Berlusconis Privatleben:"Ihr seid ja nur neidisch!"

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Sex, Lügen, Audio, doch die Italiener sind stolz auf den Playboy im Präsidentenamt: Wie die bizarren Ausschweifungen Silvio Berlusconis zum Kulturgut werden.

Henning Klüver, Mailand

Man stelle sich vor, Italien würde nicht von Silvio Berlusconi regiert. Sondern von Angela Merkel zum Beispiel. Oder schlimmer noch von Gordon Brown. Hätte Angela Merkel einen G8 Gipfel von Heiligendamm nach Nachterstedt verlegt?

Er arbeitet schon lange daran, italienisches Kulturgut zu werden: Silvio Berlusconi 2004 im Urlaub auf Sardinien. (Foto: Foto: ap)

Könnte man sich Gordon Brown vorstellen, wie er sich ein Callgirl "im Bett von Putin" wünscht? Es soll ja schon der eine oder andere Minister ihrer Majestät im Rotlichtmilieu gesehen worden sein. Aber ein Gordon Brown? Ausgeschlossen. Mit ihm wäre Italien wohl so langweilig, wie das Wetter in England schlecht ist.

Nein, langweilig wird es wirklich nicht, seitdem vor Wochen erste Verdächtigungen gegen den italienischen Ministerpräsidenten wegen seiner Kontakte zu einer 18-Jährigen kursierten. Es folgten: Untersuchungen der Staatsanwaltschaft über angebliche ausschweifende Feste bei Berlusconi, Gerede über bezahlte Begleiterinnen und nun: bizarre Tonaufnahmen aus dem Privatleben des Premiers. Gerüchte und Beweise, Klatsch und Realität überlagern sich längst zu einem brisanten politischen Amalgam. Doch die Offiziellen verlieren das Interesse, und das Volk schaut zu. Mal gelangweilt, mal bewundernd.

"Eine Schmutzkampagne!"

"Ihr seid ja nur neidisch!" Diesen Spruch kann man als Nichitaliener dieser Tage in mancher Bar hier hören. So einen flotten Regierungschef hätten die anderen nicht - und das mit seinen 72 Jahren! Dagegen sei doch sogar Bill Clinton ein Waisenknabe gewesen. Zudem seien das Privatgeschichten, oder vielleicht nicht? Ob er es mit oder ohne Präservativ mache, ob mit bezahlten Mädchen oder mit guten Freundinnen, das gehe in der Öffentlichkeit schließlich keinen etwas an.

Silvio Berlusconi selbst nimmt die Enthüllungen aus seinem Schlafzimmer nach erstem Widerstand ("Eine Schmutzkampagne!") inzwischen auf die leichte Schulter: "Ich bin kein Heiliger", erklärte er am Mittwoch in Brescia bei der Grundsteinlegung für eine neue Autobahn, und im Land würde es "viele schöne Töchter" geben. Ob sich das bei der Oppositionspresse noch nicht herumgesprochen habe?

Die Verlagsgruppe "L'espresso", die auch die römische Tageszeitung La Repubblica herausgibt - hat ihn inzwischen wie angekündigt unter anderem wegen Missbrauch im Amt verklagt, weil der Ministerpräsident Unternehmer aufgefordert hatte, keine Anzeigen mehr in Zeitungen wie der Repubblica zu schalten, da sie in "subversiver Absicht" ein schlechtes Wirtschaftsklima im Land verbreiten würden.

Gegen neueste Veröffentlichungen angeblicher privater Audio-Aufnahmen vom "Frühstück danach", die die Dame einer Escort-Agentur gerade bei der Staatsanwaltschaft deponieren ließ, wettern nicht nur Stimmen aus der Umgebung Berlusconis. Der Inhalt ist inzwischen im Internet zu hören: Sie: "Du hast mir weh getan am Anfang." - Er: "Wirklich? Das ist nicht wahr". - Sie: "Ich schwöre es dir, ein Wahnsinnsschmerz am Anfang." - Er: "Wie heißt du eigentlich mit Nachnamen?".

"Im Land interessiert das sowie keine Sau!"

