Museen:Das Gold des Nordens

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Schwarzer Marmor, gleißendes Licht: Bernsteinmuseum in Danzig. (Foto: Anna Bocek/Gdansk Museum)

In Danzig ist das neue Bernsteinmuseum eröffnet worden - ein Rundgang.

Von Dorothea Baumer

Bernstein ist in Danzig allgegenwärtig. Das liegt an seiner großen Vergangenheit. Schon die antiken Autoren rühmten seine Schönheit, deuteten seine rätselhafte Herkunft mythisch als "goldene Tränen der Heliaden" und sprachen ihm magische Eigenschaften zu. Lagen sie denn nicht geradezu auf der Hand bei einem Stein, der mit der Strömung schwimmt, mit heller Flamme brennt und dabei Wohlgeruch verströmt? Für Danzig, eine Hansestadt der ersten Stunde, war Bernstein, weit prosaischer, pures Gold als Ware, die über ein dichtes Netz von Handelsrouten vertrieben wurde und neue Horizonte eröffnete.

Das jedenfalls hatte Alexander von Humboldt vor Augen, als er den Bernsteinhandel in seinem "Kosmos" als ein bemerkenswertes Beispiel dafür anführt, welchen Einfluss "die Liebe zu einem einzigen fernen Erzeugnis auf die Eröffnung eines inneren Völkerverkehrs und auf die Kenntnis größerer Länderstrecken haben kann". Schon im Römischen Imperium führte die Bernsteinstraße vom Baltikum bis an die Adria. Auf diesem Weg gelangten Gold, Silber und Kupfer in den Norden, der nichts dergleichen zu bieten hatte, wie umgekehrt Bernstein in den Süden, wo man sich insbesondere in der Kaiserzeit unter Nero am Luxus dieses kostbaren Materials berauschte, wie Tacitus zuverlässig berichtet.

Im Spätmittelalter installierte der Deutsche Orden erstmals ebenso rigide wie effektive Organisationsstrukturen, die lange Geltung hatten, bevor die Zünfte der Bernsteindreher übernahmen und das Bernsteinkunsthandwerk zu seiner höchsten Blüte trieben im Europa der Könige, im 17. und 18. Jahrhundert. Kein anderer Stoff hat Danzig in der Vergangenheit so geprägt. Da lag es nicht allzu fern, ihm ein eigenes Museum zu widmen. Allenfalls als Zwischenlösung ließ sich das seit 2006 existierende Ausstellungshaus in seiner räumlichen Enge betrachten. Polen ist nicht allzu reich an Museen, die Bedeutung einer solchen Institution ist darum auch kaum zu überschätzen.

Das Satteldach des neuen Museums sticht selbst in dieser giebelsüchtigen Stadt ins Auge

Die Eröffnung des neuen Bernsteinmuseums Ende Juli geriet entsprechend fulminant, sie war, wie die Stadtpräsidentin jubelte, "das größte kulturelle Ereignis der Stadt". Das Haus liegt zentral, nur wenige Gehminuten von der Marienkirche entfernt, und ist im Gemäuer der ehemaligen "Großen Mühle" untergebracht, einem mittelalterlichen Backsteinbau von eindrucksvollen Dimensionen und schlichter, funktionaler Schönheit. Das steile Satteldach sticht selbst in dieser giebelsüchtigen Stadt dem Besucher auf Anhieb ins Auge. Diese auf alten Stichen vielfach festgehaltene Mühle, im Krieg schwer getroffen, von den Sechzigerjahren an wiederaufgebaut und zuletzt zur Shopping-Mall herabgewürdigt, wurde bis auf die Außenmauern entkernt, das Projekt wurde auch von der EU unterstützt.

Zwei umlaufend eingezogene Galerien sind nun die eigentlichen Ausstellungsgeschosse. Bodenfenster erlauben bisweilen die Sicht auf die Reste der ursprünglichen Grundmauern. Der Blick wird aber 26 Meter nach oben ins offene Gebälk gezogen wie von einem Sog. Viel schwarzer Marmor unter gleißenden Scheinwerfern bringt dieses Schatzhaus zum Funkeln, mit Sinn für populäre Dramatik von der Bühnenbildnerin Anna Bocek arrangiert.

