Bauhaus Museum Dessau:Die Denkfabrik

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Besucher im neuen Bauhaus-Museum in Dessau. (Foto: Getty Images)
  • Der Standort des neues Bauhaus-Museums mitten in Dessau zeigt, mit welchem gebauten Elend das Bauhaus sich heute auseinandersetzen müsste.
  • Das Bauhaus existierte nie im luftleeren Raum, auch wenn 100 Jahre nach seiner Gründung im Jubiläumsjahr gerne so getan wird.
  • Anstatt Namen wie Gropius, van der Rohe oder Breuer auf ein Podest zu stellen, widmet sich die Ausstellung der Schule als Denkfabrik ihrer Zeit.

Von Laura Weißmüller, Dessau

Wenn man den lang gezogenen Riegel des neuen Bauhaus Museums in Dessau einmal umrundet hat, den Kanzlerin Merkel am Sonntag eröffnete, weiß man, welche Probleme diese Stadt hat - und welches Potenzial. Die Umgegend spiegelt sich in der dunklen Glasfassade, die das neue Bauhaus Museum überzieht. Da ist zur einen Längsseite der hübsche Stadtpark mit den großen alten Bäumen, aber eben auch den Menschen, die sich hier schon am Vormittag mit der Bierflasche in der Hand treffen. Da ist auf der anderen Seite das, was so viele ostdeutsche Städte heute prägt: Plattenbauten, die in den vergangenen Jahren mal mehr, mal weniger fantasievoll verschönert wurden, und ein liebloses Shoppingcenter voller Billigketten aus der Nachwendezeit.

Unschön? Vielleicht. Aber genau deswegen ist der Standort des neuen Museums mitten in der Stadt, über den im Vorfeld so erbittert gestritten wurde, genau der richtige. Weil er zeigt, mit welchem gebauten Elend das Bauhaus sich heute auseinandersetzen müsste, würde es diese geniale Gedankenschmiede noch geben. Weil seine Schüler vielleicht experimentieren würden, wie sich die stupide Sogkraft von Einkaufszentren bannen ließe, die heute so viele Innenstädte ausbluten lässt. Oder wie Plattenbauten sinnvoll umgebaut werden könnten, statt einfach nur ihre Balkone bunt anzupinseln.

Bauhaus-Museum in Dessau
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Im Beisein der Kanzlerin eröffnet das Bauhaus Museum in Dessau, der Stadt, in der die avantgardistische Schule für Kunst, Architektur und Design einst ihre Blütezeit erlebte.

Das Bauhaus existierte nie im luftleeren Raum, auch wenn 100 Jahre nach seiner Gründung im Jubiläumsjahr gerne so getan wird, als hätte die Menschheit da für kurze Zeit eine besondere Gattung Genies beehrt. Genau dieses Aufs-Podest-Stellen, das ewige Kränzchenbinden für Walter Gropius, Mies van der Rohe und Marcel Breuer ist es, was viele Veranstaltungen in diesem Jahr so uninspirierend macht.

Es ist erstaunlich, wie die jungen Architekten das knappe Budget für sich einzusetzen wussten

Was stimmt: Die Ideen der Bauhäusler waren für ihre Zeit eine Zumutung, weil sie so innovativ waren. Ihre so klare lichte Formensprache, die den Gegenständen eine Zukunft gab und die wir heute noch bewundern. Vor allem aber ihre Art zu denken und dabei Grenzen wie Gattungen zu überschreiten.

Nur: Nachgedacht haben sie über ihre Gegenwart und die gewaltigen Probleme ihrer Zeit und zwar im dichten Netzwerk von Gleichgesinnten, egal ob die in Frankfurt und Berlin oder in Moskau und Amsterdam saßen. Das Bauhaus hatte, ob in Weimar, wo es 1919 gegründet wurde, in Dessau, wo Gropius' genialer Schulbau nicht nur eine Ikone der Moderne wurde, sondern auch das Curriculum vom Bauhaus in Architektur formte, oder in Berlin, wo die Nationalsozialisten die Schule erst hin vertrieben und dann zur Schließung 1933 zwangen, mehr Bodenhaftung, als die Idealisierung des Immergleichen es zulässt.

"Wir haben uns gefragt, welche Bedeutung das Bauhaus heute und für die Zukunft haben kann", sagt Roberto González, einer von fünf Architekten des jungen Büros Addenda Architects aus Barcelona, die das Museum entworfen haben, nachdem sie sich mit ihrem Entwurf beim Wettbewerb 2015 gegen 830 Einreichungen durchsetzen konnten. "Für uns ist es die Auseinandersetzung mit der Stadt und ihren Besuchern." Und deswegen hat Addenda die 1500 Quadratmeter große Ausstellungsfläche in eine gewaltige Blackbox gesteckt und diese fünf Meter in die Höhe gewuchtet. Durch diesen Kraftakt - der Riegel wird nur von den beiden Treppenhäusern an den Seitenenden getragen - bleibt das Erdgeschoss nahezu frei. Eine grandiose Einladung an die Stadt und ihre Bewohner, diesen Ort als Bühne für sich zu begreifen. Visuell tut Dessau das schon, denn im Inneren ist die dünne Glasfassade durchaus transparent.

Kaum jemand dürfte die Idee, ein Museum als Plattform für die Öffentlichkeit zu gestalten, so überzeugend umgesetzt haben, wie die italienisch-brasilianische Architektin Lina Bo Bardi mit ihrem Kunstmuseum in São Paulo. Es ist kein Zufall, dass viele der Demonstrationen gegen die brasilianische Regierung hier ihren Ausgang nehmen, denn unter der aufgesockelten Ausstellungshalle ist ein lebendiger öffentlicher Raum entstanden. González führt denn auch Bo Bardis Entwurf als Inspiration an, doch im Unterschied zu São Paulo ist Dessaus Einladung an die Stadtbewohner verglast. "Wir haben dem Gebäude eine Winterjacke angezogen", sagt der Architekt dazu.

