"Glotz nicht so romantisch", möchte ich mich wachrufen, und einen Spruch über den Schreibtisch spannen, wie Brecht es forderte für die Uraufführung seiner "Trommeln in der Nacht" an den Münchner Kammerspielen vor hundert Jahren. Vor mir liegt ein schwarzes, schmallippiges Programmheft mit einem Bild des jungen Brecht, der mich frech vom Titel anglotzt: blass bis blasiert, absurderweise ganz - wie später bei Werner Herzog und "Fitzcarraldo" - in Weiß, mit Schiebermütze und Krawatte, die natürlich nicht richtig sitzt, locker gebunden, er lässt sich ja nicht einschnüren, ganz so, als käme er gerade von der Schiffschaukel und wär noch in seine Wolke eingetaucht, in die er sich zum Himmel hochschwang, um sich wie seine Worte zu überschlagen. Plötzlich würde er über Nacht ungeheuer oben sein, um anschließend wie ein Blitz mit Theaterdonner einzuschlagen auf den Bühnen der ungeliebten Republik, wo der Naturalismus naturgemäß längst langweilte, aber der Expressionismus noch epileptisch zuckte und Sätze ausspuckte, die sich auf der Streckbank spreizten: immer mehr Geschrei als Schrei, Trauerspiele des Bürgertums, dem die Revolution nur noch Farce war und, wie Brecht sie in seinem Stück nannte: Komödie. Zum Totlachen. Viel mehr galt es längst, die Verhaltenslehren der Kälte einzustudieren und daran zu glauben, dass Rauchen kaltblütig mache.
Brecht:Tattoos auf wunder Haut
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Vor 100 Jahren, am 29. September 1922, wurde Bertolt Brechts Stück "Trommeln in der Nacht" an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt.
Von Albert Ostermaier
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