Bildband:Auf den Punkt

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"Es gelang mir fast nie, in einem Foto festzuhalten, was mich an einer Szene bewegt", sagt Christoph Niemann. Bestenfalls sei "das Bild eine visuelle Eselsbrücke". Jetzt ist er zur Tuschezeichnung zurückgekehrt.

Von Andrian Kreye

Im Nachwort zu seinem neuen Bildband "Souvenir" schreibt der Illustrator Christoph Niemann, warum er auf seinen Reisen keine Fotos macht. "Es gelang mir fast nie, in einem Foto festzuhalten, was mich an einer Szene bewegt. Das gilt besonders, wenn darauf keine Menschen zu sehen sind. Bestenfalls ist das Bild eine visuelle Eselsbrücke." Weswegen überhaupt so selten jemand verstehe, was man an den eigenen Schnappschüssen so grandios findet, die in Zeiten von Handykameras in Höchstqualität und den Bildfiltern der Apps ja durchaus den Anschein von künstlerischem Wert simulieren.

Nun kann Niemann mit so ziemlich jedem Medium umgehen. Er hat nicht nur Illustrationen für den New Yorker, die New York Times und das Zeit Magazin gemacht, er hat sich auch die Technik beigebracht, Animationen, Apps und Virtual Reality zu programmieren. Jetzt ist er zu einer fast vergessenen Form zurückgekehrt, zur Tuschezeichnung. Die Blätter hat er von seinen Reisen mitgebracht. Aus New York, wo er lange lebte und immer noch viel arbeitet, aus Paris, Rio, Rom, Singapur und Wien, von der Atlantikküste in Frankreich, der Pazifikküste in Kalifornien und aus den Alpen. Christoph Niemann reist viel. Meist zu Vorträgen, wie er schreibt. Weil er ein Star ist. Eine ungewöhnliche Rolle für einen Illustrator, die er aber mit so vielen Selbstzweifeln und so viel Dankbarkeit ausfüllt, dass er immer noch einer der sympathischsten Erscheinungen im Durchlauferhitzer des Kultur- und Medienbetriebs geblieben ist.

Dieser Charme bestimmt seinen Blick, der so präzise wie neugierig ist und den er mit all den vielen Mitteln auf einen Minimalismus reduzieren kann, der in den Illustrationen zur Pointe führt. Und der nun in den Tuschezeichnungen Stimmungen auf den Punkt bringt. Egal ob das nun ein Blick auf die sommerliche Kathedrale Notre Dame ist, auf die Frühlingsbäume vor dem Eiffelturm oder auf eine nächtliche Kreuzung in Berlin, auf den Moment, wo die Dämmerung der Nacht weicht oder der Wind kurz vor dem Strand das Meer ankündigt, man kann sofort nachvollziehen, wie sich dieser Moment dort angefühlt hat, wie es roch und wie warm oder (seltener) kalt es dort war. Vor allem aber verfestigt sich der Eindruck, dass Christoph Niemann bei all den Selbstzweifeln, bei allem Hadern über die Arbeit, die er immer wieder in seinen Büchern und Interviews formulierte, doch sehr in sich ruht und sich dabei wohlfühlt.

Auf einer Strecke von 240 Seiten zieht einen das als Betrachter dann auch nicht nur in die jeweiligen Stimmungen, sondern auch in eine sehr grundsätzlich gute Laune. Weil die Zeit im Jahr gerade beginnt und man selbst von Berufs wegen nicht ganz so viel unterwegs ist, bleibt deswegen unterm Strich die Hoffnung - solche Ferien will man haben.

Christoph Niemann : Souvenir. Diogenes Verlag, Zürich 2017. 256 Seiten, 49 Euro.

© SZ vom 12.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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