Es ist die große Leistung der Ausstellung, Fragen aufzuwerfen, die neugierig machen

Was nur die halbe Wahrheit sein dürfte. Denn die Anforderungen an den Raum unter der Blackbox waren so hoch - klimatisch, akustisch, energetisch, vom Sicherheitsstandard her - dass die brasilianische Freiheitsgeste nicht nur wegen deutschen Temperaturen nicht umzusetzen war. In einer idealen Welt hätte es zwar die Möglichkeit gegeben, die Glasfassade von immerhin 4000 Quadratmeter so zu konstruieren, dass sie sich einfalten lässt. Doch in einer idealen Welt hätte ein Bauhaus Museum auch nicht mit einem im Vergleich zu anderen Gebäuden solchen Kaliber bescheidenes Budget von 28 Millionen in nur vier Jahren aus dem Boden gestampft werden müssen.

Es ist sowieso erstaunlich, wie die spanischen Architekten das knappe Budget für sich einzusetzen wussten. Nicht als Verhinderungsmaßnahme, sondern als Aufforderung, noch nüchterner zu bauen. Was, wenn es so durchdacht ist wie hier, eben nicht lieblos, dafür zeitgenössisch urban, fast möchte man sagen cool wirkt. Der Beton ist nicht auf Hochglanz poliert, sondern rau. In der Blackbox darf sich die Struktur der hölzernen Schalungsplatten abdrücken, was sichtbar macht, wie selbst die industrialisierte Gegenwart noch mit den Händen baut. "Wir haben versucht, eine Fabrik zu entwerfen," sagt González. Mit hohen, flexiblen Räumen und so wenig Struktur wie möglich. Wie gut so etwas als Ausstellungsraum funktioniert, weiß man spätestens seit der Turbinenhalle der Tate Modern in London.

González hat in den vergangenen vier Jahren 250 Nächte in Dessau verbracht, er hat die Schachtelwörter der deutschen Bauwelt gelernt und kann erklären, warum ein Sensationsbau mit Wahrzeichen-Anspruch wie etwa das Guggenheim in Bilbao für Dessau nicht sinnvoll ist: "Wir wollten keinen Konkurrenzkampf zwischen dem Bauhaus und unserer Architektur." Es gibt viele Argumente, die gegen einen offenen Wettbewerb sprechen, aber welchen Reiz es hat, wenn ein junges Büro wie Addenda Architects als erstes großes Gebäude ein Museum bauen darf, zeigt sich hier.

Was sich ebenfalls in Dessau zeigt, ist, wie viel Sinn es ergibt, das Spotlight beim Bauhaus auf die Schule zu richten und nicht auf die Meister. "Weg von der Ikonisierung", wie Dorothée Brill das formuliert, und hin zum Experimentierfeld Schule, zu Schülerarbeiten, die mehr Versuch als Ergebnis waren (und oft höchst sonderbar aussehen), und zu Namen, die man nicht kannte. Hin zu der so fruchtbaren Auseinandersetzung zwischen Lehrern und Schülern, etwa zu László Moholy-Nagy und Marianne Brandt und wie sie ihre Entwürfe mit dem Licht bauten, oder zu Paul Klee und Gunta Stölzl und wie sich das Verhältnis von Fläche, Körper und Raum ausloten lässt, egal ob auf Papier oder mit Faden. Und schließlich hin zum mühsamen Ringen, bis einer der wenigen Entwürfen tatsächlich mal in die industrielle Produktion ging.

Das alles in einer Ausstellungsarchitektur des Berliner Büros Chezweitz, die Pathos vermeidet und es schafft, die Objekte in den Vitrinen nahbar zu machen und so auszustellen, wie die Bauhäusler es in ihren eigenen Schauen taten. Lapidar. Schließlich handelte es sich um Gebrauchsgegenstände. So dicht kam der Besucher dem Bauhaus selten, und das, obwohl es sich bei den 1000 Exponaten fast ausschließlich um Originale handelt.

Brill hat zusammen mit Wolfgang Thöner und Regina Bittner die Dauerausstellung "Versuchsstätte Bauhaus" kuratiert. Zum ersten Mal haben die drei dafür die Sammlung der Stiftung Bauhaus Dessau mit ihren 49 000 Objekten selbst zum Thema gemacht. Der Fokus auf die Schule, so ergiebig er ist, ist auch der Sammlung geschuldet, die mit dem Ankauf eines großen Konvoluts vor gut 50 Jahren gegründet wurde. Denn Dessau besitzt eher wenige Werke großer Namen, dafür viele Objekte, die in den Werkstätten dort entstanden sind. Das hat nicht nur etwas mit dem Standort Dessau zu tun, wo das Bauhaus am produktivsten war, sondern auch mit dem wechselvollen Umgang der DDR mit der Schule und ihrem Erbe, der wiederum die weltpolitische Lage reflektierte, Kalter Krieg inklusive.

Es ist die große Leistung dieser Ausstellung, Fragen aufzuwerfen, die neugierig machen, statt die Heiligsprechung des Bauhauses einfach zu wiederholen. "Wie befreit man das Bauhaus aus seiner Kanonisierung", wollte Regina Bittner mit ihren beiden Kuratoren-Kollegen wissen. Wer ihre Ausstellung im neuen Bauhaus Museum sieht, kann sagen: Dessau ist auf einem guten Weg.

© SZ vom 09.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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