Ausstellung:Seelenblicke

Lesezeit: 3 min

"Mit anderen Augen. Das Porträt in der zeitgenössischen Fotografie": An zwei Nürnberger Orten verdeutlichen 43 Künstler die Vielfalt einer alten Bildgattung

Von Florian Welle

Eine Müllkippe: verkohlter Boden, lodernde Feuerstellen, schwarze Rauchfahnen. Während im Hintergrund Elektroschrott verbrannt wird, steht im Vordergrund ein junger Mann. Seine Jeans und sein Hemd sind maximal verdreckt. Er blickt frontal in die Kamera, die Augen sind müde und leer. "Permanent Error" heißt die mehrere Fotografien und Videos umfassende Serie von Pieter Hugo, aus der das Bild stammt.

Der südafrikanische Fotograf fuhr 2009/10 nach Accra in Ghana, um die Menschen zu porträtieren, die auf einem der größten Elektroschrottplätze der Welt leben und arbeiten. Es ist ein höllischer Ort. Dort landet all der Technomüll, den unsere westliche Kultur produziert. Die durchdringenden Blicke der stets in der Bildmitte postierten Arbeiter gilt es als Betrachter auszuhalten. Einige erzählen von Erschöpfung, aus anderen sprechen Trotz, Härte, Stolz. Keine Frage: Pieter Hugo will Empathie wecken. Die kalte Strenge seiner Serie bewirkt, dass die Bilder von Betroffenheitskitsch weit entfernt sind. Sie sind sozialkritische Dokumente im besten Sinne.

Hugos Arbeit "Permanent Error" ist eine von 43 Künstlerpositionen, der man derzeit gegenübertritt in der Ausstellung "Mit anderen Augen. Das Porträt in der zeitgenössischen Fotografie". Konzipiert wurde die Schau vom Kunstmuseum Bonn und der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur in Köln. Nun ist sie in Nürnberg zu sehen, wo sie gleich zwei Ausstellungsorte in Beschlag nimmt: die Kunsthalle und das Kunsthaus.

Das Porträt ist eine altehrwürdige Bildgattung - schon die Ägypter führten es zu einer Blüte. Heutzutage lebt es hauptsächlich in der Fotografie weiter und zeichnet sich formal, konzeptionell und ästhetisch durch eine ungeheure Vielfalt und Lebendigkeit aus. Mal besitzen die Arbeiten einen dokumentarisch-soziologischen Charakter, mal steht die theatrale Inszenierung einer Person oder einer Gruppe im Vordergrund. Wieder ein anderes Mal versucht der Künstler, ein "psychologisches Porträt" (Klaus Honnef) zu schaffen und mit der Kamera das Innere einer Person nach außen zu kehren.

Auch wenn viele Fotografen diesem Ansatz skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen (Stichwort: Bildmanipulation), ist er nicht ganz verschwunden. Ein Künstler wie der Amerikaner Jerry L. Thompson will durchaus noch die Persönlichkeit eines Menschen, seine Individualität und Identität, erfassen. Wenn er im Interview des Ausstellungskatalogs erzählt, dass jedes einzelne seiner Bilder der Versuch sei, durch die oberflächliche Erscheinung hindurch den Blick ins Innere zu werfen, dann nimmt er das Porträt noch ernst. Lässt sich das Wort doch mit "ans Licht bringen" oder "entdecken" übersetzen.

Bei aller Unterschiedlichkeit der Ansätze haben viele Exponate das fotografische Vermächtnis eines Mannes zur Blaupause, das die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur im Archiv verwahrt. Die Rede ist von August Sander (1876-1964) und dessen 600 Aufnahmen umfassendes Konvolut "Menschen des 20. Jahrhunderts". Von Sander selbst als "Kulturwerk in Lichtbildern" bezeichnet, unternimmt es den Versuch, die Gesellschaft der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu typologisieren.

Der für Sanders Lichtbilder typische Bildaufbau - die porträtierten Personen erscheinen als frontal ausgerichtete Ganzkörperfiguren in ihrem angestammten Lebens- und Arbeitsbereich - zeigt sich etwa noch in den Fotografien von Albrecht Tübke, Bernhard Fuchs oder Charles Fréger. Der Franzose porträtiert in seiner Serie "Bleus de Travail" von 2002/2003 Schlosser, Mechaniker und Fließbandarbeiter in ihrer Arbeitskleidung. Ganz direkt knüpft Joerg Lipskoch an Sander an, wenn er seit 2013 sein Projekt "Menschen des 21. Jahrhunderts" verfolgt. "Ich interessiere mich brennend für Menschen, ihre Lebensumstände und -geschichten", sagt Lipskoch. Auf seinen schwarz-weißen Digitalfotografien sind als Querschnitt durch die Gesellschaft Fußballer der Oberliga, Verkäufer und eine Hospizschwester zu sehen.

Wandert man durch die Ausstellungsräume, dann stellt sich der Eindruck ein, dass der soziologisch nüchterne Blick vor allem Fotografen vorbehalten ist. Fotografinnen scheinen spielerischer mit der Gattung Porträt umzugehen. So setzt sich etwa Katharina Bosse in ihrer Serie mit dem ironisch an James Joyce angelehnten Titel "A Portrait Of The Artist As A Young Mother" (2004 bis 2009) mit den Mütterbildern auseinander. Die Bilder sind knallig bunt und zeigen die Künstlerin, wie sie anstatt nasser Kleidung Fotos zum Trocknen auf die Wäscheleine hängt. Oder sie posiert nackt mit zwei Kindern im Arm als nährende Mutter Natur. Natürlich schwingen auf dem Foto auch Jahrhunderte der Marienikonographie mit.

Daniela Risch wiederum schlüpfte für ihre Serie "Helga" 2007 in die Kleidung ihrer Mutter. Und das heißt: gestreifte Kochschürze, muffiger Bademantel, Pantöffelchen. Die Fotos zeigen die verkleidete Künstlerin im Elternhaus. Risch hockt auf der Bettkante, wäscht, kocht. Dabei blickt sie streng, verzieht keine Miene. Der Betrachter unternimmt eine Zeitreise in eine bundesrepublikanische Kleinbürger-Wirklichkeit, die längst vergangen zu sein scheint. Die Inszenierung hat etwas bedrückend Gespenstisches.

Auf die Frage, wann für ihn ein Porträt gelungen sei, antwortet Pieter Hugo im Katalog. "Mich interessieren Porträts, die den Betrachter festhalten und nicht mehr loslassen; die so fesselnd sind, dass man sich nicht von ihnen lösen kann." Sein Statement gilt für viele der Exponate.

Mit anderen Augen. Das Porträt in der zeitgenössischen Fotografie , Kunsthalle und Kunsthaus Nürnberg, bis zum 15. Januar

© SZ vom 03.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: