Berlinale: Wettbewerbs-Filme:Jammernde Wohlstandsschnösel

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Lauter Frauen in den Berlinale-Filmen, überall: Sie schwanken zwischen Familie und Beruf und verleugnen sich selbst - man muss sie nicht mögen.

Susan Vahabzadeh

Filme über Männer und Frauen, die weder Männer noch Frauen beleidigen, sind ziemlich selten. Schon in diesem Sinn ist Maren Ades "Alle Anderen" eine Besonderheit: Man schaut ihren beiden Antihelden Gitti und Chris dabei zu, wie sie sich in einem Sardinienurlaub in der Villa von Chris" Eltern kaputtstreiten, und will sich auf keine Seite schlagen. Gitti ist wirklich manchmal eine Nervensäge; es zeugt von wenig Feingefühl, dass sie Chris" Schwächen dadurch erst offensichtlich macht, dass sie sie vor Publikum verteidigt. Und Chris macht sich gerne selbst was vor und genießt es, Gittis Selbstwertgefühl zu unterminieren, damit es ihm nicht mehr so auffällt, wie sehr ihn seine Erfolglosigkeit als Architekt piesackt. Vor allem, als der viel erfolgreichere Kollege Hans und seine Designergattin Sana auftauchen. Reizende Menschen, die eigentlich nur beisammen sitzen, um sich daran hochzuziehen, wie sie den anderen eins reinwürgen.

Schön, wenn's dir schlecht geht - Gitti (Birigt Minichmayr) und Chris (Lars Eidinger) in "Alle Anderen". (Foto: Foto: rtr)

Maren Ade konzentriert sich auf ihre Figuren, und die werden so plastisch, so echt - auch weil sie von Birgit Minichmayr und Lars Eidinger so grandios gespielt werden -, dass man irgendwann sogar Antworten dazuimaginieren kann, die im Film gar nicht vorkommen. Würde es jemals zu einer politischen Debatte kommen zwischen Champagner und Lammbraten, dann wäre klar, dass die Haltung, die alle, außer Gitti, zu haben vorgeben, keine ist; sie sind jammervolle Wohlstandsschnösel, die sich über den Rest der Welt erhaben fühlen und kein vernünftiges Argument dafür anführen könnten, warum sie sich eigentlich überlegen fühlen.

Gitti wäre da die Einzige, die auch mit Leuten, die nicht zum erlauchten Kreis der selbsternannten Elite gehören, klarkommt. Chris und Hans und Sana meiden jeden Kontakt mit allen anderen, und wenn' s nur so ist, damit sie nicht in einen Zusammenhang geraten, in dem sie auffliegen. Dass sie diese Dinge nicht ansprechen, ist richtig, denn sie sind sich ihrer nicht bewusst. Ein sehr kluges Stück über Paarbeziehungen, über Beziehungen im Allgemeinen, und welche Rolle Komplexe in ihnen spielen, voller Unbehagen und Zweifel.

Mögen kann man Gitti und Chris vielleicht nicht, aber ums Wohlfühlen geht es im Kino letztlich nicht. Das Paar in Lukas Moodyssons "Mammoth" ist wesentlich sympathischer, und am Ende sind sie trotzdem nicht Gegenstand des besseren Films. Moodysson erzählt ein Globalisierungsdrama. Ein junges, richtig wohlhabendes Paar in New York: Leo (Gael García Bernal) ist im Begriff, seine Internet-Games-Community für 45 Millionen Dollar an einen asiatischen Konzern zu verkaufen, und Ellen (Michelle Williams) müsste also nicht mehr als Chirurgin arbeiten, sich aufreiben an den Nachtschichten und vor allem daran, manchmal nicht helfen zu können. Um die Tochter kümmert sich ganz rührend ein extrem nettes philippinisches Kindermädchen, Gloria - das die eigenen Söhne dafür zurückgelassen hat in der Obhut ihrer Mutter.

Die Wahl zwischen Müllkippe und Straßenstrich

Diese Menschen machen alles richtig: Sie sind nett zum Kindermädchen, versuchen gute Eltern zu sein, leben nicht in übertriebenem Luxus, und es ist ihnen von Herzen egal, ob sie für den Geschäftsabschluss 45 Millionen bekommen oder nicht. Alle machen alles richtig, und man sieht dann trotzdem, dass die Welt an einem nicht zu berichtigenden Systemfehler krankt. Dieses System verlangt, dass jemand wie Gloria gegen ihren Willen in den USA leben muss, weil sie zu Hause zwischen den Optionen Müllkippe und Straßenstrich wählen müsste. Es gibt kein Richtiges im Falschen. Und eine Weile ist die beklemmende Atmosphäre, die Moodysson dem trüben New York verleiht, ein bedrohliches Unwohlsein, das die Musik vermittelt, auf dem besten Weg, mitreißend und bewegend zu werden.

Vielleicht, schlägt die kleine Tochter einmal vor, als sie mit dem Kindermädchen die Vorzüge von Kreationismus und Evolutionstheorie vergleicht, sind die Dinosaurier ausgestorben, weil sie dem lieben Gott nicht gefallen haben. Dass Leo später die Frage ausspricht, ob wir nicht vom Aussterben bedroht sein sollten und ob man aus unseren Zähnen Kostbarkeiten basteln wird wie aus Mammutelfenbein, ist schon sehr plakativ formuliert - vor allem aber ist es, als er das sagt, für den Film schon zu spät: Der hat sich da schon einem reaktionären Mutterkult verschrieben. In der Story, wie Moodysson sie völlig übertrieben zuspitzt, sind Väter einfach Nebensache, Mütter hingegen sollten nicht an Menschen herumdoktern, die ohnehin dem Tod geweiht sind, sondern sich um ihre Kinder kümmern. Am Ende hat Moodysson unter seiner Kommunenjugend doch mehr gelitten, als sein schöner Siebziger-Jahre-Film "Zusammen" vermuten ließ.

Leiser Nervenzusammenbruch

Man kann das Frauenbild von Lukas Moodysson aber nicht der Berlinale in die Schuhe schieben - fünf Regisseurinnen im Wettbewerb, das ist Spitze. Die vierte, nach Ade, Annette K. Olesen und Sally Potter, ist Rebecca Miller. Aber ihr "The Private Lives of Pippa Lee" steht, zwischen all dem Weltbewusstsein, Moodyssons großer Systemkritik und dem Protestgebrüll, das in Sally Potters "Rage" die Selbstinszenierung der Modefuzzis unterminiert, ein bisschen verloren herum. "Pippa Lee" spielt im Grunde auch unter Wohlstandsschnöseln, aber es handelt sich um die humorvolle amerikanische Ostküstenvariante.

Man hat bei Rebecca Millers Charakteren den Eindruck, sie seien die letzten Menschen, die noch die Muße haben, sich um ihr seelisches Gleichgewicht zu sorgen. Pippa (Robin Wright Penn) sorgt sich um ihren wesentlich älteren Mann (Alan Arkin) und verliebt sich trotzdem ein wenig in den durchgeknallten Sohn der Nachbarn (Keanu Reeves). Pippa erinnert sich an ihre hysterische Mutter, kommentiert die eigenartigen Dinge, die sie für Mann und Kinder tut - "vielleicht habe ich gerade einen ganz leisen Nervenzusammenbruch" -, und langsam sickert durch, dass Pippa in ihrem aufregenden und wunderbaren Leben alles Mögliche war, nur nicht sie selbst. Ein schöner, rührender und komischer kleiner Film. Aber kein Laut von draußen dringt in ihn hinein; alle anderen nimmt er nicht wahr.

© SZ vom 10.2.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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