Die Oppositionszeitung Il Riformista kommentierte die Veröffentlichungen im Magazin L'espresso wie folgt: "Die Pflicht zur Berichterstattung sollte vor dem Schlüsselloch halt machen." So schütte man nur Wasser auf die Mühlen der Kreise, die ein schärferes Pressegesetz forderten.

Gar nicht nötig, rief der Fraktionssprecher der Lega Nord Federico Bricolo bei einer Debatte im italienischen Senat aus: "Im Land interessiert das sowie keine Sau!" Der Schriftsteller Umberto Eco formulierte das etwas eleganter: Berlusconi sei nicht das Problem. Das Problem seien "die Italiener, die Berlusconi wählen." Die Umfragewerte für den Premier sinken zwar gerade, aber nur leicht.

Die meisten Italiener wissen auch nur ungefähr, was Sache ist. Nur ein kleiner Teil von ihnen liest überhaupt Zeitungen. Und das zu großen Teilen von Berlusconi kontrollierte Fernsehen spielt die Bettgeschichten herunter oder verschweigt sie ganz. Beim Volk kommen nur Reflexe an, wie das Interview, das Silvio Berlusconi der Illustrierten Chi, die in seinem eigenen Verlagsimperium erscheint, gegeben hat.

Auf die Frage, ob er je eine Frau, mit der er ins Bett gegangen sei, bezahlt habe, antwortete Berlusconi offenherzig: "Natürlich nicht. Ich habe nie begriffen, wie man befriedigt werden kann, wenn das Vergnügen der Eroberung fehlt." Und sein Rechtsbeistand, der Abgeordnete Niccolò Ghedini, fügte in einem Gespräch mit der Tageszeitung Corriere della Sera hinzu, der Ministerpräsident habe es auch gar nicht nötig zu bezahlen. Er könne "große Quantitäten gratis" haben.

"Il sultano" - der Sultan - wie ihn die seriöse Repubblica nennt, ist aber den Berichten der Zeitung zufolge auch ein Gran Bugiardo - ein großer Lügner. Schließlich habe er bezahlt: 1000 Euro pro Nacht plus ein Geschenk, wie eine Dame behauptet, auf die sich die Repubblica beruft. Und so widmet die Zeitung sich Tag für Tag ausführlich den Hurengeschichten des Ministerpräsidenten, die sein Rechtsanwalt stets mit bewundernswert spitzfindigen Formulierungskünsten zu widerrufen versucht.

Der Berlusconi in uns

Die Angelegenheit fange an, "langweilig" zu werden, kommentierte Chefredakteur Giuliano Ferrara am Dienstag im Foglio. Das Blatt der rechtsliberalen Intelligenz hatte in der Vergangenheit auch öfter kritisch Stellung gegen Berlusconi bezogen. In seinen Ausschweifungen, so schreibt nun Ferrara gelassen, entdecke man eine "zwar zügellose aber spielerische und private Normalität". Berlusconi sei eben kein traditioneller Politiker und habe nie einer sein wollen. In der Bar an der Ecke sieht man deshalb bei den Thresen-Diskussionen in Berlusconi immer noch einen, der trotz Reichtums ein Kumpel bleibe und es der alten politischen Klasse immer wieder so richtig zeige. Ein Glück, dass er kein Heiliger sei!

Der Soziologe und Meinungsforscher Ilvo Diamanti beschrieb für die Repubblica den Übergang des Sprachgebrauchs vom Klatsch- und Tratsch in die Politik als einen ersten Schritt in die "Pop-Politik". Das sei eine Politik, in der die Popularität für die Realität und Tratsch für soziale Wirklichkeit gehalten werden. In jedem von uns, so Diamanti, gebe es verschiedene Persönlichkeiten, wir würden uns einerseits von Lügnern, Steuerbetrügern, Fremdenfeindlichen und Angebern abgestoßen fühlen und seien zugleich auch ein bisschen wie sie.

Wer würde nicht gerne wenigstens im Traum einmal fremd gehen? In der Pop-Politik würden sich die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit immer mehr auflösen und der "Berlusconi-in-uns" schließlich die Überhand gewinnen.

Eine Idee, so schreibt Ilvo Diamanti, "die mich persönlich etwas beunruhigt."

© SZ vom 24.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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