus dem Bräunerhof zu sehen: Mit Wollpullover sitzt er da allein auf der Kaffeehausbank, der stille und selbstverständliche Beherrscher des Raums, mit den Händen in den Hosentaschen und den Zeitungen vor sich auf dem Tisch. Ansprechen durfte man Bernhard bei seinem Kaffeehaus-Ritual eher nicht, sagt Dreissinger. Aber hinterlassen hat der große Beschimpfer fürs Buch ein paar wenige Zeilen, die schon wieder alles sagen: "Da kommt man irgendwo hin, lauter Nazis stehen herum und sagen: Nixtuer, im Kaffeehaus sitzen und nix arbeiten."

An Thomas Bernhard im Bräunerhof erinnert sich auch Robert Menasse, den Dreissinger im nicht minder bekannten Café Sperl trifft. Wie Bernhard so dasaß und sich mit dem Bildhauer Alfred Hrdlicka um die Zeitungen stritt, und wie sich dann eines Tages ein großer, schwarzer Vogel ins Café verirrte, ein "Rabe" oder eine "russische Saatkrähe". Panisch flog der Vogel durch den Raum, berichtet Menasse, bis er sich schließlich bei Bernhard auf die Schulter setzte und anschließend durchs offene Fenster davonflog. "Ein paar Tage später war Thomas Bernhard tot."

Das sind die Geschichten, die das Leben im Kaffeehaus schreibt. Nebenher stellt Menasse noch letztgültige Regeln auf: "Es darf im Kaffeehaus keine Musik geben", sagt er, und natürlich auch keine Hektik. "In einem Kaffeehaus muss eine Atmos-phäre herrschen, als hätte man in den nächsten sieben Wochen keinen Termin."

Überall schlägt sie durch in den Gesprächen, die Liebe zum Kaffeehaus als oberstem Wiener Kulturinstitut oder auch als "Universität", wie André Heller das im Buch nennt. Bernhard Paul, der mit Heller einst den Zirkus Roncalli gründete, bevor sie sich gründlich verkrachten, erinnert sich an einen Besuch im Café Hawelka nach 14-jähriger Abwesenheit. "Einen Kleinen Brauen wie immer, Herr Paul?", fragte der Ober im Vorbeigehen.

Diese Selbstverständlichkeit des Seins bildet wohl den Kern des Kaffeehaus-Mythos - und dazu kommt ganz handfest die Qualität des Getränks, die ein jeder in seinem Stammcafé wohl als einzigartig empfinden will, gern auch in Abgrenzung etwa zum deutschen Kaffee. "Der ist nicht schwach, der ist hilflos", ätzt Bernhard Paul, "dem muss man aus der Kanne helfen, er ist nicht zu saufen."

Dreissinger selbst will sich da nicht festlegen, ihm geht es eher um die Atmosphäre als um den Kaffee, "um das Ambiente und die Zeitungen". Doch mittlerweile wird es ihm darum bang, weil er bei seinen Kaffeehausbesuchen, drei Mal täglich mindestens also, einen "Umbruch" beobachtet: "Die Gemütlichkeit ist vorbei mit diesen Handys", sagt er, "das ist ein Wahnsinn." Wenn einer hinter ihm allzu laut ins Telefon plärrt, dann steht er auf und geht. Aber wohin soll er gehen? Die Orte der Ruhe werden knapp. "Da geht etwas zu Ende", urteilt er. Doch bevor es ganz zu Ende geht, hat er dem Kaffeehaus mit seinem Buch noch einmal ein Denkmal gesetzt. Ein wunderschönes.

Sepp Dreissinger: Im Kaffeehaus. Gespräche und Fotografien. Album Verlag, Wien 2017. 330 Seiten, 39 Euro.

© SZ vom 06.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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