Ein Schachspiel, das um 1700 in Danzig entstand - und nun nach jahrhundertelanger Europareise wieder in seiner Heimatstadt angekommen ist. (Foto: Gdansk Museum)

Im Grunde beherbergt dieses Haus zwei Spezialmuseen unter einem Dach. So ist das erste Geschoß ganz der Naturhistorie des üppiger als irgendwo sonst auf der Welt im Baltikum vorkommenden Bernsteins vorbehalten: seiner Entstehung vor über 40 Millionen Jahren, seiner erst im 19. Jahrhundert enträtselten Beschaffenheit als versteinertes Harz früher Nadelbäume (bis heute mit dem Notnamen "Pinus succinifera", Bernsteinkiefer, versehen). Schautafeln, prall gefüllte Vitrinen, Gucklöcher, die die begehrten Inklusen, die Pflanzen- und Tiereinschlüsse, enthalten, und nicht zuletzt eine Multimedia-Begleitung zielen auf lebendige Vergegenwärtigung, letztere ist allerdings derzeit coronabedingt außer Betrieb.

Die Geschenkdiplomatie hat die Bernstein-Kunst befördert, Stichwort: Bernsteinzimmer

Solcherart gerüstet, mag man sich dem kulturhistorischen Teil im zweiten Geschoß zuwenden, in dem in großen Schritten nicht weniger als mehrere Tausend Jahre durchmessen werden, von den prähistorischen Artefakten bis zu den elaborierten Meisterwerken des Goldenen Zeitalters der Danziger Bernsteinkunst. Man muss allerdings vorausschicken, dass die Danziger Sammlung keine historisch gewachsene ist, die mit einer solchen Fülle und Vielfalt an Kostbarkeiten aufwarten kann, wie sie heute in den ehemals fürstlichen Sammlungen etwa von Florenz, Dresden oder Wien anzutreffen sind. Doch Glanzstücke gibt es. Sie verdanken sich ganz entschieden einer fürstlichen Auftragspolitik wie einer, besonders vom preußischen Hof, verschwenderisch gepflegten Geschenkdiplomatie. Stichwort: Bernsteinzimmer, um nur das berühmteste Beispiel zu nennen, das die Phantasie bis heute bewegt (ein Geschenk, das der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. seinem Koalitionspartner Zar Peter dem Großen 1716 machte).

Ein Gecko, in Bernstein für immer konserviert. (Foto: Gdansk Museum)

Zu den wunderbaren Kostbarkeiten der Sammlung zählt ein Danziger Bernsteinkabinett, das in seiner vollendeten Handwerklichkeit wie in seinem reichen Farbspiel Hunderter Bernsteinplättchen besticht. Bisher einmalig für ein Bernsteinmöbel, hat es Georg Zernebach deutlich signiert und datiert auf den 28. Juli 1724. Die vielleicht größte Rarität wird mit der jüngsten, ebenfalls EU-unterstützten Erwerbung präsentiert - einem Schachspiel, wie sich nur sehr wenige erhalten haben: Michel Redlin zugeschrieben, um 1700 entstanden. Von Danzig gelangte es nach Amsterdam, wo es 1758 der schottische Edelmann Lord Murray erwarb und zu seiner Familie nach Blair Castle schickte, wo es über die Jahrhunderte verblieb. 2015 kam es auf den Markt. Der renommierte Münchner Bernsteinspezialist Georg Laue konnte es erwerben, stellte es auf der Kunstmesse Tefaf in Maastricht aus und achtete darauf, dass es wieder an seinen Ursprungsort zurückkehren konnte.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich so etwas wie eine freie Schmuckszene entwickelt. Eine Auswahl ihrer Produktionen zeigt man überraschend breit und mit einigem Stolz. Die Wiederaufnahme von etwas, das fast entschwunden war - die beginnende industrielle Produktion im 19. Jahrhundert läutete zwangsläufig den allmählichen Untergang des Bernsteinhandwerks ein. Die endgültige Zäsur freilich setzte der Zweite Weltkrieg. 1945 überlebte keine einzige Werkstatt.

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