Ausstellung:Zwei schmucke Kerle

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Die Neue Sammlung zeigt in "Schmuckismus" in der Pinakothek der Moderne gesellschaftskritische Arbeiten von zeitgenössischen Künstlern. Nicht alle Preziosen sind auch tragbar

Von Ira Mazzoni

Titel und Thesen der Ausstellung "Schmuckismus" sind genauso sperrig wie das gewählte Ausstellungsdesign. Schon beim Eintreten in die Rotunde der Pinakothek der Moderne sieht man hoch oben auf der Emporenbrüstung eine ruppige Holzverschalung mit zackenartigen Aufbauten. Jede dieser Aufbauten trägt einen weißen Buchstaben des Ausstellungstitels und da es mit der heiligen Zahl 12 nicht genug war, gesellt sich noch ein Ausrufezeichen hinzu. Der Besucher merkt es und ist schon verstimmt: Muss soviel Nachdruck sein? Auf der Empore ankommen, entpuppen sich die Aufbauten als Vitrinen, die denen gleichen, die normalerweise Vereine oder Gemeinden mit ihren Mitteilungen füllen. Wie auf Baustellenzäunen kleben unterhalb der Kästen Zettel, die hier keine Gastspiele ankündigen, sondern den Objektbeschreibungen der Kuratorin Platz geben. Öffentlich ausgehängt werden hier Schmuck-Stücke, die sich politischen Diskursen verdanken und - in die Öffentlichkeit getragen - diese weiter anregen sollen. Anders als im Gemeindekasten oder am Bauzaun gibt es keine klaren Ansagen.

Die Ausstellung beginnt mit einer Frage, und von Vitrine zu Vitrine kommen weitere Fragen dazu. Die Eingangsfrage ist, warum hat die Kuratorin der Ausstellung, die international renommierte Schmuckkünstlerin und Münchner Akademieprofessorin Karen Pontoppidan, ausgerechnet den Titel Schmuckismus gewählt? Ismen bezeichnen Gruppierungen, Bewegungen, Ideologien, Haltungen aber auch Krankheitsbilder. Viele der Ismen sind abwertende Begriffe der Kritik, andere konstatieren politische Zusammenschlüsse. Die neue Ableitung Schmuckismus erscheint insofern doppelt absurd: Die Künstler, die in der Ausstellung vertreten sind, und die sich im Medium Schmuck ausdrücken, eint allenfalls eine akademische Ausbildung und der Widerwille gegen die Bezeichnung Schmuck für ihre Kunstgattung, denn die hat im Deutschen den schalen Beigeschmack von nichtssagender Beliebigkeit. Dabei wollen alle Vorgestellten etwas sagen und zwar öffentlich und mit dem Nachdruck körperlicher Präsenz. Schmuckismus engt ein, legt einen exklusiven Zirkel derer nahe, die Schmuck denken, sprechen und verstehen. Dabei wollte die Kuratorin nach eigenem Bekunden einen Ismus für die Freiheiten ihrer so intimen wie öffentlichen Kunst finden.

Zur Einstimmung auf das Thema zeigt Pontoppidan Teile der Sammlung der niederländischen Schmuckkünstler Paul Derrez und Willelm Hoogstede, die seit den Siebzigerjahren politische Buttons gesammelt haben: "Atomkraft - Nein Danke" in allen Sprachen, "Solidarnosc", "Happy gay" und vieles mehr. Billige Anstecker mit einfachen Botschaften der Sympathie, der Zugehörigkeit, des mutigen Protests. Aber so einfach ist das mit Schmuckkunst nicht, auch wenn sie sich auf kulturelle Praktiken des sozial codierten Schmückens bezieht. Wer etwa soll die weiße, Gold hinterlegte Plakette von Benjamin Lignel tragen, auf der mit weißer Schrift steht: Thank God (I'm white)? Welche Frau, oder welcher Mann würde sich mit der archaisch anmutenden, schwer bis über den Bauch hängenden Kette von Nanna Melland schmücken wollen, die aufs Kunstvollste aus Tausenden gebrauchten Verhütungsspiralen zusammengewirkt ist? Welche Botschaft wäre mit dem Tragen verbunden?

Manche der ausgestellten Schmuckstücke sind aufgrund ihrer Materialität gar nicht tragbar. Ihren Effekt erzielen sie allein in der Vitrine und in der Vorstellungskraft des Betrachters, wie etwa das Collier von Katrin Spranger, dessen Glieder aus Erdöl-(derivat)-Ringen besteht, die bei Körpertemperatur ihre Form verlieren und dann abtropfen und das Kleid oder den Anzug versauen. Dabei sind die angenommenen Träger des Schwarzen Goldes Verursacher und Betroffene der Ölkatastrophe. Das Sinnbild ist komplex, aber die Funktion Schmuck ist nur noch eine Fiktion. Die These der Ausstellung, Schmuck sei anthropologisch bedingt immer politisch, weil er am Körper in die Öffentlichkeit getragen wird, führt hier ins Leere.

Ist das Medium Message oder Massage? Botschaft oder Körperkitzel? Reibung unseres Intellekts, mit dem wir nicht nachkommen bei der Entschlüsselung von Monstranz ähnlich vorgetragenen Bekenntnissen, die sich gleichwohl ausschweigen in ihrer Unausgesprochenheit? Häufig hat man in der Ausstellung das Gefühl, dass zu viele Thesen und Exzerpte aus Soziologie und Psychologie dem Medium Schmuck etwas akademisch aufzwingen, was er nicht leisten kann.

Guter Schmuck erzählt immer Geschichten auf Basis der gewählten, kunstvoll verarbeiteten, außergewöhnlicher Materialien - in der Ausstellung sind abgestoßene Tarantelbeine, Schlangenhaut, Pergamente aus Tierdärmen und Büschel von Barthaaren und verkleisterte Potenzmittel zu sehen. Gute Geschichten aber bestechen durch schlüssige - und im Fall von Schmuck - auch tragbare Bilder.

So ist Eumi Chuns aus rotgefärbten Pergamentfedern gefügtes Fuchsschwanz-Collier fabelhaft schön und nicht nur politisch korrekt. Das Künstlerpaar Beatrice Brovia und Nicolas Cheng extrahiert aus Elektroschrott Gold und seltene Erze, wie etwa Tantal, dessen Gewinnung und Handel Teil unendlicher Kriegshandlungen im Kongo ist. Haftete dem Goldschmuck nicht immer auch die Gewaltgeschichte kolonialer Eroberungen an? Und die Gedankenlosigkeit einer Überflussgesellschaft? Dana Hakim verarbeitet Bestandteile von Überwachungskameras zu Amuletten, die teils Brustpanzergroß vor dem Bösen Blick der großen Brüder schützen sollen. Ihre jüngste Arbeit - jeder Künstler war aufgefordert, zusätzlich zur Auswahl der Kuratorin ein Stück für die Ausstellung selbst zu bestimmen - ist ein Anhänger aus einem weißen Eisennetz über den hellblaue, grüne, rote und schwarze Polsterfäden in Streifen, Rauten und Dreiecksformen gespannt und mit miteinander verwoben sind. Das Stück ist betörend fragil, leicht und licht und ein hochpolitisches Hoffnungssymbol: Denn die Heraldik der interferierenden Fäden entstand aus der Dekonstruktion der israelischen und der palästinensischen Fahnen.

Wer wird sich dieses utopische Gespinst um den Hals hängen? Bei welcher Gelegenheit? An welchem Ort? Diese und all die anderen Fragen, machen den Besuch dieser sperrigen, widersprüchlichen Schmuck-Ausstellung lohnend.

Schmuckismus ; täglich außer Mo. 10-18 Uhr, Di. 10-20 Uhr, Pinakothek der Moderne, bis 16. Juni

© SZ vom 16.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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